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Brief (Transkript)

Walter Neuser an seine Eltern am 20.9.1940 (3.2002.0947)

 

20.IX.40



Liebe Mutti!

Gestern abend haben wir ja nun endlich wieder einmal seit langer Zeit Post erhalten. Ich hatte die Zeitungen bis einschließlich 17.9., Blner Illustrierte v. 19.9., zwei Briefe von Dir vom 12. u. 15.9., einen Brief v. Leni v. 16.9. und Dein Päckchen mit Brief vom 17.9. erhalten. Im Päckchen war eine Hellerthaler und V.B.Zeitung; 6 Zigaretten, Zwieback, Schokolade und Bonbons. Besten Dank jedenfalls für die Post. Ich behandle Lenis Brief gleich mit, dann habe ich ihn wenigstens erledigt. Bestellt Ihr meinen besten Dank. Antworten tue ich bestimmt, aber wann, das weiß ich auch noch nicht. In den Zeitungen habe ich die Todesanzeige von Joseph Co gelesen. Den Flugzeugführer Hermann Schulze werdet Ihr ja gewiß nicht kennen. Er war früher mal Torsteher im Fußballklub; wollte auch nicht länger dienen. Nun hat auch ihn das Schicksal ereilt. Nun komme ich zu Deinen Briefen. Grützwurst, ja die würde ich auch noch mal gerne essen. Erwin Klemm ist nicht draußen gewesen? Das ist mir bestimmt das Neueste. Joachim ist wohl immer noch so unruhig wie früher. Hauptsache ist ja, daß jeder auf irgendeine Art seine Befriedigung im Urlaub findet. Paul Piesker so kurze Zeit nur zu Hause; - warum? Städtkes fahren zum Grab ihres Sohnes; Donnerwetter, alle Achtung. Zur Beruhigung noch einmal, Elisabeths Briefe sind angekommen und schon bestätigt worden. Du siehst das auch aus der Aufstellung. Aus dem Brief v. 15.9. ersehe ich, daß die Karte angekommen ist. Nun schreibe bloß bald, daß das Paket angekommen ist, sonst werde ich nervös. Klar ist Ondra mit, hat sich ganz manierlich im Zuge benommen. Allerdings ist vor Angst ein Halfter in Stücke gegangen, aber dann war Ruhe; sie fürchtete die Strafe. Ich habe mir das gleich gedacht, daß Papa sucht, wo ich wohl stecken könnte. Bis jetzt habe ich Euch die Ungewißheit auf lange Zeit ersparen können. Wenn die ersten Briefe angekommen sind, werdet Ihr schon wissen, wo ich jetzt bin. Also der Holzschuppen soll verschwinden. Dann muß man ja auch an die Wäsche denken in dieser Beziehung. So viel wie ich von Paul Pohl weiß, liegt er etwa 85 km von uns jetzt entfernt. Deine Ansicht stimmt; wir gehören zusammen. Ernst Schmidt war mit seiner Frau bei Euch; ich bin sprachlos. Naja, das ist Geschäftspolitik. Grüßt den Uwe schön von mir; ich wünsche ihm gute Besserung. Nun zum 3. und letzten Brief vom 17.9.40. Das mit Hanne Konzack kann man ja bald nicht verstehen. Wenn sie noch allein da gewesen wäre, aber mit den Kindern. Das möchte ich gerne wieder gesehen haben, wie das so mit dem Geld und der Wohnung geregelt worden ist. - Das stelle ich überhaupt schon fest, daß Papa fast jeden Tag draußen ist. Er soll sich mal in Acht nehmen, in so einem Alter verträgt er die bekannten Strapazen nicht mehr so gut wie noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Ich habe im Augenblick keine Verbindung, aber es kann schon möglich sein, daß Schuppan auf Urlaub war. Ich hatte ihm noch so zugeredet, daß er mal bei Euch mitherangehen sollte. Der fährt einen großen LKW bei uns. Ich bekomm ihn jetzt aber auch nicht jede Woche zu sehen. Joachims Urlaub ist ja nun heute auch zu Ende. Eigentlich schade, daß es nicht so geklappt hat, wie man es sich gewünscht und gehofft hatte. Wir wollen hoffen, daß es überhaupt noch Urlaub für uns gibt vor dem nächsten Jahr, sonst geraten wir zu sehr in den Rückstand damit. Heute sind einige auf Urlaub gefahren, da sie kurz nach Rückkehr versetzt werden. Das ist auch so ein Thema, berührt mich aber heute noch nicht. - An Lenis Brief ist natürlich wieder alles dran. Ost=Westtasche hat ein Loch abbekommen, Blner Keller- und Fliegerromantik; englischer Sprachunterricht und Dienstbetrieb. - Heute mittag mußte ich nun wieder zum Zahnarzt. Er hat das Ding von innen geöffnet und dann ein bißchen gedrückt. Ich glaubte mich schon im siebenten Himmel. Zum Glück sagt er einem vorher, was er vorhat, dann ist der Schmerz halb so schlimm und leichter zu ertragen. Leider ist man Letzteres ja nicht anders beim Zahnarzt gewöhnt. Morgen muß ich wieder hin. Wir hatten gestern abend Trauerwache stellen müssen und heute fünf Sargträger und Begleitmannschaften. Man hatte hier wieder in der Umgegend 12 Tote gefunden. Es stellte sich dann heraus, daß es ermordete Volksdeutsche waren, die verscharrt worden waren. Heute vormittag ½ 11 Uhr habe ich dann die Trauerfeier miterleben können. Die Stadt Gnesen hat an Einwohner 30 000 Polen und 5000 Deutsche. Da könnt Ihr Euch ja vorstellen, was die Leute erlebt haben unter diesem Gesindel. Die Stadt trägt rein deutschen Charakter, große Bauten, jetzt saubere Straßen und Anlagen. Die Polen erkennt man schon an Kleidung und Gesinnung, schmutzig, liederlich gekleidet, frech, und die Mädels an überspannter Koketterie. Allein darf man nur mit Waffe ausgehen oder zu zwei oder drei Mann. Jedes deutsche Mädel hat einen Ausweis, eben jeder Deutsche hier. Wer den nicht hat, muß gemieden werden, sonst wird man, wenn damit angetroffen, sofort festgenommen und schwer bestraft. Das ist auch gut so, dann geht wenigstens die Achtung vor uns nicht verloren. Für heute möchte ich nun wieder mal Schluß machen, denn ich muß bald wieder zur Bestrahlung ins Revier.
Alles Gute, besten Dank und viele Grüße

Euer Walter.


Das Päckchen mit dem Kuchen habe ich noch nicht erhalten; vielleicht kommt es heute abend, da noch viel Post fehlt, die erwartet wird.

 

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