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Brief (Transkript)

Heinz Sartorio an seine Schwester am 18.8.1943 (3.2002.0827)

 

O.U., den 18.8.43


Liebe Elly!

Ich weiß jetzt nicht, ob ich Dir Deinen Brief vom 3.8. schon bestätigt habe. Inzwischen ist aber nichts weiter gekommen, trotzdem Du geschrieben hattest, dass Du mir häufig Nachricht zukommen lassen wolltest. Es wird ja aber wohl auch nichts besonderes vorgekommen sein. Heute kamen die Postholer, von Dir war aber auch nichts dabei. Das ist nun einstweilen das letzte mal, dass wir Post bekommen haben. Inzwischen tritt nun eine kleine Pause ein, da wir die Post umgemeldet haben. Anfang nächster Woche wird es erst wieder Post geben. Die Parole von dem Ultimatum war nun also doch wieder mal unrichtig. Es ist ja keine von den angekündigten Aktionen erfolgt. Ich freue mich einmal über die Tatsache und das andere Mal ist es Schadenfreude, weil sich die Berliner blamiert haben. Die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit eines Angriffs bestreite ich ja keineswegs, aber was soll da werden, wenn schon vorher eine Panik ausbricht, noch bevor etwas passiert ist. - Der Kamerad aus Hamburg hat Post bekommen. Alles ist in Ordnung. Er wohnt also scheinbar in einem der 180 angeblich noch stehenden Häuser. Seine Frau schreibt allerdings, dass sie tagelang nicht aus dem Keller kamen, 1. wegen der Hitze und 2. wegen der andauernden Angriffe. Sämtliche Bahnhöfe sind zerstört. Auch soll keine Straße verschont sein, aber der 1. Eindruck ist sicher schlimmer, als der Eindruck den man bekommt, wenn die Aufräumungsarbeiten erst beendet sind. - Ein Urlauber der aus Mainz kommt sagt, dass zwar ständig Angriffe sind, dass aber die entstandenen Schäden gar nicht so erheblich sind. Auch ein Urlauber aus Köln sagt das. Es ist also doch sicher vieles Übertreibung. - Die Stimmung soll allerdings katastrophal sein. Ich verstehe das schon sehr gut, aber ich bin trotzdem gegen die Parole: Frieden um jeden Preis! Die Leute sollen sagen, was und wohin sie wollen und nicht sinnlose Meuterei betreiben. Wenn dieser Krieg keine vernünftige Entscheidung über die Zukunft Europas bringt, dann gibt es bald doch wieder einen neuen Krieg, denn ich glaube nicht, dass uns Amerika oder England eine bessere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bringen können, die Wert für lange Zeit hat. Ich sehe jedenfalls eine recht schwarze Zukunft. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie ein Frieden aussehen soll. Unsere Feinde sind sich ja darin bestimmt auch nicht einig, denn weder wird der Ruße seine Ziele aufgeben, noch der Amerikaner oder Engländer ihm irgendwie nachgeben, wenn dadurch ihre Interessen bedroht sind. Wir können uns das zu Nutzen machen, wenn wir das Zünglein an der Waage sind. Vielleicht verstehst Du nun, was ich will und weshalb ich die Lage als gar nicht so hoffnungslos ansehe, wenn wir nur einmal einen geschlossenen politischen Willen zeigen und uns für irgendeine Richtung entscheiden und nicht immer unsere eigenen Ideen durchsetzen wollen, selbst wenn wir uns die ganze Welt dadurch zum Feinde machen. Deutschland ist durch seine Lage gezwungen, eine Rolle in der Politik zu spielen, wir können aber erst dann damit Erfolg haben, wenn das Volk politisch denkt und handelt. In der Politik kann man nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen, sondern muss sich drehen und wenden, lügen und betrügen, selbst wenn es einem gegen den Charakter geht. Wenn das Volk das heute nicht einsieht und danach handelt, dann wird es keine frohe Zukunft haben. Dann wird es immer der Prügelknabe sein und hat es sich auch redlich verdient. Diese kleinliche Meckerei und Hetze die jetzt getrieben wird, kann ich nur verdammen. Wir müssen alles, was heute und morgen passiert nicht nur für den Augenblick, sondern vor allem für die Zukunft werten. Aber nun genug davon. Ich kann Dir meine Meinung doch nicht mit wenigen Worten klar machen, denn Du schreibst ja immer wieder, dass ich scheinbar der letzte Mensch bin, der zur Vernunft kommt. Das beweist mir, dass Du nicht verstehst, was ich schreibe.

O.U., den 19.8.43
Nun ist der Brief doch wieder nicht fertig geworden. Es war aber auch ganz gut so, denn gestern Abend kam schon die erste Post. Es ging dies mal ungewöhnlich schnell. Von Dir war dabei: die L-Karte v. 12.8., Zeitungen, ein Buch und ein großes Päckchen mit 1 Hemd, Senf, Äpfel hättest du aber nicht schicken brauchen, denn wir sind ja jetzt in einer so gesegneten Gegend, wo es auch Äpfel gibt. Der Senf aber kommt mir wieder sehr gelegen. – Inzwischen wirst Du aber wohl auchein Päckchen von einem Kameraden bekommen haben, das er Dir auf meine Veranlassung geschickt hat. Inhalt 1l Öl. Du wirst es ja gut gebrauchen können. Die Sache mit dem Speckn ist mir dagegen rätselhaft. Na, aber das wird auch schon noch klappen. Vielleicht kann ich auch wieder einmal etwas von hier schicken. Ich habe abernoch keine Beziehungen. Auch bin ich mit Geld verdammt knapp und kann nicht soviel kaufen, wie ich gerne möchte. Ich gebe alles Geld für Lebensmittel und Marketenderwaren aus. Für das Öl kannst Du mir übrigens 50 Zigaretten schicken. Ich glaube, daß es schon soviel Wert ist. Jetzt muss ich mich nun doch wieder mit dem Brief beeilen, da der Melder bald fährt und die Post mitnimmt. Und gerade heute geht die Luftpost ab. Also nur noch kurz, wie es bei uns jetzt so aussieht. Besondere Änderungen sind bisher nicht eingetreten und auch in nächster Zeit nicht zu erwarten. Wir liegen hier in unserem üblichen Dornröschenschlaf und stellen nur immer laufend einzelne Kommandos ab. Vor 2 Tagen hatten wir zwar schon wieder einmal einen Einsatzbefehl, der aber schon nach einigen Stunden widerrufen wurde. Vom Krieg merken wir auch hier wieder nichts, dagegen ist in der Gegend, aus der wir kommen, jetzt allerhand los. Wir ziehen uns eben immer rechtzeitig zurück. Das Wetter ist jetzt nicht mehr so schön. Einige Tage war es sogar schon recht kühl und wir sind deshalb mit der Schreibstube in ein Haus gezogen. Kaum waren wir drin, da wurde aber auch schon das Wetter wieder schön. Es ist eben immer verkehrt. Sonst ist nun weiter nicht neues zu berichten. Ich schreibe in den nächsten Tagen noch mehr.
Einstweilen nun weiterhin alles Gute und recht herzlichen Gruß
Heinz

 

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