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Brief (Transkript)

Heinz Sartorio an seine Schwester am 3.12.1943 (3.2002.0827)

 

O.U., den 3.12.43



Liebe Elly!

Nun sind wir endlich aus dem Hexenkessel heraus und gleich bis weit ins Hinterland gefahren. Wir liegen jetzt fast 200 km hinter der Front Die letzten 120 km ging es im flotten Tempo, denn wir waren inzwischen auf die große gepflasterte Straße gekommen die von Westen nach Osten geht. Die 200 km die wir aber vordem gefahren sind, waren dafür um so toller. Es ging immer dicht hinter der Front entlang und der Ruße war uns dauernd auf den Fersen. Mehrmals brach der Ruße dicht hinter uns durch und besetzte die Rollbahn. Es drehte sich oft nur um wenige Stunden. Einmal brach er auch vor uns durch, konnte aber zurückgeschlagen werden, sodass uns der Ausweg aus dem Sack offen blieb. Der ganze Marsch dauerte über eine Woche, da die Rollbahn dauernd verstopft war und die Fahrzeuge oft in dem Schlamm stecken blieben und herausgeschleppt werden mussten. Mitunter waren auch Brücken eingestürzt und mussten umfahren werden, was stets mit außerordentlichen Schwierigkeiten verbunden war. Da wir nicht alle Anhänger auf einmal wegbringen konnten, wurden 3 Zugmaschinen mit einem Feldwebel, einem Uffz. und 15 Mann zurückgeschickt. Inzwischen war nun der Ruße durchgebrochen und damit waren unsere Leute abgeschnitten. Ob sie nun nach einer anderen Seite ausweichen konnten und aus dem Sack herausgekommen sind, wissen wir nicht, da wir bisher noch keine Nachricht haben. Die ganze Armee hat sich aufgelöst und es ist ein furchtbares Durcheinander. Von einer vorgesetzten Dienststelle sind wir aber darauf vorbereitet worden, dass wir die Leute nicht mehr wiedersehen werden. Das wäre ein sehr schwerer Schlag für uns, ein mal wegen der Leute und dann auch wegen der wertvollen Fahrzeuge, denn auch 2 Lkw. die geschleppt werden mussten, waren dabei. Der Kamerad mit dem ich auf Urlaub war, ist übrigens auch bei den Vermissten. Ja, diesmal sind wir richtig eingebrochen. Es war wohl die schwerste Zeit für uns und überhaupt war dieses Jahr allerhand los. Wenn ich mehr Zeit und Lust habe, schreibe ich über die ganzen Erlebnisse der letzten Wochen noch einmal ausführlich.
Jetzt sind wir nun also weit im Hinterland, trotzdem ist aber auch hier vom Krieg allerhand zu spüren. Der Chef fuhr mit seinem Pkw. und einem Fw. als Quartiermacher voraus. Ich sollte mit dem Volkswagen folgen. Unterwegs fielen wir aber aus und konnten die Karre nicht mehr zum Laufen kriegen. Das war vielleicht mein Glück. In einer größeren Stadt, in deren Nähe wir jetzt liegen, ging der Fw. über die Straße zum Soldatenheim. In diesem Augenblick fuhr ein fremder Lkw. auf eine Mine und der F. wurde durch Splitter am Kopf verletzt. Wenn ich mit dem Volkswagen dabei gewesen wäre, hätte ich bestimmt neben dem Fw. gestanden und auch ein paar Splitter abbekommen. Da habe ich also wieder mal Glück gehabt. Das unglaubliche an der ganzen Sache ist bloß, dass die Partisanen die Frechheit besitzen, mitten in einer belebten Stadt Minen zu legen, oder Höllenmaschinen zu werfen. Es ist hier überhaupt eine der tollsten Partisanengegenden die es gibt. Längs der belebten Asphaltstraße haben die Partisanen hinderte von Telegraphenmasten umgesägt. Die Leitungen sind dauernd gestört. Überall Sabotage, Überfälle und Minenanschläge. Dieser Kleinkrieg macht uns ungeheuer viel zu schaffen und wirkt sich erheblich auf die Kampfhandlungen an der Front aus. Südlich von uns ist ein riesiges Sumpfgebiet das voller Partisanen steckt und von uns überhaupt nicht besetzt ist. Das Gebiet zieht sich von der Grenze bis zur Front hin. Durch den großen Durchbruch der Russen besteht nun die Gefahr, dass sich die regulären Truppen mit den Partisanen verbinden. Das wäre eine Katastrophe von ungeheuerem Ausmaß. Wir müssten dann wahrscheinlich das ganze Russland aufgeben und die Front weit zurücknehmen. Vielleicht besteht auch diese Absicht. Ich würde das bestimmt für das Beste halten, obgleich der Verlust dieser großen Gebiete für uns ein erheblicher wirtschaftlicher Verlust wäre. Andererseits büßen wir aber auch so viel ein. Aber darüber brauch ich mir ja nicht den Kopf zu zerbrechen. Man wird schon das Richtige machen.
Einstweilen haben wir nun provisorisch Quartier in einem Dorf bezogen. Das Dorf ist wieder ein richtiges Schlammnest, die Quartiere sind aber ganz ordentlich. Nur ist es verdammt kalt in den Buden. ES gibt hier wieder mal keinen Wald und daher ist Holz eine Rarität. Die Bevölkerung ist sehr freundlich und erfüllt uns jeden Wunsch. Ob nun aus Angst oder aus anderen Gründen, oder weil alle vielleicht ein schlechtes Gewissen haben weiß ich nicht. Ist mir auch egal. Zunächst genieße ich das angenehme Verhältnis. Heute habe ich nun auch meine Wäsche waschen lassen und mich selbst auch erst wieder mal richtig gewaschen. Da fühlt man sich nun doch wieder etwas wohler.
Wie lange wir nun hier bleiben, weiß ich noch nicht. Das wird sich erst in den nächsten Tagen entscheiden. Dass wir in diesem Jahr noch einmal zum Einsatz kommen, glaube ich nicht, denn es beginnt jetzt ernsthaft zu frieren und da kann man uns ja nicht mehr gebrauchen. Ich hoffe» dass wir bald zur Auffrischung kommen. Wahrscheinlich geht es dann in eine größere Stadt in Polen. Die Auffrischung haben wir jedenfalls dringend nötig, denn durch die schlechten Wege haben die Fahrzeuge sehr gelitten und müssen alle gründlich überholt werden. Das dauert dann mindestens 8 Wochen. Der Urlaub ist für unsere Armee noch gesperrt, da wir aber eine andere Unterstellung bekommen, werden wohl bald wieder Urlauber fahren können. Ich würde das sehr begrüßen, denn ich möchte auch bald mal der fahren. - Post haben wir schon wochenlang nicht bekommen und es steht auch keine Aussicht, dass wir in nächster Zeit welche bekommen, dem unser Postamt ist noch nicht aufzufinden. Hoffentlich haben es nicht die Rußen geschnappt. Dann wären wieder mal die Päckchen verloren. Für mich ist nur das Schlimme, dass ich keine Nachricht bekomme, wie es bei Euch in Berlin aussieht. Nach all dem was man so hört, muss es ja wieder mal ganz schlimm gewesen sein. Ich kann immer nur hoffen, dass wenigstens Euch nichts passiert ist. Der ganze Krieg hier macht mir bestimmt nichts aus, aber die Luftangriffe auf Berlin kosten mich Nerven. Wenn das bloß aufhören würde. Hier ist es ja auch nicht gerade angenehm, besonders, wenn man jeden Augenblick damit rechnen muss, in ruß. Gefangenschaft zu geraten, aber so schlimm wie die Angriffe auf das Reich ist es dann doch nicht. Es wird jedenfalls höchste Zeit, dass man da eine Abhilfe schafft Diese Angriffe müssen unbedingt unterbunden werden. Wenn wir nicht mehr zum Schutz der Heimat kämpfen, weil die Heimat zerstört und verwüstet ist, dann hat der ganze Krieg bald keinen Sinn mehr für uns. Aber das Gerede hat ja alles keinen Sinn. Ich hoffe nur, dass Ihr alles gut überstanden habt und dass ich bald eine Nachricht von Euch bekomme. Sonst habe ich nun einstweilen nichts weiter zu berichten. Die Verpflegung ist weiterhin sehr gut und Marketenderwaren haben wir auch reichlich bekommen. Ich habe also nichts zu entbehren. Für heute will ich nun Schluss machen. Ich schreibe bald wieder. gleicher Post gehen an Dich 5 Päckchen mit Machorka und deutschem Tabak ab. Gib doch bitte Onkel Alex und Papa auch davon etwas nach Deinem Ermessen ab. Ich wollte nicht so viel einzelne Päckchen machen. Machorka habe ich nun jetzt nicht mehr. Du musst ja nun auch einen ganz schönen Vorrat haben, wenn die Päckchen alle angekommen sind. Wie ich gehört habe, werden im Reich 20,— RM für ein Päckchen Machorka gezahlt. Ich schreibe das nur, damit DU Dich nicht übervorteilen lässt, wenn Du tauscht
In der Hoffnung, dass ich bald von Dir gute Nachricht bekomme, will ich nun Schluss machen.
Lass es Dir weiterhin recht gut gehen
und recht herzlichen auch an Onkel Alex
Heinz

 

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