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Brief (Transkript)

Walter Neuser an seine Eltern am 30.10.1941 (3.2002.0947)

 

30.X.41


Liebe Eltern!

Morgen früh soll wieder Post weggehen. Von mir läuft auch ein Brief für Euch mit. Ich denke, daß wir morgen abend schon wieder Post empfangen können. So langsam scheint das alles noch heran zu kommen. Mit der Post v. 30.9. kam ja gleichzeitig auch Papas Brief v. 14.9. an. Macht ja Gebrauch von den kg-Päckchen mit mehreren Adressen, wenn die Post nur eins abnehmen will. Die wollen ja auch „beschoben“ werden. Heute hat es den ganzen Tag über geregnet. Seit den Vormittagsstunden liegt meine alte Einheit im Dreck fest. Heute gegen Abend sind auch Gespanne von uns dorthin abgestellt worden, damit sie nicht die Nacht draussen verbringen müssen. Sollte es doch so kommen, dann ist wenigstens alles versucht worden. Es stürmt wieder mächtig draußen. Eine Gegend mit Schwierigkeiten ist das, einfach toll. Jetzt kann man wirklich sagen, man wäre froh, wenn es Frost gäbe. Dann hörte doch wenigstens der Dreck auf. Die Stiefel sind kaum trocken zu bekommen. Mit dem üblichen Tagesdienst, zu dem seit kurzem auch die Entlausungsstunde gehört, haben wir den Tag herumgebracht. Ich habe heute nachmittag meine Stiefel vom Schuster geholt. Gestern unerhörtes Glück gehabt. Wir waren beim Ställe einrichten. Die Arbeit wollte nicht so gehen wie ich es gern sehe und habe. Also packt man mit zu. Ich setze eine Stange an, einer soll sie halten, ich werde sie mit der Axt hineintreiben. Ob der Mann nicht aufpaßte, träumte oder mit seinen Gedanken schon voraus war, ich weiß es nicht. Er läßt los, ich schlage zu, treffe die Stange auf der Ecke, das Beil rutscht mir aus der Hand und landet im Stiefel, rechts innen zwischen Ballen und Dünung. Ich muß sagen, wir alle standen wie erstarrt. Dann besahen wir uns den Schaden. Stiefel durch und die beiden Strümpfe aufgetrennt wie mit einem Rasiermesser. Auf der Haut keine Schrammen. Das hätte wohl auch schlimmer ausgehen können. Russenstiefel an und diese zum Schuster, das war das Nächste. Jetzt ist ein Flicken drauf. Nun geht es wieder weiter. Ich liege hier in einem guten Quartier, das heißt eben den Verhältnissen entsprechend. Abends wird Heu hereingeholt, und dann bereitet man sich darauf sein Nachtlager und schläft genau so fest wie im Bett. Eine warme Stube, die sauber ist, Tisch, Stuhl und Bank vorhanden, das ist dann schon viel wert. Die Leute erzieht man sich. Stellen sie sich stur an und dummdreist, fliegen sie hinaus. Das ist nun mal nicht anders und beste Maßnahme. Die Zivilbevölkerung setzt sich zu 99 % aus Frauen zusammen.
Die Männer sind ja alle eingezogen. - Gefangene, tot, vielleicht noch bei der kämpfenden Truppe oder strolchen in der Gegend umher. Bei uns hier stehen jeden Abend bestimmt 20 Mann auf Wache. Jeden Tag ist was los. Man sollte meinen, die Wälder sind leer. Aber da treiben sich immer noch so einige herum, die Lust verspüren, Bandenkrieg zu führen. Am hellen Vormittag knallt es. Was gefaßt wird, entgeht bestimmt nicht der gerechten Strafe. Es ist Krieg, aber diese verrohten Burschen kommen bei uns bestimmt an die richtige Adresse. Hier bei uns in der Stube herrscht friedlicher Kampf. 5 Katzen stehen zur Unterhaltung zur Verfügung. Der Kater teilt Ohrfeigen aus, daß es nur so hagelt. Wir vergelten es, indem wir Partei für die drei Jungen einnehmen und die Laufschuh als Wurfgeschosse gegen ihn in Anwendung bringen. Die Alte geht auf Raub aus. Sonst putzt sie sich und sie macht auch schon mal mit bei der Balgerei. Wenn wir dann uns hingelegt haben, geht die Jagd weiter über uns. Der Wachtmstr., mit dem ich hier zusammenliege, spielt nun schon gute 2 Stunden mit ihnen herum. Ich staune selbst über diese Geduld, aber es ist viel wert, wenn man so ruhig veranlagt ist. Daß Ihr mir die Illustrierten geschickt habt, ist fabelhaft. Wir haben lange Zeit keine Zeitungen und Illus in Besitz gehabt. So tut sich vor uns doch mal wieder eine andere Welt auf als dieses Rußland. Wir denken an den Winter. Er wird uns noch manche Überraschung bringen. Aber im Weltkrieg hat der Soldat 3 Winter in Rußland überstanden, sodaß wir es wohl auch einen Winter schaffen werden. Ich bin gespannt, wie England über den Winter kommen wird und will. An uns beissen sie sich die Zähne kaputt. Ich bin wirklich mal gespannt, ob und wann der Spiegel anrollt, der seit langer, langer Zeit von Euch aus unterwegs ist. Denkt mal an einen Kamm und Rasierklingen. Ich wäre zufrieden, wenn auch wir 1 kg-Päckchen absenden könnten, dann käme doch wenigstens die Seife, die ich aufgespart habe, nach Hause. Ich sehe noch kommen, daß wir manches im Stich lassen müssen, einfach weil dadurch zu viel Gewicht mitgeschleppt, Raum in Anspruch genommen wird und weil das Fortkommen auf diesen Wegen erschwert ist. Heute abend haben wir noch mal Bratkartoffel gemacht mit Talg. Hoffentlich hat es nicht geschadet. Talg schlägt gerne durch. Für heute Schluß. Es ist Zeit zum Schlafengehen.

- Fortsetzung -31.X.41-

 

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