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Brief (Transkript)

Walter Neuser an seine Eltern am 25.12.1940 (3.2002.0947)

 

25.XII.40



Ihr Lieben daheim!

Heute vom 1. Weihnachtsfeiertag sollt Ihr wieder einmal einige Zeilen haben. Der letzte Brief für Euch ist am 22. vormittags abgesandt worden. Mit diesem außerdem noch einer an die Kreissparkasse. Am 22.XII. nachmittags habe ich dann einen Brief an Onkel Walter angefangen, der aber eben erst fertig geworden ist. Warum und durch welche Umstände werdet Ihr noch aus dem Brief entnehmen. Am Sonntag habe ich keinen Dienst gemacht. Am Nachmittag haben wir auf der Stube das WHW-Konzert gehört. Von 18 - 24 Uhr stieg dann die Weihnachtsfeier unserer Einheit. Jeder Mann bekam einen riesigen Teller mit Gebäck, Pfefferkuchen, Äpfeln, Zigaretten, 6 Tafeln Schokolade, 1 Stolle, 1 Flasche Sekt und 3 Flaschen Rotwein, frz. Ware. Dann kam der Weihnachtsmann, bedachte noch manch einen mit einem Geschenk, und dann kam die Weihnachtszeitung mit wieder einmal ganz großer Aufmachung. Keiner ist verschont geblieben. Anschließend wurden noch lebende Bühnenbilder gezeigt. Wir sind aus dem Lachen nicht herausgekommen. 6 Mann der Militärkapelle stellten die Musik. Als warmes Abendessen gab es Kotelett mit Rotkohl. Durch Übernahme der Vertretung von Uffz. Pfeifer habe ich am Montagvormittag 3 Stunden Außendienst machen müssen. Danach war ich natürlich anständig bedient. Der Arzt war am Nachmittag nicht da, sodaß ich den Nachmittag mit Pillen und die Nacht sozusagen ohne Schlaf verbracht habe, denn die Tabletten wollten auch nicht mehr helfen und wirken. Zum Glück hatte ich gestern keinen Außendienst, sodaß ich von 10 - 12 Uhr beim Zahnarzt war. Wieder Eiterbildung. Als er am Oberkiefer fertig war mit seiner vorläufigen Arbeit, eröffnete er mir, daß er nun an anderer Stelle anfangen müsse. Cl. Schreiber hatte mir damals unter anderem auch den 6. Zahn mit einer Füllung und Plombe wieder in Ordnung gebracht. Seit Sonntag verspürte ich ein furchtbares Reißen im rechten Unterkiefer, was ich dem Arzt natürlich sagte. Der leuchtet die Zähne ab und sagt zu meinem Bedauern, daß dieser Zahn die Ursache sei. Er nimmt die Füllung ab, da kam auch schon der Eiter. Auf mich hat das natürlich nicht sehr ermutigend gewirkt. Als er darauf noch sagte, der Zahn muß heraus, konnte ich nur noch sagen „Sonst noch was?“ Die erste Spritze betäubte den ganzen rechten Kiefer. Die zweite Spritze setzte er mir oberhalb des Zahnes ins Zahnfleisch. Dann holte er mir den Zahn in zwei Hälften heraus. Ich habe davon nicht viel gemerkt, umso mehr aber danach. Heute geht es so einigermaßen. Ohne Tabletten geht es ja noch nicht, aber gut, daß man die wenigstens zur Verfügung hat. Gestern war Heiligabend. Das Radio spielt ununterbrochen von morgens früh bis abends spät. Die Übertragung der wechselnden Weihnachtsgrüße von Narwick nach, Ostpreußen und zum Kanal war doch ganz fabelhaft. Durch Gemeinschaftsempfang wurde dann die Rede des Oberbefehlshabers mitangehört. Ich hörte sie auf Stube. Gegen 19 Uhr kamen dann Wm. Wiesebrock und Wiesebaum, Uffz. Schütze, Soldner mit Akkordeon, Uffz. Geisler u. Obgefr. Seemann auf die Stube. Dann stieg der Heiligabend für uns. Zuerst haben wir uns die Rede von Heß mitangehört, und dann wurde gefeiert. Mit Rotwein wurde angefangen. Der lag uns zu schwer im Magen. Wir wechselten mit Weißwein und landeten bei Sekt. Das hat aber geschmeckt. Gläser hatten wir uns aus dem Offz.Kasino besorgt; Uffz. Schütze ersetzte den Oberkellner. Im Laufe des Abends kamen dann noch einige Stuben und brachten einige Lieder zum Vortrag. Gegen 11 Uhr starteten sie dann hier zum Gegenbesuch. Ich brachte das Zimmer wieder in Ordnung und legte mich in die Falle. Erst eine Pille brachte mir den ersehnten Schlaf. Die Anderen haben dann noch weitergemacht. Gegen ½ 1 Uhr weckten sie mich, ich solle mitkommen. Natürlich bin ich liegen geblieben und hatte Mühe wieder einzuschlafen. Auf Wiesebrocks Stube haben sie dann bis heute früh 4 Uhr durchgemacht. Gestern abend gegen 7 Uhr ging dann der Chef noch durch die Stuben und teilte Zigaretten aus. Ein großer Teil der Soldaten war gestern abend um 6 u. 24 Uhr in der Kirche. Heute vormittag bin ich um ½ 10 Uhr aufgestanden. Als ich die Vorhänge hochgezogen hatte, sah ich eine schneebedeckte Landschaft vor mir. Es hatte über Nacht geschneit, sodaß wir zu Weihnachten doch wenigstens Schnee haben. Tagestemperatur 18 Grad Kälte. Bei Euch muß es ja auch ganz schön kalt geworden sein, wie ich lese, ist der Bahrensdorfer See freigegeben worden. Zu Mittag gab es Kaßler mit Sauerkraut und Kartoffeln. Zuerst habe ich nun Onkel Walters Brief erledigt, nun folgt dieser hier. Von gestern bis heute mittag sollte ich auf Wache ziehen. Natürlich habe ich diese sofort abgegeben. Wenn ich nicht unbedingt zu ersetzen bin, gehe ich heraus, sonst nicht. Also werde ich den morgigen Tag auch noch hier verleben auf der Stube. Damit wäre also für das Alltägliche genug gesagt. Nun komme ich zur Post, für die ich mich recht herzlich bedanken möchte. Am 23. erhielt ich Muttis Karte zum Fest, eine Karte von Emmi, 2 Ztg. v. 20. u. 21/22. und eine V.B.Illustrierte. Friedrich liegt in Ostpreußen und kann zum Fest nicht kommen. Ich bin zufrieden, daß ich denen am 17.XII. geschrieben habe. Gestern kamen die beiden Päckchen vom 12.XII. mit Papas Brief und zwei Briefe vom 22.XII., von Mutti und Papa geschrieben, an. Heute erhielt ich einen Brief von Leni aus Berlin v. 22.XII.; richtet bitte meinen Dank aus. Ich lege dem Brief wieder einige Gutscheine u. 6 Bilder bei und empfehle sie Elisabeth’s Obhut. Die Sachen v. Paul habe ich nun auch erhalten. Bedankt habe ich mich ja im Brief v. 13.XII. schon dafür nach Wiederstein. Papas Brief wäre soweit erledigt. Das Geld ist heute eingetroffen. Ich habe es aber noch nicht abgeholt. Pleite bin ich noch nicht, habe ja auch kaum Gelegenheit zum Geldausgeben. Jedenfalls besten Dank dafür. Schade, daß es mit der Schlachterei nicht klappen will. Joachims Rückruf durch Telegramm finde ich höchst merkwürdig. Die Flieger haben sich ja allerhand wieder geleistet. Hoffentlich halten sie die Feiertage über Ruhe. Ich habe mich doch sehr gefreut, daß Leni mir zum Fest schrieb. Und nun will ich schließen und wünsche Euch weiterhin alles Gute, Euer Walter.
Macht Euch keine Sorgen; der stillhält, bin ich.

 

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