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Brief (Transkript)

Walter Neuser an seine Eltern am 1.7.1940 (3.2002.0947)

 

1.VII.40



Liebe Mutti!

Gestern abend habe ich Euch einen Brief geschrieben, der mit einem Brief an Onkel Arnold heute früh abgegeben wurde. Ich will nun sehen, daß ich auf dem Laufenden mit Euch bleiben kann, wenigstens so lange wir noch hier sind. Heute vormittag blühte hier der Fitz, da sich der R.Kom. angemeldet hatte, das Quartier und Ställe besichtigen. Es ist sehr heiß hier; aber besser jedenfalls als Regen. Hoffentlich bleibt das Wetter auch auf dem Marsch so schön. Tagtäglich sind die Straßen bevölkert von Flüchtlingen. Es ist ein Jammer, trotzdem die Militärverwaltungen alles Mögliche tun. Auf jeden Fall wäre es praktischer gewesen für die Bewohner auf ihrem Besitz zu bleiben, als kopflos zu türmen. Ihr macht Euch ja keinen Begriff, wie wir die Wohnungen fast überall angetroffen haben. Natürlich schaffen wir überall Ordnung. Was werden sich die Franzosen noch wundern, wenn der Frieden erst mal geschlossen ist. Die kennen das Wort Arbeit ja nur vom Hören und Sagen. Lungern in den Straßen und Kneipen und Kaffees herum. Du siehst aber auch kaum ein junges Mädchen arbeiten. Abends um 7 Uhr gehen einige in die Cafés zum Bedienen. Das dauert bis 11 Uhr, denn dann ist Wirtshausschluß. Am nächsten Abend geht es erst abends um 7 Uhr wieder los. Bis dahin wird geschlafen, spazieren gegangen und manikürt. Junge, Junge, sind die angemalt. Anscheinend gehört das hier bei den Franzosen zur Kultur! Die Verständigung klappt von Tag zu Tag besser. Gestern abend habe ich mit zwei Franzosen gesprochen, die beide gut Deutsch sprechen konnten. Der Eine war Elsässer und hat in Bln. beim Gardergmt. zu Fuß gedient. Der Andere war 3 1/2 Jahre in Gefangenschaft im Kreise Dillenburg und wußte tadellos Bescheid. Erzählte begeistert von der frdl. Aufnahme, die er dort als Helfer in der Landwirtschaft gefunden hatte. Ich habe Post erhalten, Päckchen und Briefe, gehe aber erst morgen darauf ein. Heute abend muß ich wieder mit. Ihr habt doch gewiß auch heute mittag den zusammenfassenden Bericht von der Westfront mit Verlustangaben gehört. Die rechte Auswertung dieser Tatsachen wird erst möglich und uns begreiflich sein, wenn die Verluste der Feindmächte bekannt werden. Etwas übereilt möchte ich nun schließen, hoffe, daß Ihr nun bald mal fortlaufender und schneller in den Besitz meiner Nachrichten kommt. Morgen schreibe ich mehr. Gesund und munter wünsche ich Euch alles Gute, besten Dank und viele Grüße

Euer Walter.

 

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