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Brief (Transkript)

H. D. an seine Freundin am 31.12.1939 (3.2002.0280)

 

31.12.39.



Du, meine liebe kleine E.!

Gott sei Dank, endlich ein Brief von meinem kleinen Mädchen. Es ist Dein Brief v. 25. XII. aus Hochwaldhausen. Eine ganze Woche ohne Post (ich habe nämlich seit Weihnachten nichts bekommen, d.h. ein Brief von Dir von vor Weihnachten) das kann einen hier draußen schon zappelig werden lassen. Du warst also Weihnachten weggefahren. Was hast Du denn da oben so allein gemacht? Hast Du auch recht viel Freude gehabt? Ja Du hast recht, es wäre schön, so was mit Dir zusammen erleben zu können und dabei zu wissen, nie brauchst Du die kleine E. allein zurückzulassen. Aber ich will diesen Gedanken nicht nachhängen. In mir ist es heute abend ganz düster. Glaubst Du wie Du schreibst, wie Du auf Deinem Hotelzimmer sitzt und daneben der Tanzsaal mit Geschrei und Musik u. Tanz, da ist mir ganz anders geworden. Hast Du denn in dieser Atmosphäre das gefunden, was Du nach Deinem letzten Briefe suchtest? Das ist es, was jeder von uns, der aus dem Urlaub kommt, erzählt. Man feiert, man singt, man tanzt. Man tanzt – Herrgott die sollen hier raus + nach hier vorne zu uns kommen in den Dreck des Vorfeldes. Aber Gott sei Dank alle von uns sagen auch, daß sie sich bei dieser Tanzerei nicht wohlgefühlt haben. Ist die Zeit so wenig ernst, daß man tanzen muß? Sollen hierher kommen diese Tanzfazken, sollen sich ansehen, wie an dem 1. Weihnachtstage auf dem Friedhof eines schon ziemlich beschossenen Dorfes unmittelbar vor uns ein durch einen Schuß durch Schlagader + Luftröhre gefallenen Kamerad von der Infantrie beerdigt wurde. Der Kamerad fiel bei einem Spähtrupp. Da vergeht einem das Tanzen. Da nimmst Du nur Deinen Stahlhelm in die Hände, die Fäuste pressen sich um den Stahl, die Zähne beißt Du zusammen + denkst an den Toten: Du hast Deine Pflicht getan und in vollendeter Pflichterfüllung Dein letztes geopfert + jeder von uns wird es Dir nachtuen, wenn es sein muß. Wir verbitten uns aber, daß die dann an uns denken, die getanzt haben, während wir hier vorne lagen tage-, wochenlang + Gott weiß jedenfalls bis zum Sieg. Tänzer haben auch in unserer Gedankenwelt keinen Platz. Liebes nimm mir nicht übel, wenn ich auch mal so einen Brief an Dich aber es sitzt in mir mal wieder so vieles fest. Und ich muß mir meine Seele mal leicht machen. Und zu wem sollte ich denn reden dürfen, wenn nicht zu Dir? Ich nehme an, daß Du mich doch verstehst, daß Du dieselben Grundsätze u. Ansichten hast wie ich. Glaube mir, es ist mir seit gestern, als ob ich mal so schnell als möglich zu Dir müßte. Du würdest zwar einen ganz großen stillen Jungen erleben, aber Du würdest mich schon verstehen + mir würde wieder ganz wohl werden Ich war heute schon auf dem besten Wege für die 3 Feiertage nach Frankfurt zu kommen zu Dir. Ich hatte aber keine Anhaltspunkte, ob Du zu Hause sein würdest oder nicht. Und da ist es doch eine zu gewagte Sache, auf’s Geratewohl loszugondeln. Dann ist auch der Chef in Urlaub und sein Vertreter erst heute gekommen. Wie Du siehst ist also immer ein Haken dabei, gelt, ich schreibe heute ernst, Liebes. Bitte nimm es mir nicht übel. Ich habe Dir ja schon gesagt, ich habe auch Augenblicke, in denen ich mich auf Dich stütze + bei mir wieder Mut hole. Und wenn ich dann bei Dir war, dann geht es wieder viel besser. Nur für schwach darfst Du mich nicht halten. Gerade weil ich so dumme Stunden überwinden will + und nicht mehr in mich hineinfressen will, wie so lange Jahre bisher, deshalb schreibe ich Dir so alles. Und dann glaube ich, daß so die letzten Minuten des alten Jahres u. die ersten des neuen Jahres auch nicht angetan sind, um in dulce jubilo zu feiern. Mir lag das jedenfalls noch nie. Ich glaube, bei uns sind wenige, die jetzt in diesen Minuten (es ist 1/2 vor 24h) nicht daran denken + dem gütigen Geschick danken, daß nicht schon so manchen der kühle Rasen deckt. Wir stehen nun mal draußen + ganz vorne + das Pfeifen und Zischen der Granaten ist uns ein ziemlich vertrauter Laut. Da verliert auch der Gedanke an das Sterben zum großen Teil seinen bitteren Geschmack + er wird einem fast vertraut. Nichts hat das mit Kleinmut zu tuen. Vielleicht lebt man dann erst gerade und mit seinem Schöpfer so ganz von Herzen dankbar für jede Minute, die er einem schenkt. Doch wollen wir eines nicht vergessen. Der Herrgott hat uns bisher in seiner starken Hand gehalten + wird uns auch künftig nicht fallen lassen. Und wenn ich so das Jahr 1939 zurückblicke, so muß ich sagen, es war schön + es hat sich gelohnt, zu leben. Keine Minute möchte ich missen. Die schönsten Stunden aber waren unzweifelhaft die, in denen ich mit Dir zusammen war wirklich und wahrhaftig und nicht nur in Gedanken, wo ich doch nur immer errätseln konnte, was Du wohl gerade tutst + wo Du bist. Und da das alte Jahr jetzt in ein paar wenigen Minuten herum ist, bin ich ihm von Herzen dankbar für alles Gute, Schöne + vor allem für Dich. Jetzt ist es herum ------------------------------ So lang habe ich Dich geküßt Liebes, ganz lang und innig. Dich liebe ich, E., Dir vertraue ich, E., an Dich glaube ich, E., an Dich + Deine Treue. Hast Du den brummigen + allzu ernsten H. auch ein klein gern. Ich weiß wie gern Du ihn hast, ich habe es ja schon so oft + immer wieder gespürt, Nun habe ich das alte Jahr ganz nahe bei Dir + während eines Briefes an Dich beschlossen + und das neue angefangen. Komm, bleibe bei mir, ich brauche Dich, lasse und zusammen gehen ganz gläubig + fort in das neue Jahr hinein. Nehmen wir die Kraft des alten Jahres mit uns in das neue hinein und das neue soll uns nicht still sehen. Tapfer wie unser Führer wollen wir sein und unser Volke und unser Vaterland lieben wie er und dann vorwärts zum Sieg + damit zu Deinem und meinem Glück. Und nun schreibe mir mal ein paar Worte, damit Dein H. sein „brummiges“ Gesicht verliert. Gute Nacht, Liebes.
Lasse Dich küssen, immer küssen, Liebes.

Jetzt wollte ich aufhören mit Schreiben. Aber ich kann nicht. Ich muß mit Dir reden, ich muß Dich bei mir haben, ich muß Dich spüren, ich muß Du + Du mußt ich sein. Und wie kann ich das hier so fern von Dir besser erreichen, als daß ich an Dich schreibe? – Dazwischen liegen 2 Stunden. Es ist jetzt 2 Uhr nachts. Wie ich aufhören wollte, kam Knöpfel herein (Es war gerade 12h durch. Du und ich waren also Punkt 12 ganz allein.) Wir wünschten uns Hals- und Beinbruch für das neue Jahr. Und dann sind wir raus gegangen. Eine wundersame Winternacht. Einzelnen Leuten, die wir trafen + in ihren Unterständen noch wach waren, haben wir ein gutes Neues Jahr gewünscht. Im Grunde klang es immer etwas ernst, wenn einem die Kameraden sagten „alles Gute für 1940“. Wir sind durch die Stellung gelaufen. Der Schnee stäubte unter unseren Stiefeln.
Am tiefdunklen Himmel glitzerten die Sterne. Und da horch! Auf einmal fingen Glocken an zu läuten. All die Dörfchen versteck in den Wäldern + Tälern des Vorfeldes meldeten sich. Ich kann Dir mein Gefühl garnicht beschreiben. Die Glocken läuten. Und an alles Glocken die Du hörtest, zogen harte Soldatenfäuste + brachten sie zum klingen. So standen wir + horchten in die Nacht. Wir standen aber 10 Schritt auseinander. Wir waren zusammen Kameraden und doch jeder allein. Ist auch gut so. Denn mit meiner Seele war ich doch bei Dir. Und daß Du heute schon den ganzen Abend bei mir bist, das spüre ich. Ich dachte an Dich und ich gestehe es Dir, nur ganz allein, da rann mir eine Träne ganz still in den Schnee. Die gehört aber ganz ganz allein Dir. Ich hätte Dir so ein einmaliges in seiner Tiefe + seinem Wesen bestimmtes Silvester an der Front zeigen mögen. Aber Du warst ja so weit. Und das war wohl auch so mit schuld, daß es mir etwas warm in den Augen wurde. In erster Linie aber war es die große Freude, daß ich Dich habe, daß ich an Dich glauben darf, daß ich einen Menschen habe, der mich und meine Schwächen versteht, Du, Du, Du. Herrgott lasse mir meine E. und lasse sie mir das sein, was ich mir aus so vielen Entbehrungen heraus ersehne und erhoffe. Als wir zurückkamen mußten wir nochmal in der Kantine einigen Uffz. u. Wchtmst. Prost Neujahr sagen. Es kam dann noch ein Oberleutnant + ein Leutnant dazu mit einigen ihrer Leute. Ich konnte es nicht aushalten. Ich muss allein sein. Da bin ich fort wieder auf meine Bude. Habe noch 3 Posten von der Infanterie, die gerade von der Minenwache zurückkamen noch eine Flasche Schnaps gegeben, von unserem Truppschnaps, den trinke ich doch nicht, die waren froh, die Kameraden. Und ich habe ich so ein kleinwenig gefreut, daß ich ihnen einen Spaß machen konnte. Und dann habe ich mich still noch etwas an meinen Platz gesetzt + Dir noch diese letzten Zeilen geschrieben. Und jetzt gehe ich in die Heia. Ich nehme Dich aber mit (ach wann wird das mal wieder der Fall sein?) Hoffentlich bald. Schlafe süß, mein liebes, herziges E., und lasse Dich immer, immer wieder küssen von Deinem
H.

 

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