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Brief (Transkript)

Walter Neuser an seine Eltern am 15.10.1941 (3.2002.0947)

 

15.X.41



Liebe Eltern!

Fünfzehn Tage Einsatz sind vergangen. Was das bedeutet bei dieser Kälte kann man sich ja vorstellen. Da wir Winterbekleidung nicht empfangen haben, hilft sich jeder Soldat auf seine Art. So hat man sich Stoff und Pelz besorgt, oder den Gefangenen Handschuhe abgenommen. Wer das noch nicht getan hat, muß mit erfrorenen Knochen rechnen. Am 6. d. Mts. stellte sich der erste Schnee ein. Seitdem bedeutet das nichts Neues mehr für uns. Ich habe mir auch ein paar Einlegesohlen besorgt, denn trotz der zwei Paar Strümpfe kann ich keine warmen Füße bekommen. Ich nehme mich in Acht, soweit dieses möglich ist. Seit gestern belästigen mich Zahnschmerzen. Das ist natürlich weniger angenehm, aber man muß es nehmen wie es kommt und damit fertig werden. Am 1.X. wurde der letzte Brief aus dem damaligen dreiwöchentlichen Quartier abgesandt. Im Morgengrauen des 2.X. begann der Angriff, der wieder mit ungeheurer Wucht der schweren Waffen erfolgreich eingeleitet wurde. Die untadligen Arbeiten der Russen erregten auch hier wieder Erstaunen und Bewunderung. Der Russe ist ein Meister im Bau von Feldstellungen und Tarnen und macht es uns nicht leicht, einen Erfolg an den Anderen zu reihen. In Scharen kommen sie am ersten Tage an. Tagtäglich dasselbe Bild und trotzdem immernoch Widerstand. Die Wälder sind noch voller Russen, sodaß ein unfreiwilliges Zurückbleiben größtenteils den Tod bedeutet. Tagtäglich laufen Meldungen ein von Überfällen. Überall liegen Sicherungstrupps, sodaß allmählich Leuchtkugeln überall in der Runde steigen und verlöschen. Am 2.X. frühmorgens wurde uns der Aufruf des Führers vorgelesen. Vom 2. - 4. hatten wir wunderschönes Wetter. Bei einer Wiederaufnahme von Kampfhandlungen ist das Wetter von besonderer Bedeutung. Am 3. frühmorgens 5 Uhr ging es über die Desna. Wenn wir als Verteidiger in diesen Feldstellungen gesessen hätten, ich glaube es hätte uns keiner da herausbekommen. Aber gegen uns kommt ja doch keiner an. Stukas ist ja der Inbegriff des Allerschrecklichstens. Wir wußten durch Belehrungen und Erzählungen, daß der Gegner das Gelände ungeheuer vermint hatte. So blieb jeder hübsch artig in der Wagenspur von morgens bis abends, da alles Andere den Tod bringen konnte. Holzminen ist ein tolles Kampfmittel, da es durch Fehlen von Metall so quasi unauffindbar ist. Da nutzen selbst die Instrumente wenig. Wir haben die verheerenden Folgen sehen können. Ich danke für ein solches Erlebnis. Am 3. nachmittags mußte ich als Einweiser nach vorn und landete in Chorowia auf der Div. Dort traf ich Köppen, einen Stubenkameraden aus dem RAD-Lager Bernau v. 1937, der jetzt dort als Meldefahrer fungiert. In Begleitung des Generals ist auch immer Dorles Mann zu sehen. Ich glaube, der macht seinen Weg. Mein Pferd hatte ich in eine Scheune gestellt. Köppen nahm mich mit zu einem Auto, und dann hörten wir die Rede des Führers, während die Einheit noch auf dem Marsch war. Das war natürlich was, als ich zur Truppe kam und erzählte, daß und was der Führer gesprochen hätte. Von abends 20 bis frühmorgens 04 Uhr des 3./4.X. haben wir auf einem Feldweg gestanden. Es war lausig kalt. Dann ging es wieder vorwärts. War der Widerstand zu groß und gefährlich, wurden Stukas herangeholt. Ich habe das am 5. nachmittags erlebt, als ich wieder als Einweiser vorn bei der Spitze war. Der Vormarsch ging auf unserem Weg ruhig vonstatten. Der Aufklärer zog seine Kreise. Vor uns wirkten die Stukas. Plötzlich violette Leuchtkugel - Panzergefahr. Sofort wurden alle nur erdenklichen Maßnahmen getroffen. Zu 4 Mann ging es dann im Galopp über die Höhe um Umschau zu halten. Da kamen aber schon die Stukas. 54 Stück habe ich gezählt. Auf annähernd 1000 m luden sie ihre Last sich immerwiederholenden Sturzflügen ab; es war ein schaurig-schöner Anblick. Sah das aus, als wir durch dieses Trümmerfeld hindurchfuhren.
Es gibt keine Beschreibung dafür. Die Wege sind katastrophal. Etwas Gutes hat ja der Frost auch für sich, die Matschwege werden hart. Außerdem treibt Hunger und Kälte die Russen aus den Wäldern. Am 7. marschierten wir einige km auf der Rollbahn und sahen danach aus wie mit Zimt gepudert. Der Lehmstaub macht furchtbare Arbeit. Da habe ich mir auch eine Kirche angesehen, in der die Russen eine Werkstatt eingerichtet hatten. Verheerend sah das aus. Am 8. rief uns der General zu, daß der Kessel geschlossen sei und 300 Tsd. Mann sich darin befänden. Tagtäglich sehen wir sie nun in unzähligen Scharen an uns vorüberziehen. Die Nacht v. 8.- 9. verbrachten wir wieder im Busch. Es war nicht schön. Am 9. wurden die Wege dermaßen schlecht, daß ich mit 3 Wagen zurückblieb. Nach 4 Stunden vergeblicher Mühe lud ich die Munition ab und fuhr ins nächste Dorf zurück mit den 3 Wagen, da das Risiko zu groß war, in dem Wald zu übernachten. Am 10. frühmorgens wollte ich zur alten Stelle; da waren Russen da. Gegen 14 Uhr hatte die Infanterie das Stück gesäubert, sodaß ich dann erst wieder die Fahrzeuge beladen konnte. Nun erst mal die Truppe wieder suchen. Gegen 23 Uhr hatte ich sie dann wieder erreicht. Dort erfuhr ich dann, daß man mein Reitpferd erschossen hatte. Ich habe mich nun nach einem Neuen umgesehen und nach mehrmaligen Wechsel einen noch nicht ganz Vierjährigen gefunden. Pferde laufen in Massen herum, aber es sind nur Panjes, kleine struppige Pferdchen und verbrauchte Pferde von uns. Die Nacht v. 10. - 11. erlebten wir in der Wiese. Es war sündhaft kalt. Am Vormittag des 11. schossen wir in direktem Schuß in den Wald. Da konnte man sie aber kommen sehen. Gegen Abend wurden neue Stellungen bezogen. Wir konnten in dieses Dorf ziehen, in dem ich auch heute diesen Brief schreibe. Zuerst sah man keine Bevölkerung, aber so nach und nach kamen sie aus ihren Bunkern hervor. Sie hatten eine mächtige Angst, daß wir ihnen die Häuser anzünden würden. Nur Frauen und Kinder. Ihr müßtet mal einen Einblick bekommen in so einen Haushalt. Es ist unter aller Kanone. Das halbe Dorf steht nur noch. Das verschlimmert unsere und der Bevölkerung Lage natürlich sehr. Wir liegen tagtäglich bis zu 35 - 40 Mann in einem Raum, der etwa so groß ist wie mein Schlafzimmer. Es geht, weil es gehen muß. Die Kälte treibt einen Jeden unter Dach. Heute früh haben wir einen netten Fang gemacht, einen Unterarzt und einen Kommissar, die wir natürlich sofort abgegeben haben. Am 12. habe ich die Aufstellung der eingegangenen Post v. 10. u. 11. d. Mts. mit einigen Zeilen abgesandt. Am 13. folgte ein Brief, der die Post beantwortete. Wir sind ja andauernd unterwegs, wenn nicht bei einbrechender Dunkelheit, dann bei Tagesgrauen. Gestern wollte es nichts werden. Heute habe ich nun auch das geschafft, Euch einen kleinen Überblick über die vergangenen Tage zu geben. Was aus Schuppan geworden ist, weiß ich nicht. Ich sah ihn am 3.X. zum letzten Mal. Er war als LKW-Fahrer bei der Vorausabt. eingeteilt. Am 5.X. sahen wir ihre Trümmerstätte. Sie waren von Russen überfallen worden. Es war ganz furchtbar. Da wir auf dem Durchmarsch waren, die Erkundigung natürlich schwer war, kann ich deshalb nichts Genaues darüber sagen. Den Anblick vergißt man nicht. In der Nacht v. 12. - 13.X. ist unser Gefechtsstand angegriffen worden. Uffz. Pfeifer war gerade dort, hat sich bei der Verteidigung hervorgetan und ist noch in der Nacht vom Komdeur zum Wachtmstr. gemacht worden. Gefallen sind dabei Obltn. Mielke, Lt. Eggers, 2 Fernspr. und 2 Kraftfahrer. Ein weiterer Teil ist verwundet worden. Überall stecken noch Russen, aber die Infanterie säubert Tag und Nacht. - Ich möchte für heute schließen und hoffen, daß Euch dieser Brief bald erreicht. 4 Wochen werden ja doch darüber weggehen. Herzliche Grüße und alles Gute von Eurem Walter.

 

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