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Brief (Transkript)

Heinz Sartorio an seine Schwester am 11.3.1944 (3.2002.0827)

 

O.U., den 11.3.1944



Liebe Elly!

Ich sitze nun wieder einmal hier in wundervoller Stimmung und warte auf Post von Dir. Es muss ja wieder einmal toll in Berlin gewesen sein. Ich möchte nur wissen, wie lange diese irrsinnigen Angriffe auf Berlin noch anhalten sollen. Ich glaube doch, dass man da bald die Nerven verlieren kann. Ich habe jedenfalls schwer gelitten und bin reichlich nervös. Ich wüßte auch keinen, dem es unter diesen Umständen anders ginge. Da ich nun jetzt doch nichts weiter machen kann, als auf Post zu warten, will ich wenigstens Deine Briefe beantworten!
Zu bestätigen wären: 2 Päckchen mit Äpfeln, L-Brief v. 2.3. u. L-Karte vom 6.3. Außerdem noch verschiedene Päckchen mit Zeitungen. - Über die Äpfel habe ich mich sehr gefreut. Sie kamen tadellos verpackt und in bestem Zustand an. Schmecken ganz ausgezeichnet. Ich teile sie mir ein, damit ich recht lange davon etwas habe. Habe mich heute auch schon bei Onkel Alex bedankt. L-Karte vom 6.3. 18,00 Uhr Aufgabestempel, kam am 9.3. mittags hier ah und war also schon am 8.3. nachmittags auf der Post. Ging fabelhaft schnell. Weiß nun wenigstens, dass Du den 1. Angriff gut überstanden hast. Leider waren aber inzwischen schon wieder . 2 Angriffe und da habe ich noch keine Nachricht, Zu meinem Entsetzen habe ich im Radio gehört, dass gerade die Außenbezirke betroffen sein sollen und dass außerdem die Wetterlage ungünstig war. Bin in entsprechender Stimmung. - Die Zeitungen machen mir Immer Freude, denn ich habe sonst nichts zu lesen. Unsere Bücherei, die ich jetzt habe, taugt nicht viel. Es ist moderne und tendenziöse Literatur und viel Kriegsliteratur. Habe dafür kein Interesse. Außerdem habe ich jetzt auch gar nicht Zeit, um ein längeres Buch zu lesen. Die Unterbrechungen sind immer zu groß. - Brief vom 6.3. ah die Dienststelle kam heute an. Den Brief hättest Du Dir sparen können, denn die Dienststelle bin ich -selbst. Sämtliche Post wird von mir geöffnet und meist selbständig bearbeitet. Ich könnte nur antworten, dass von hier aus eine Nachforschung nicht möglich ist, da wir keine Aufgabequittung haben. (Du hast ja auch wohl das Päckchen offen, also nicht per Einschreiben geschickt.) Ist auch sowieso egal. Sicher ist das Päckchen bei einem Luftangriff verloren gegangen. Es hat keinen Zeck, danach zu forschen. Die Post kann da auch, nichts machen. Du hast ja wohl auch schon eine neue Brille bestellt und wenn zufällig der Optiker noch leben sollte, wird er ja wohl auch die Bestellung ausführen. Schicke dann bitte die Brille per Einschreiben an die Dienststelle. Falls die Post es nicht annimmt, dann könnte es durch die Kommandantur Berlin gehen. Aber die Arbeit brauchst Du Dir nicht zu machen. Wenn das Päckchen verloren geht, ist sowieso nichts zu machen. Ich danke Dir auf jeden Pell für Deine Mühe. Und nun die Beantwortung Deines Briefes vom 2.3.:
Hoffentlich bist Du zufrieden mit meinem Brief zu der Wohnungsangelegenheit. Falls noch etwas kommt, kannst Du ja das Datum ändern. Das fällt vielleicht gar nicht auf. - Deine Ansicht zur Lage: Ich bin erstaunt über Deinen Optimismus. Irgendetwas müsste kommen, denn es ist ja nicht denkbar, dass eine Regierung das Volk mit leeren Versprechungen tröstet, bloß um den Krieg zu verlängern, der, wenn nicht etwas besonderes eintritt, sowieso verloren wäre. Auf die schlechte Stimmung bei den Feindstaaten zu rechnen ist schon richtig, nur darf man seine Hoffnungen nicht, nur darauf stützen. Allerdings ist bei demokratischen Staaten eine Kriegsmüdigkeit viel gefährlicher, als bei diktatorisch regierten Staaten wie Russland. Wenn aber Amerika ais Gegner ausfällt und England dann besiegt werden kann, was ich ohne weiteres annehmen ' möchte, dann ist der Krieg auch für uns gewonnen, denn die Front in Rufland wird z.Zt. mit einer Hand voll Soldaten gehalten die unter unglaublichen Schwierigkeiten Leistungen vollbringen, die ans unmögliche grenzen. So bedrohlich die Absetzbewegungen vielleicht auch erscheinen, so unwichtig sind sie vielleicht. Ich denke an den Weltkrieg, wo man den Vormarsch der Rußen für wichtiger hielt and den Vorteil an der Westfront nicht ausnützte. Damals hätten wir Frankreich besiegen können, dafür aber Ostpreußen einstweilen an den Rußen verloren. Das wäre aber nicht wichtig gewesen, weil wir dann alle Kraft gegen Russland hätten einsetzen können und sowieso zu einem Sieg gekommen wären, da Russland ja keine moralische Kraft hatte. Heute ist es vielleicht ähnlich, wir können das nur nicht übersehen. Wenn wir die Kraft haben um im Westen zu siegen, dann kann der Ruße ruhig bis Berlin kommen. Er wird dann seinen Vorteil auch halten können, wenn, wir im Westen frei sind. Nur von diesem Gesichtspunkt gesehen kann ich uns eine Chance geben. Sonst sehe ich nur schwarz für uns. Wenn wir den Krieg verlieren, dann können wir nie wieder ein Leben führen, wie wir es gewöhnt waren, und selbst wenn wir 100 %ig gewinnen, werden wir vielleicht keine rosige Zukunft haben, denn die Schäden die wir erlitten haben sind ja so unglaublich, dass sie in Jahrzehnten nicht gut gemacht werden können. Wir werden uns in die neue Zeit sowieso nicht reinfinden. -Luft wird bei 273 flüssig. Ich glaube, sie kann in fest verschlossene Behälter abgefüllt werden, ohne einen besonderen Druck zu haben. Der Druck entwickelt sich erst bei Öffnung der Behälter, und ich glaube, er ist noch viel höher, als bei Pressluft, wie sie ja wohl die Minen enthalten. Außerdem dürfte durch Reibung eine entstehen, die sehr beträchtlich ist. Ich weiß das aber alles nicht genau. Es sind nur Überlegungen von mir. Ich denke dabei an den Durchbruch durch die Maginotlinie. - Wie ich Dir schon geschrieben hatte, ist mir das Imi geklaut worden. Ich habe hur noch ein Päckchen Seifenpulver.(Es kenn auch Soda sein, ich weiß es jetzt nicht genau.) Auf jeden Fall schicke ich Dir das. Mit Kernseife bin ich auch knapp, Rifseife habe ich dagegen in Mengen. Will sehen, dass ich Dir aber auch etwas Kernseife schicken kann. Mache Dir aber nicht viel Hoffnung. Das Absatzleder habe ich ganz vergessen. Notiere mir aber jetzt Deine Wünsche und werde sehen, sie so schnell wie möglich zu erfüllen. - An Marianne ist schon lange ein Brief von mir fällig, nur habe ich jetzt zu wenig Zeit. Ich schreibe fast nur noch an Dich und Papa. Habe alle andere Korrespondenz aufgegeben, bzw. schreibe da nur noch alle 4 Monate. - Über München erwarte ich Bericht. Du hast ganz recht, wenn Du Dir keine schöne Stunde entgehen lässt. Ich habe Dir je selbst dazu geraten. Nur möchte ich Dir raten, immer sehr zurückhaltend zu sein, denn die Menschen sind sehr schlecht, besonders im Kriege. - Witze kenne ich auch in Mengen, meist durch Urlauber. Ganz prima Sachen. Der Stil der nächsten Zeit wird übrigens der "Barockstil" sein. Eine nette Ergänzung zu Deinem Witz. Die anderen Sachen später. -Bücher gibt es in den nächsten Jahren nicht mehr. Es ist alles in Trümmer gegangen. Ich tröste mich aber damit, dass Dein Bücherschrank groß genug ist, um mich einige Monate zu versorgen, vielleicht sogar auch Jahre. Wenn nur das Haus stehen bleibt. - Der Einspruch betr. Einquartierung wird sowieso keinen Zweck haben. Ich möchte Dir raten, einen anständigen Herrn einzuquartieren. Dann hast Du wahrscheinlich Ruhe und auch keine Nachteile durch den Mieter. Allerdings wäre es vielleicht sowieso gut, mich anzumelden. Ich habe an Berlin sowieso kein Interesse mehr. In dem Schutthaufen würde ich wohl nie das Grauen los werden. - Der Wasserkeller als Luftschutzraum ist nicht schlecht. Mach evtl. noch Versteifungen rein und eine gute Decke rüber und einen Wall als Splittersicherung. Da kannst Du Bretter rüberlegen und hast immer die Möglichkeit, das Haus zu beobachten. - Mir wäre es verdammt lieber, ich könnte jetzt in Berlin sein und Dir helfen, wenn etwas passiert. Aber verlassen wir uns schon auf unser Glück. Einige werden ja doch übrig bleiben und vielleicht sind wir das Nur zweifele ich manchmal, ob das wirklich ein Glück wäre. - Das wäre nun, glaube ich alles, was zu Deinem Brief zu sagen wäre. Ich will nun noch etwas von hier schreiben:
Die Lage ist nach wie vor unverändert. Ich habe noch immer unheimlich viel Arbeit. Das Schlimme ist nur, dass mich kein Mensch dabei unterstützt. Ich mache alles selbständig und Arbeiten, die mir überhaupt nicht zukommen. Das Telefon bimmelt ununterbrochen bis in die späte Nacht. Der Spieß läuft besoffen herum und quatscht dazwischen und pöbelt die Offiziere, mit denen ich viel zu sprechen habe an. Ich kann dann immer zusehen, wie ich alles in Ordnung bringen kann. Wenn es zu bunt wird, brülle ich den Spieß an und dann gibt es ein großes Spektakel. Er nimmt mir das übel, obgleich er froh sein kann, dass ich ihn nach Möglichkeit nicht ans Telefon lasse. Ich habe aber bald nicht mehr die Nerven zu diesem Theater und lasse alles laufen, wie es lauft. Gestern war ich krank (dazu nachher noch) und habe keinen Dienst gemacht. Erfolg war, dass alles durcheinander ging denn der Spieß war wie immer besoffen. Heute kam nun eine Zigarre nach der anderen und sogar mit Kriegsgericht wurde gedroht, weil eine wichtige Aufgabe nicht termingerecht erfüllt wurde. Ich habe mich darüber gefreut, denn diese Kameraden benehmen sich unmöglich. Man möchte bald annehmen, sie sabotieren den Krieg. - Jedenfalls haben wir jetzt eine Zeit, wie, sie noch nie war. So viel Arbeit gab es bei meiner Einheit überhaupt noch nicht und die Anforderungen werden womöglich noch gesteigert. Die größte Schwierigkeit liegt in der Durchführung von Transporten mit Kfz. Die Straßen sind derart verschlammt, dass selbst die Panjewagen nicht mehr durchkommen. Der Schlamm ist grundlos. Zu meinem Chef komme ich nur noch mit dem Sturmboot. Eine ziemlich wilde Sache, die mir aber keinen besonderen Spaß macht. Das Wetter müsste besser sein. Ich bin jetzt Überhaupt mehr für Ruhe. Von mir aus kann der Krieg sofort zu Ende sein. Wenn ich nur meine Ruhe habe. Ich glaube, ich werde alt. - Die Verpflegung war, seit wir hier sind, sehr schlecht. Heute haben wir wieder gefasst und so gut, wie nur selten. Mir unbegreiflich. Es gibt fast friedensmässige Leberwurst und Blutwurst. Ich bin direkt begeistert. Auch gibt es nur selten warme Abendkost, während es vorher fast nur warme Abendkost gab. Aber mir. ist das schon recht, besonders hier, wo man. von der armen Bevölkerung nichts bekommen kenn. Es geht also wieder aufwärts.
Das Wetter ist trübe. Meist nieselt es etwas. Frost nur nachts. Einmal haben wir jetzt gerade einen schönen Tag gehabt. Aber die schönen Tage dürften in dem Sumpf auch nicht gerade besonders gesund sein. Ich rechne mit viel Fieberkrankheiten. Wir werden auch schon laufend geimpft. Auch gegen Fleckfieber, obgleich diese Impfungen sehr teuer sind. Mir ist es recht, denn vor Fleckfieber habe ich erheblich Angst. Z.Zt. habe ich aber keine Läuse. Nur Flöhe. Die machen mich auch fertig. Die Ratten und Mäuse die hier nachts und auch am Tage herumtollen stören mich dagegen nicht. Ich werde nur noch selten wach, wenn sie mir über das Gesicht laufen. (Ich gehe wieder mal zu Boden statt zu Bett.) Sonst ist es aber ganz nett hier. Man gewöhnt sich auch an das sturste Leben. Es gibt nur Arbeit und keine Abwechslung. Unser Radio habe ich auch kaputt gemacht und die Reparatur dauert erheblich lange. Ich habe auf Netz gespielt und da bekam der Apparat plötzlich einen so starken Stromstoß, dass alles durchgebrannt ist. Sicherungen, Röhren und Wicklungen. Eigentlich schaltet der Apparat selbständig aus, diesmal hat er es aber verpasst. Wir haben nun überhaupt keine Unterhaltung mehr. Ich stapele nur immer Deine Zeitungen und lese mir sie durch, wenn ich gerade mal Zeit habe. -
Gesundheitlich geht es mir noch gut bis, ja, bis auf meinen Bandwurm. Das war für mich eine unangenehme Entdeckung. Habe daraufhin gestern sofort eine Kur gemacht. Es war eine Pferdekur und ich bin noch ganz schwach in den Knien, und dabei ist der Erfolg noch gar nicht mal sicher. 4 m lang 2 m dick und ohne Kopf. Aber der hat sich vielleicht nur versteckt. Ich befinde mich jedenfalls schon wieder auf dem Wege der Besserung und kann auch schon wieder essen. Nun lache ich die Kameraden aus, die nicht den Mut zu der. Kur haben und weiterhin ihren Untermieter ernähren. Bandwurm ist nämlich jetzt bei uns große Mode. Deine Mausefallen bewähren sich fabelhaft und klappen den ganzen Tag. Rekord bis jetzt 8 Stück. Ist aber nur Spielerei, denn die Biester werden sowieso nicht alle.
Sonst wäre nun eigentlich von hier weiter nichts zu berichten. Mir Urlaub bin ich im Mai dran. Daran hat sich bisher noch nichts geändert. Ich warte schon darauf, wie noch nie. Ich muss wissen, wie es in der Heimat aussieht. Das lässt mir keine Ruhe. Hoffentlich kommt nicht etwas bei dem Urlaub dazwischen.
Jetzt muss ich nun Schluss machen, denn es ist 18,oo Uhr und der Großbetrieb geht gleich los. Da kommt die Dienstpost und ab 21.00 Uhr geht das Telefon wieder auf Hochtouren.
Ich hoffe nun dass ich bald von Dir Post bekomme und dass Du mir nur Gutes zu berichten hast. Das ist immer meine größte Sorge. Und dann habe ich den Wunsch, dass der Bombenkrieg bald ein Ende hat und wir damit eine Hoffnung auf ein gutes und baldiges Ende des Krieges überhaupt haben können. Hoffentlich geht dieser Wunsch in Erfüllung.
Und nun wünsche ich Dir weiterhin alles Gute und
recht herzlichen Gruß
Heinz
Eigentlich müsstest Du jetzt schon das Schmalz und die Zigaretten haben.
Schreibe, mir umgehend, wenn die Päckchen eingetroffen sind. Ich würde mich ewig ärgern, wenn diese wertvollen Sachen bei einem Luftangriff draufgehen oder geklaut werden. Ich kann nämlich jetzt nichts besorgen. Bin froh, wenn ich zurecht komme, was mir allerdings bisher immer gelungen ist.
Nochmals herzlichen Gruß
Heinz

 

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