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Brief (Transkript)

Walter Neuser an seine Eltern am 26.5.1940 (3.2002.0947)

 

26.V.40



Liebe Eltern!

Ich will allem vorweg schicken, daß eben ein Brief fertig geworden ist, der für die Kreissparkasse bestimmt ist. Ich habe darin Dir. Günther gebeten, denselben Euch vorzulegen. Es ist ja immerhin möglich, daß ein Brief verloren geht. Diesen Brief habe ich heute der Feldküche um ½ 7 Uhr mitgegeben. Sie brachte uns einen Postsack mit, in dem auch 2 Briefe und eine Karte von Euch für mich waren. Ich habe stets auf ein Zeichen gewartet von Euch nach dem 10. Mai. Endlich ist es da. Zwei Briefe vom 14. und 16. und eine Karte vom 15. Mai. Mutti hat natürlich vor lauter Aufregung die Adresse vergessen auf der Karte. Für’s nächste Mal - Augen auf! Es ist zu leicht möglich, daß gerade dadurch eine Sendung verloren geht. Auf beiden Seiten gibt es dann dumme Gesichter. Ich gehe nun auf Deine Post näher ein. Am 23.V. habe ich Deinen Brief vom 9.V. erhalten und das auf der Karte vom 24.V. erwähnt. Mir geht jetzt ein Licht auf! Ein Glück, daß die Bilder da sind. Ich war schon in großer Sorge. Brief und Päckchen vom 4.V. habe ich im Brief vom 20.V. erwähnt. Der Tochter meines Quartierwirtes in Scheidchen habe ich noch ein Päckchen übergeben; sie sollte es nur für mich auf dem Fp-Amt abgeben; fix und fertig war es. Hoffentlich kommt es an. Haltet Euch die Rundfunkzeitung und hört die Nachrichten; lest und staunt, genau so wie wir. Es ist ja kaum zu fassen, was bis jetzt geschafft worden ist. Ich werde nach diesem Brief an Paul schreiben und mich bedanken für gütige Nachfrage. Leni war also über Pfingsten bei Euch. Na, dann hat sie ja noch mal zwei schöne Tage zu Hause verleben können. Es ist möglich, daß die Wäsche von mir bei Euch ist. Ich weiß es nicht. Eine Garnitur könnt Ihr ja wieder mal schicken, aber eigenes leichtes Zeug. Die letzten Zeitungen habe ich am 7.V. bekommen. Ich würde mich sehr freuen, wenn es wieder eine Ztg. gäbe. Zu Pfingsten hatten wir ausgezeichnetes Marschwetter. Also Joachim hat Mandelentzündung gehabt. Herr Bliefert liegt in Kirchen und Weichmüller am 15.V. noch in Beeskow; das sind Neuigkeiten. Ja, Mutti, das Schießen der Artillerie ist alles andere als liebliche Musik. Das Bild sieht gelungen aus, was? Etwas verhauen, aber besser als gar keines. Es ist nett, daß Ihr mir einen Ehrenplatz eingeräumt habt. Wird wohl noch ein Weilchen dauern, daß ich meine Zivilsachen wieder anziehen kann. Aber schneller geht es nicht, wenn sie nicht zur Vernunft kommen wollen und frühzeitig Schluß machen. Ich sehe schon, jetzt ist der Garten herrenlos, und schon wühlt unsere Mutti darin herum. Du hast ja noch nicht genug Arbeit. Aber besser, als wenn Du Dir Sorgen machst über Deinen Kronensohn. Damit wäre nun die Post erledigt. Mein letzter Brief im Quartier wurde am 5.V. geschrieben. Es war ein verregneter und kalter Sonntag. Dabei habe ich auch noch an Hans geschrieben. Am 6.V. hatte ich das Photopäckchen abgesandt, das ja nun da ist. Am 7. habe ich Emmi geantwortet. Einen weiteren Brief habe ich aber auf Wache nicht mehr weiter bekommen. Am 8. abends, als ich von der Wache kam, habe ich mich dann hingesetzt und an den Sohn des Hauses geschrieben. Der ist seit Dienstag nach Ostern eingezogen und in Polen und hatte bis zum 8.V., als wir seinen Brief bekamen, noch nichts von der Heimat bekommen; trotzdem sie ihm fast jeden 3. Tag ein Päckchen schickten. Wir erhielten nun andauernd Post und er nicht. Da könnt Ihr Euch ja gut vorstellen, was für eine Stimmung da herrschte. So habe ich mich dann hingesetzt, um Verbindung mit dem Mann zu bekommen. Am 9.V. nachmittags wurde schon geflunkert, wir tappten aber alle noch völlig im Dunkeln. Am Abend bekam ich dann noch den Brief vom 4. und das Päckchen vom 3.V. und bald darauf gab es das erlösende Zeichen zum Marsch. Als wir am nächsten Morgen vor der Grenze standen, wußten wir, jetzt geht es los. 6 Stunden Wartezeit ging es um 10 Uhr bei Daubelshausen über die Grenze. Luxemburg ist ein Schmuckkästchen, das wird jeder, der es gesehen und erlebt hat, sagen müssen. Das kann man gar nicht schreiben. Auf jeden Fall wäre es schade, wenn es unter den Kriegswirren landschaftlich leiden würde. In Belgien sah es schon so wie in Polen aus. Warum sind bloß die Zivilisten getürmt? Die Kriegsgesetze sind so hart, daß wir denen bestimmt kein Fingerlein gekrümmt hätten. Da schickt so ein verjudetes Romanenvolk, Schwarze, Inder, Indonesier, und was weiß ich, wo sie alle herkamen, gegen uns in den Krieg. Ihr macht Euch keine Vorstellungen, wie diese Brüder als Söldner ihres Mutterlandes überall da, wo sie erschienen waren, gehaust haben. Wir haben uns nur angesehen und immer wieder gefragt, ist denn so etwas überhaupt möglich. Aber laßt mal gut sein; wir bezahlen den Krieg nicht. Sie sind gerannt, sie rennen und werden weiter rennen. Es gibt viel zu erzählen über das augenblickliche Schicksal des frz. Soldaten. Er will keinen Krieg und schimpft mächtig auf die Engländer. Habt Ihr heute die Sondermeldung gehört “Calais in dtscher Hand“. Was meint Ihr, wie wir gejubelt haben! Marschroute und Standpunkt darf ich Euch ja nicht schreiben. Siehe Krsspk. Wir bekommen Frontzulage, liegen also vorne irgendwo. Das Marschwetter war tadellos. Ein beruhigendes Gefühl war die Luftsicherung auf dem Marsch. Heute haben wir 112 Bomber gezählt. Wenn man diese Schwärme zählt, bleibt einem fast die Spucke weg. Ist doch ein gewaltiger Anblick. Was wäre, wenn wir unsere Flieger und Flak nicht hätten. Wir haben nun schon unsere Stellungen hinter uns. Aus der 3. haben wir eine Flakbatterie mit 3 Schuß erledigt und wenige Minuten danach eine Munitionskolonne, daß die Fetzen flogen. Wir wehren uns unserer Haut, daß die da drüben noch das Grausen packt. Wir wohnen in Unterständen. Die schönen Tage im Eifelland sind vorbei. Oft und gerne erinnert man sich an manche schöne Stunde. Jeder Mann hat sich sofort sein Erdloch gebuddelt, in das er wie ein Wiesel verschwunden ist, wenn es Dunst gibt. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste! Unsere Erde ist Kreide. Mehrere Male haben wir schon Regen gehabt. Dieser Pantsch und unsere Sachen! Ich mache gerade Wache an den Apparaten bis morgen früh. Die Leute sollen auch ihre Ruhe haben. Von morgens bis abends und wieder bis zum Morgen liege ich dabei und habe nur den Wunsch, daß alles in Ordnung bleibt. Es ist eine harte Arbeit, aber man ist auf den Platz gestellt und füllt ihn aus. Gerade steht ein Gewitter über mir, es war auch zu warm heute. Ich komme nun so langsam zum Schluß, denn an Paul will ich auch noch schreiben. Ich denke viel an Euch, vor allem an Dich, liebe Mutti. Sorge Dich nicht um mich; ich nehme mich in Acht. Gegen das Schicksal kann ich auch nicht anrennen. Nun seid alle herzlichst gegrüßt, alles Gute, schreibt recht fleißig,

Euer Walter.
Wie steht es mit Zigaretten?

 

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