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Brief (Transkript)

Ludwig Sauter an seine Schwester am 22.12.1943 (3.2002.0877)

 

Im Osten, den 22.12 43



Liebe Schwester!

Heute bekam ich Deinen Brief vom 26.11.43. Endlich wieder einmal etwas von Dir. Du wirst ja noch nicht wissen, dass unsere Frontbühne zur Zeit wieder mal aufgelöst ist. Es lässt sich eben hier in Rußland nicht mehr durchführen. Der Russe drängt zur Entscheidung, seine Offensive dauert schon 5 ½ Monate, und nimmt immer größere Ausmaße an. Wir müßten eben eine Armee-Front-Bühne sein, das wäre günstiger. Aber wir Sauters sind doch schon immer große Pechvögel gewesen und werden es immer bleiben, ausserdem sind wir viel zu gesund. Ein gesunder Mensch kommt hier nicht raus. In dieser Beziehung ist es bei uns ganz düster. Nun hat unser General noch das Eichenlaub bekommen, da ist es ganz Essig mit dem rauskommen. Zur Zeit brauchen sie bei uns wieder mal Infanteristen. Ersatz kommt keiner mehr, nun müssen alle Einheiten 20 % abgeben, ohne Rücksicht darauf, ob derjenige irgend ein Spezialist ist oder nicht. Oh, armes Deutschland!
Da schlägt man sich seit Anfang an in Rußland herum, und zu guter Letzt wird man dafür noch zur Infanterie versetzt. Morgen gehen diejenigen nun ab, wer es ist, steht noch nicht fest, also ich kann auch dabei sein. Mit Menschen allein können wir hier sowieso nichts mehr ausrichten, da hat der Russe zu viel schwere Waffen.
Mit unserer Deutschlandtournee ist es wahrscheinlich auch Essig. Ich hatte ja nie so recht daran geglaubt. Die Lage ist zu ernst und da kennt unser General keine Rücksichten. Versprochen hatte man es uns, aber halten tut man hier nichts, das war schon immer so. Ich hoffe nun stark, im Januar doch noch auf Urlaub fahren zu dürfen, allerdings darf ich nicht zur Infanterie kommen, dann ist es aus mit dem Urlaub, dann schiesse ich mir eine Kugel in den Kopf. Infanterist hier in Rußland heißt sterben oder wenn man Glück hat, schwer verwundet nach der Heimat zu kommen. –
In einigen Tagen ist nun heiliger Abend. Es wird diesmal wieder ein trauriges Weihnachten für uns werden, denn erstens wird uns der Iwan wohl kaum in Ruhe lassen, zweitens ist ja nichts da, an was man sich ergötzen könnte und es wird wohl weiter nichts kommen, da die Bahn nur Munition und wichtige Sachen transportieren dürfte.
Unsere Weihnachtspost kommt auch nicht mehr bis Weihnachten heran, also, was sollen wir da groß Feste feiern. Im Gegenteil ich werde froh sein, wenn der Quatsch vorbei ist. Im übrigen hätte ich bald vergessen, Dir zu Weihnachten das Beste zu wünschen, ebenfalls Alice und allen Anderen. Du darfst mir das nicht übelnehmen, man verliert hier jeden Sinn dafür und wird immer abgestumpfter. Dein kleines Päckchen, was Du mir Ende September geschickt hast, dass habe ich Dir schon in einem vorhergehenden Brief bestätigt. Es waren Zigaretten und Zucker drin. Habe schönsten Dank dafür. Ja, bei der Frontbühne hat es mir gut gefallen, wir hatten da ein schlaues Leben und sind viel eingeladen worden. Schade, dass diese schönen Zeiten nun wahrscheinlich für immer vorbei sind. Das es Dir gut geht, freut mich. Du wohnst ja wenigstens nicht in so einem luftgefährdeten Gebiet. Trotzdem ist man nirgends mehr sicher, das sieht man an Innsbruck. Dresden wird wohl auch bald dran kommen?! Alice wird wohl nun wieder bei Dir sein, nach ihrer Deutschlandtournee. Ihr Mann ist immer noch in Deutschland. Das schlauste Leben haben die doch bei der Luftwaffe.
Von zu Hause gibt es wenig zu berichten. Es ist vorläufig noch alles wohl und munter. Mit David sehe ich auch schwarz. Leider lässt sich David eben auch sehr gehen, aber die Hellerauer sind auch hässlich zu ihm. – Gretl hat mir Bilder geschickt wo Du mit Alice, Wölfi und meiner Frau drauf bist, ausserdem noch Dein Enkel. Die Bilder sind sehr hübsch geworden. So mein Schwesterchen, dass wäre wieder mal einiges von mir. Von hier gibt es sonst weiter nichts zu berichten. Die große Lage ist Dir ja bekannt. Der Winter ist hier noch nicht so richtig eingezogen. Es liegt wohl schon Schnee, aber seit gestern taut es wieder.
Also, bis zum nächsten Brief.
Viele herzliche Grüße und Küsse und ein besseres „Neues Jahr“
Dein Bruder Ludwig

 

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