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Brief (Transkript)

Lutz Raumer an seine Eltern am 1.11.1945 (3.2002.7404)

 

Mannheim-Käfertal, d. 1.11.45



Liebe Eltern!

Mit größter Freude erhielt ich gestern Euren Brief vom 25.10.45. Ihr könnt Euch kaum meine Freude vorstellen, als mir ein Kamerad vom Pfarrer, der jeden Sonntag und diesmal auch am Mittwoch ins Lager kommt, diese Zeilen überbrachte.
Ich habe schon desöfteren versucht Euch brieflich zu erreichen, aber diese werden Euch wohl nicht erreicht haben. Diesen Brief schicke ich unter dem Absender eines Zivilisten aus Mannheim. Diesem könnt Ihr auch Eure Briefe zusenden, die ich dann durch ihn erhalte.
Da die letzte Nachricht, die Ihr von mir vielleicht erhieltet, vom 5. März war, so werde ich Euch im folgenden berichten, wie es mir weiterhin erging.
Von Metterzimmern, wo ich diesen Brief schrieb, kamen wir am nächsten Tag nach Ganshurst, wo die Kompanien wieder im Westwall zum Einsatz kamen. Von dort kamen wir dann bis in die Nähe von Mannheim. Von hier an begann unser „erfolgreicher“ Rückzug, den ich bis zu meiner Gefangennahme weiterhin als Schreiber mitmachte, obwohl ich nicht mehr als dieser tätig war, sondern immer mit der Verpflegung nach vorn fahren oder Quartier machen musste. An keinem Ort blieben wir länger als zwei oder drei Tage. So ging es weiter bis zu meiner Gefangennahme. Oft ging ich hart an meinem Schicksal vorüber, so war es auch an meinem letzten Tag bei der Wehrmacht! Ich musste wieder einmal vor, um Quartier zu machen (das war mein Glück!!). Kaum war ich 500 m von den Fahrzeugen entfernt, als sich etliche Jabos auf die mit Fahrzeugen verstopfte Straße stürzten. Wir suchten an einem Steilhang, der dicht bewaldet war, Schutz, um das Ende des Angriffs abzuwarten. Da wir unsere Räder bei uns hatten, mussten wir unbedingt warten, bis die Luft rein war. Nach zwei Stunden konnten wir es wagen, uns auf die Räder zu schwingen. Der Anblick, der sich uns bot war verheerend; zu dem kam jetzt noch, das das M.G. Feuer immer näher kam. Wir fuhren langsam solange bis wir nicht mehr weiterkamen und uns bewusst waren, daß man uns eingeschlossen hatte. Von den stehengebliebenen Verpflegungswagen verpflegten wir uns ausreichend und machten unser Gepäck fertig, denn es war uns klar, daß wir dort nicht lebend herauskommen, wenn man uns nicht gefangen nimmt. In einem Wald, der am Rande des Kessels lag, hielten wir und wollten den Abend abwarten. Am Abend wollten wir noch ein nahliegendes Dorf aufsuchen, um uns auszuschlafen. Als wir um 1.00 nachts in das vollkommen stille Dorf hineinkamen, wir waren ungefähr 10 Mann, und schon mit einer schönen Scheune liebäugelten, ließ uns ein „Hands up“ erstarren. Das war der Augenblick meiner Gefangennahme; es war der 28. April. Nach einer Durchsuchung, bei der mir als erstes meine Uhr abgenommen wurde, wurden wir am Morgen nach Aalen gebracht, wo ich viele Kameraden traf. Von dort ging es über Heilbronn nach Ludwigshafen. Hier machte ich das Schlimmste mit, was mir jemals passierte. Wir schliefen unter freiem Himmel bei sehr geringem Essen. In einem Lager waren nicht weniger als 180 000 Mann untergebracht. Nach 14 Tagen wurden Leute für eine Arbeitskompanie gesucht; um dieser Hölle zu entkommen meldete ich mich. Ich glaube auch nicht, dass es mein Schade war. In dieser Kompanie befinde ich mich heute noch. Wir arbeiten in einem Ersatzteil-Depot, das in einer Kaserne untergebracht ist. Innerhalb des Depots bin ich als Fahrer eines kleinen Traktors tätig und fühle mich ganz wohl, wenn die Arbeit manchmal auch schwer ist, denn die Kisten müssen überall verteilt werden. Die Arbeit beginnt morgens um 8.00 und geht bis um 17.00 mit einer Stunde Mittagspause. Das Essen ist sehr gut und abwechslungsreich. Mein Abendessen kann ich meistens nie ganz aufessen. Als Beispiel möchte ich einmal den heutigen Tag erwähnen. Morgens gab es: Eier, Griessuppe, Kaffee, Brot (1 Scheibe), dies gibt es jeden Tag, genau wie mittags die Bohnensuppe, die manchmal durch Kekssuppe abgelöst wird. Das Abendessen bestand heute aus: Soja-Suppe, Griessuppe, Rote Rüben, Pudding, Bratkartoffel, Fischfrikadellen, Obst, Tee und Brot. Das Essen ist jeden Abend so reichhaltig, aber auch abwechslungsreich.
Ich kann daher mit ruhigem Gewissen sagen, daß mein Befinden sehr gut ist.
Ich glaube, daß Ihr mit diesem Bericht zufrieden seid. Über die Zukunft lässt sich nicht viel sagen. Die Entlassung, die uns von dem ekligen Stacheldraht befreien soll, ist noch ungewiß. Man spricht zwar vom 15. November, aber wir haben jetzt schon so viel Parolen gehört, daß wir an nichts mehr glauben. Als Entlassungsadresse habe ich vor einiger Zeit schon Marktredwitz angegeben und freue mich nun, daß ich das Richtige getroffen habe. Man spricht auch davon, davon, daß wir uns als Zivilarbeiter nach der Entlassung im Depot melden können, weil wir doch schon als Facharbeiter dort gelten. Wenn das wirklich einträfe, so würde ich das tun, denn dann hätte ich keine Sorge um das Essen und würde Geld verdienen können, was mir sonst vielleicht nicht so leicht möglich wäre. Ich möchte aber erst einmal alles der Zukunft überlassen und mir keine unnötigen Gedanken machen.
Wenn ich wirklich entlassen werden sollte, so würde ich noch einen Kameraden von mir mitnehmen. Dieser ist ebenfalls aus Berlin und hat noch keine Nachricht von seinen Eltern, wenn diese überhaupt noch am Leben sind. Da er sonst überhaupt keine Bleibe hätte und sogar bei einer Entlassung wohl als letzter berücksichtigt worden wäre, weil er eben aus Berlin ist. Denn alle Soldaten, die in der russischen Zone wohnen, werden wohl nicht entlassen, sondern nur ausgetauscht.
Das wäre wohl alles, was ich heute zu berichten hätte. Über unsere Behausung ist noch zu sagen, daß sie ganz annehmbar ist, obwohl sie nur aus einer Garage in einer Kaserne besteht. Wir haben uns aber eine kleine Ecke mit großen Planen abgetrennt und einen Ofen hineingestellt, so daß wir es ganz gut aushalten können. Über mein Bett habe ich ein kleines Dach mit einen Vorhang gebaut, so daß es bald, wenn der harte Strohsack nicht wäre, wie ein „Himmelbett“ erscheint.
Für heute nun genug. Mit herzlichen Grüßen an Tante Kadia und Großmutti grüße und küsse ich Euch herzlichst.
Euer Lutz

P.S. Die Adresse des Zivilisten lautet:
Herbert Haferkamp, Mannheim-Feudenheim, Viktorstr. 5

 

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