Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Manfred von Plotho an seine Ehefrau am 1.8.1941 (3.2008.2195)

 

Den 1. August (1941)


Bf.No. 29

Meine liebe Ingrid,

den letzten Brief habe ich ohne Nummer gesandt, dann vorgestern eine kurze Karte. Von Dir kam laufend Post, denn offensichtlich geht die Feldpost jetzt wieder einigermassen regelmässig. Das ist eine grosse Freude und für unsere Soldaten ein garnicht hoch genug einzuschätzendes Stimmungsmoment. Inzwischen haben wir recht harte Tage hinter uns. Am 30. begann der neue Großseinsatz, bei dem wir diesmal im Gegensatz zum Westen volle Unterstützung der Luftwaffe mit Stukas usw. haben. Die Kerls wehren sich ganz unerhört, und die Kämpfe kosten leider viel gutes deutsches Blut, was dieses asiatische Völkergemisch wirklich nicht wert ist. Jedenfalls war der 30. Juli der schwerste Tag in der bisherigen Feldzugsgeschichte der Division. Der Erfolg wurde erzwungen, aber die Reihen der alten Kameraden vom Westwall lichten sich immer mehr. Gleich als erstes fiel mein alter Kamerad Siekmann. Gans dumm, hinten irgendwo beim Essen durch einen Art. Volltreffer. Ich war zufällig in der Nähe und habe ihn dann mit begraben. Es war der Mann, mit dem ich das stärkste kameradschaftliche Verhältnis in der alten Komp. hatte. Schon 37 im Wehrmachtsmanöver war mit in meiner Gruppe der damalige Gefreite Siekmann, wir lagen in Quedlinburg auf derselben Stube. Dann die Zeit auf Vorposten im Pfälzer Wald, unser erstes Stoßtruppunternehmen, bei dem er sich so ausgezeichnet gehalten hat. Und jetzt die 6 Wochen bei der Komp. wieder an einer Grenze war ich viel mit ihm zusammen. Immer ist er der erste am Feind gewesen, den ganzen Westfeldzug, und genauso hier im Osten. Und nun muss er so wahllos herausgegriffen werden von der Hand des Kriegsgottes.
Die Russen haben eine grosse Gewandtheit im hinhaltenden Kampf in Kornfeldern usw. Da andrerseits Auflösungserscheinungen immer deutlicher erkennbar werden, die Wirkung unserer abgeworfenen Propagandazettel ausgezeichnet ist und vielfach die roten Einheiten nur noch kämpfen, weil sie von Offizieren und Kommissaren dazu gezwungen werden, versuchte ich auf höheren Befehl den Einsatz eines Lautsprecherwagens, um einige aus den Kornfeldern herauszulocken. Klappte leider nicht wegen Gegenwind, trotzdem ich gut herangekommen war und die braunen Gestalten auf 150 m vor mir im Kornfeld hatte. Nach bekanntem Motto wurde es dann mit deutlicheren Mitteln versucht, zumal unsere Truppe bei der hinterhältigen Kampfweise der Roten von solchen Mitteln sowieso nicht viel hält. Sturmgeschütze wurden eingesetzt, Das sind Panzerähnliche Ungetüme, die eine Mordswirkung haben. Ich säuberte mit einem Leutnant dieser Sturmgeschützabteilung einen Ortsrand und anschliessende Felder. Er stand oben auf seinem Panzerungetüm und knallte von oben freihändig mit der MP in die Gräben hinein. Ich folgte unmittelbar mit meinem Krad, um ihn einzuweisen. Am Ortsrand photographierte ich ihn von unten her, wie er so oben von seinem Geschütz herab mit der MP nach Zielen suchte. Ich hatte gerade geknipst, als er mir in die Arme rollte, Von so einem verdammten Heckenschützen aus nächster Nähe abgeknallt. Tat mir leid, es hatte sich in der halben Stunde unseres Zusammenwirkens so eine selbstverständliche Kameradschaft gebildet. Ausserdem imponierte mir diese Waffe mächtig. Wir holten uns einige Infanteristen und haben ihn dann gleich an Ort und Stelle begraben. Inzwischen kamen die Bauern schon wieder aus ihren Kartoffelkellern heraus und verkauften Eier. Wie nahe liegt hier alles bei einander. Ich musste immer an die arme Frau denken, die nun mit zwei Kindern und dem dritten unterwegs zu Hause sitzt. Aber das Leben geht unerbittlich weiter. Als ich den nächsten Morgen durch das Gefechtsfeld des Tages vorher fuhr, vorbei an ungezählten toten Russen und Pferden, die in der strahlenden Morgensonne herumlagen, zogen Bauernmädchen geschlossen heraus aufs Feld zur Ernte. Was für gegensätzliche Bilder bringt doch dieser Krieg. So gar nicht zu vergleichen mit den Vorstellungen, die wir und aus den Schilderungen des Weltkrieges von einem künftigen Krieg gemacht haben. Eindrücke tiefsten Friedens in einem fruchtbaren Land mit sehr armen aber auffallend sauberen Bewohnern, fast durchweg blauäugig und hellhaarig, und dann wieder stundenweise Gefechtshandlungen mit einem asiatischen Gegner hinterhältigster Natur. An die 4.000 Gefangene sind in den letzten Tagen durch unsere Finger gelaufen, da bekommt man einen recht eingehenden Eindruck von der Eigenart und den Besonderheiten der verschiedenen Völkerschaften unseres roten Gegners. Teilweise sind sie so primitiv und naiv, dass man beinahe Mitleid mit ihnen haben muss. Die grosse Masse ist doch schliesslich nur verhetztes Volk, dessen primitivem Denkvermögen irgendwelche Vorstellungen über den Sinn des Krieges gar nicht möglich sind. Letzthin hatten wir verschieden Wolgadeutsche dabei. Armseliges Völkchen, die noch die unverfälschte schwäbische Mundart sprechen. Zuerst staunten wir doch etwas, als die ersten in dem braunen Haufen auftauchten und auf die Fragen unseres Dolmetschers antworteten „Ich verstehe kein Russisch, Mir sein Deitsche“. Schon weiter westlich sind wir durch Gebiete von Siedlungen Wolhyniendeutscher gekommen. Oft war in einem solchen Dorf kaum noch ein Mann. Alles von den Bolschewisten verschleppt, nie wieder Nachricht bekommen. Das Hirn fasst diese Anhäufung menschlichen Leides einfach nicht. Man steht immer wieder davor und weigert sich es innerlich zu verarbeiten. Diese Schilderungen, diese traurigen Gesichert stehen in einem so unfassbaren Gegensatz zu dem fruchtbaren weiten Land in seiner sommerlichen Pracht.
Letzte Nacht hatten wir unseren Gefechtsstand auf einer Höhenrippe, von der man weit ins Land schauen konnte. Es war eine köstliche Nacht und ein prächtiges Erwachen in einer herrlichen Natur, die ohn Ende schien. Kurz darauf ein ganz anderes Bild: Eine kleine Stadt an einem Flüsschen, um dessen Übergang gekämpft worden war unter Einsatz von Stukas. Das an und für sich schon trostlose Bild einer bolschewistischen Kleinstadt mit seinem überall sichtbaren Verfall war durch die Kampfspuren ins Unerträgliche gesteigert. Zwischen den Trümmern ihrer Häuser herumsuchende Einwohner, immer wieder ein erbärmliches Bild.
Zwischendurch ein elender Kampf gegen den Staub. Das kann man gar nicht beschreiben. Wie oft muss man anhalten, weil man vor dickem braungelben Staub einfach keine zwei Meter mehr sehen kann. Unsere Kradmelder leisten Unglaubliches. Grosse Hitze, miserable Wege und dazu der kaum erträgliche Staub. Dabei braucht man nur wenige Meter in den Wind zu treten, um in herrlicher Luft den Blick über weite wogende Kornfelder zu haben. – Ein anderes Bild: Heute abend in der sinkenden Sonne rollten die Stukas einen Grossangriff auf vor unserem Abschnitt zurückgehende Feindkolonnen. Etwa 50 Maschinen im abendlichen Himmel, umschwirrt von flitzenden Jägern. Ein Eindruck, der immer wieder fasziniert. Wir konnten ganz gut beobachten, wie die Stukas einer nach den anderen im Abwehrfeuer der Flak vor Kiew stürzten und ihre Eier abluden. Morgen werden wir wohl an den Stellen vorbeikommen, wo sie ihre Vernichtungsarbeit geleistet haben.
Ich sitze hier in einem Schulraum, der offensichtlich gemalt werden sollte. Ein tolles durcheinander von schmutzigen Möbeln, dazwischen Kalk und Farbe. Meine Kerze ist ganz schief gebrannt, weil sie von der Zeit Zug kriegt. Da ist eine kleine Granate durch die Wand gegangen und hat immerhin ein ganz anständiges Loch hinterlassen. Nebenan verhört der Rittmeister einen übergelaufenen russ-Offizier. Die Verfallserscheinungen beim Gegner werden immer offensichtlicher, nach Abschluss der in diesen Wochen laufenden Grosskämpfe, die im Wehrmachtsbericht vom 14. Juli ja eine vorbereitende Andeutung fanden, wird die russische Wehrmacht wohl in ihrer Masse zerschlagen sein.
Soviel für heute. Papis Päckchen mit Zigaretten kam genau im richtigen Augenblick. Wir waren völlig abgebrannt. Gelegentliche Wiederholung, wenn ohne eigene Einschränkung möglich, sehr erwünscht. Denn wenn man oft Tage kaum etwas zu essen bekommt oder bei nächtlichen Vernehmungen usw. usw. sind Zigaretten ein garnicht zu entbehrendes Lebenselixier.
Sonst habe ich nur noch Wünsche beim Drogisten: Laufende Belieferung mit Biotrix, demnächst auch wieder mit Tarr oder irgend einem Rasierwasser, ausserdem Kölnisch Wasser oder Lavendel. Die Gerüche sind oft wenig schön, die Wäsche wird mangelhaft gewaschen, da freut man sich über etwas guten Geruch im Taschentuch. Dringend brauche ich einen anständigen Bakalitfutteral. Vielleicht kann Mamy so lieb sein und mir diese Sachen gelegentlich besorgen. Der Kartengruß von den Bliestorfer Weekend-Gästen zum 13. war die Erinnerung an eine andere Welt. Was müssen wir dankbar sein, dass unserem eigenen Volk bis auf die Luftangriffe die Schrecken eines Krieges im Lande erspart blieben. Nicht auszudenken, dass diese roten Horden einmal bei uns eingefallen wären.
Der Besuch von Lory-Trucks wird für Euch alle eine schöne Abwechslung. Grüsst sie sehr herzlich. Sie haben ihr Teil am Krieg ja auch in einer wenig schönen Form gehabt. Viele Grüsse an Putz und an Vera und besonders an die Eltern. Meinem kleinen Sohn viel Liebes und der tapferem Mutti dazu innigste Wünsche für die kommenden Wochen. Schön, dass die Feldpost einigermassen geht, da könnt Ihr ruhig telegrafieren, dann kommt die Nachricht in etwa 3 Tagen zu mir.
Dein Manfred

 

top