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Brief (Transkript)

Lutz Raumer an seine Eltern am 29.3.1944 (3.2002.7404)

 

Ponewesch, den 29. III. 44


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Liebe Eltern!

Heute traf Eure „Illustrierte“ mit dem Briefpapier ein. Endlich bin ich nicht mehr gezwungen, Kuverts und Briefpapier zu schnorren. Inzwischen gelang es mir einen Block mit liniertem Papier zu bekommen. Nach und nach werde ich ja wieder alles zusammenbekommen.
Nun hat der Tommy wieder einige Angriffe auf Berlin gestartet, die scheinbar wieder nicht von schlechten Eltern waren, wie es die Abschussziffern beweisen. Heute hörte ich das erste Mal wieder Radio. Vor dem OKW-Bericht hörte ich die sog. Luftlage-Meldung. Dies ist sicher eine neue Einrichtung wie der Draht-Funk. Diese Einrichtungen sind doch für die Bevölkerung sehr vorteilhaft, da kann man sich wenigstens vorher schon etwas einrichten. Diese Luftlage-Meldung wird sicherlich öfter am Tage gebracht, so daß auch die, die kein Telefon haben im Bilde sind. Trotzdem können diese Einrichtungen auch nicht die großen Schäden und Verluste so vermindern, daß es wesentlich ins Gewicht fällt. Habt Ihr eigentlich noch den Apparat? Sicher doch, Ihr werdet doch nur den Musikschrank in Sicherheit gebracht haben. Da Ihr durch Schultkes in den Bunker am Hermannplatz etwas unterbringen konntet, nehme ich an, daß dort nicht jeder Zutritt hat, um etwas unterzubringen.
Im Lazarett ist jetzt schon ein kleiner Fortschritt zu verzeichnen. Einen Stock tiefer ist ein Radio aufgestellt worden. So können wir wenigstens etwas von der Kultur genießen. Wenn jemand im Radio spricht, kann man ja nichts verstehen, aber das ist manchmal ganz gut, so wie heute z.B. als einer wieder eine Vergeltungsrede schwang. Auch auf die andere politischen Ergüsse müssen wir daher leider verzichten. Durch die Zeitungen werden sie uns aber Gottseidank ungeschmälert wieder gegeben. Die Musik ist uns natürlich am liebsten, man fühlt dabei doch wenigstens etwas von der Heimat, die wir solange entbehren müssen, um die Heimat zu schützen, die vor der Vernichtung steht, wenn sie sich nicht selber hilft! Wenn ich vorhin schrieb, daß wir etwas von der Kultur „beleckt“ worden sind, so hat man uns auf der anderen Seite wieder etwas vom Essen abgezogen, weil einige Hungerkünstler – denn andere könnten es nicht – zuviel Brot übrig gelassen haben. Jetzt erhalten wir morgens und abends nur noch je zwei Klappstullen und das Mittagessen. Das geht natürlich auf die Dauer nicht, wir müssen uns eben wieder beschweren und ich weiß, daß wird wieder helfen; denn der Chefarzt, der leider nicht hier wohnt und nicht immer hier sein kann, sagt einmal zu uns: „Satt werden müsst Ihr“ Darauf berufen wir uns natürlich. Ich habe mir jetzt einen kleinen Zusatz zu der Verpflegung verschafft, indem ich mir etwas Speck kaufen ließ. Ich mußte zwar den üblichen Schwarzhandelspreis zahlen aber was tut es, einmal kann man es sich leisten. Das Kilo Speck kostet hier 45,- Mark. Ich nahm nur ein Pfund. Es reicht schon für einige Male zum Abendbrot. Eier kann man hier auch bekommen, die kann man sich dann in der Küche zurecht machen lassen. Ein Ei muß man hier mit 1,- Mark bezahlen. Ich glaube aber von Speck hat man mehr, man kann ihn auf mehrere Mahlzeiten verteilen. Zigaretten kann man nicht gegen Speck eintauschen. Es ist höchstens möglich, die Zigaretten zu verkaufen und dann dafür Speck zu kaufen. Für 12 Zigaretten bekommt man 4,- Mark. Man müßte also sechs zwölfer Packungen haben, um nur ein Pfund zu bekommen. Das ist natürlich unrentabel. Da schicke ich lieber die Rauchwaren nach Hause und verzichte auf die „Fressalien“. Denn so erworben würde es mir gar nicht schmecken. Nun aber genug zum Essen, sonst bekomme ich noch Hunger, das wäre jetzt unvorteilhaft, wo ich doch auf dem „trockenen“ sitze. Alkohol gibt es hier jeden 2. Tag: einen Korn-Schnaps, der – für mich jedenfalls – ungenießbar ist, den können sie sich ehrlich gesagt, an den Hut stecken. Gestern gab es pro Mann eine halbe Flasche Sekt, das ist an und für sich ganz schön, aber der Sekt war nicht viel wert. Na, man wir ja soooo anspruchslos. Ab und zu gibt es auch Bier, das ist ganz gut genießbar und wird auch ausreichend genossen. Auch in der Stadt kann man in den Speisehäusern Bier trinken. Nun Schluß damit.
Das Wetter hat sich wesentlich verschlechtert. Es ist ein starkes Schneetreiben und der Schnee liegt ca. 10 cm hoch. Auch die Kälte ist nicht minimal. Was tut sich um diese Zeit? Ja, ich denke oft an Grünau und betrachte auch oft die Bilder von dort. Ob das Bootshaus überhaupt noch steht, denn Grünau soll doch auch schwer in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Nur nicht daran denken, man macht sich nur unnötig das Herz schwer.
Das soll wieder einmal genug sein. Seid nun auf herzlichste gegrüßt und geküsst von

Euerm Lutz

 

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