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Brief (Transkript)

Heinz Sartorio an seine Schwester am 27.6.1942 (3.2002.0827)

 

O.U., den 27.6.42.



Liebe Elly,
Bekam gestern auch wieder die Arbeit erst nach Feierabend und habe bis 9 ½ Uhr gesessen. Habe heute verschlafen und bin in letzter Minute ungewaschen und ohne Frühstück gekommen. Damit der Brief noch mit der Frühpost weggeht, nur schnell ein paar Zeilen. Soeben kam Post. Für mich 3 Päckchen mit Keksen + 1 mit Hautkrem, sowie Dein Brief vom 12.6. – Habe mich sehr gefreut. Recht, recht schönen Dank. Damit der Brief jetzt gleich mitgeht, kann ich Eure Zeilen jetzt nicht mehr beantworten. Bin in grösster Eile, daher das blöde Deutsch. Schreibe wahrscheinlich morgen mehr. Für heute also Schluss. Nochmals schönen Dank + recht herzlichen Gruss auch an Fred
Heinz

O.U., den, 27.6.42.

Liebe Elly,

Habe gerade wieder mal Zeit und will nun Eure Briefe beantworten. Zunächst etwas zu Freds Brief: Fred fragt, ob wir in der Kantine keinen Schuhkrem bekommen. Wie stellt Ihr Euch das mit der Kantine so vor? Ihr habt ja keine Ahnung wie das hier aussieht! Geld kann man auf anständige Weise überhaupt nicht los werden, höchstens, dass man mal ins Soldatenheim kommt und dort eine Scheibe Brot mit Kaffee für -,50 RM ersteht. Sonst gibt es nur alle 3 - 4 Wochen einmal Marketenderwaren. Ein paar Zigaretten (12-24 Stück) vielleicht noch 5 - 10 Zigarren, 8 - 10 Mann eine Flasche Alkohol und evtl. auch noch 5 Bogen Briefpapier und Fußpuder. Sonst gibt es aber auch nichts. Schuhputz gibt es also bei uns schon lange nicht mehr. Sofern man nicht noch etwas Lederfett zur Verfügung hat bzw. Schuhkrem aus der Heimat bekommt, bleiben die Schuhe eben dreckig.
Meine Wünsche sind nur noch; "Esbit", zu haben in Warenhäusern und alle einschlägigen Geschäften (d.h. wenn überhaupt vorhanden), Stangenbrillantine, Schuhkrem und Schreibpapier. Letzteres ist aber nicht mehr ganz so dringend, da ich inzwischen organisiert habe. Ein Konto brauchst Du vorerst nicht für mich anzulegen. Ist mir zu umständlich. Sollten meine Gelder sich wider Erwarten so sehr vermehren, dass die Anlegung eines Kontos erforderlich wird, gebe ich noch Bescheid —Von Lange würde ich heute, nachdem ich so lange nichts von mir habe hören lassen, doch nichts bekommen. Ich verzichte deshalb darauf, ihm zu schreiben. Vielleicht gibt es aber auf dem Tauschwege etwas zu kaufen. 1o Kaffeebohnen = 1 m Stoff, oder ähnlich. Auch einen getragenen Anzug würde ich gern nehmen, wenn er noch einigermaßen neu ist. Achte doch mal auf die Anzeigen in der Zeitung. Sind sowieso Interessant. Z.B. "Tausche Porträt gegen Bratpfanne" wobei das Porträt als Hitlerbild bezeichnet wird.
Die Berichte über Köln sind erschütternd. Selbst die Zeitungen geben ungeheuere Schäden zu. Wegen des sich für die Soldaten daraus ergebenden Ausnahmezustandes wird sicher L. auch nicht schreiben können. Vielleicht hat Fred aber auch recht. Ist immerhin auch wahrscheinlich. Irgendwelche Bemühungen für mich in die Zivilverwaltung zu kommen, halt ich für völlig Zwecklos. Wenn ich jetzt eine Bürotätigkeit bekomme, ist das auch nicht mehr so wichtig. Ich habe nur den einen Wunsch: einigermaßen anständig über diese Zeit zu kommen und vor allem, heil und gesund den Dreck zu überstehen. Irgendwelche Zukunftspläne machen, hat sowieso keinen Zweck, da wir ja noch gar nicht wissen, wie die Situation nach dem Kriege für uns ist. Ich fürchte nur, dass wir noch einige unangenehme Überraschungen erleben werden. Habe mir eben die Genehmigung geben lassen, privat zu schreiben, soweit es die Zeit erlaubt. Brauch nun nicht mehr so oft auszuspannen. Was die Ernte und überhaupt die Ernährungslage betrifft, bin ich ja nun weniger optimistisch, denn m.E. fehlt es ja überall an Leuten, die die Felder bestellen und die, die dazu gezwungen werden, sabotieren ja nur die Ernährungspläne. Ich denke dabei besonders an die polnischen Kriegsgefangenen. Auch sind ja viele Maschinen und Geräte überholungsbedürftig. Es greift eben alles ineinander und auf die Dauer leidet die Wirtschaft doch erheblich, wenn so viele Männer Soldat spielen und zerstören statt aufzubauen.
O.U. heißt "Ortsunterkunft" und ist eine der hier üblichen Abkürzungen deren es in Menge gibt.
Ich habe Dir ziemlich allen verfügbaren Bindfaden geschickt, nicht nur den, mit dem Deine Päckchen verschnürt waren. Die Kekse schmecken übrigens sehr gut, nach all dem vielen Kommissbrot. Sind leider als "Feingebäck" angekommen, d.h.: völlig zerkrümelt. Was die Ärzte betrifft, so ist das allerdings eine Katastrophe, denn viele sind nur durch die kriegsmäßig erleichterten Bedingungen durch das Studium gekommen. Was die Berufsauffassung betrifft, so verweise ich nur auf das Buch: "Die Zitadelle".
Tieffliegerangriffe sind wohl nicht ganz ungefährlich, Angst ist aber kein Mittel dagegen.
Die Mückenschleierangelegenheit hat sich ja inzwischen, erledigt. Ich habe das Ding schon, viel gebraucht und es hat wertvolle Dienste geleistet Nur meine Hände sind ganz zerstochen. Die Biester haben ein Riesenformat und kommen in ungeheueren Schwärmen. Die "Gucklöcher" sind Schiessscharten. Die Skizze fehlt, ist aber auch nicht nötig, da ich die Dinger zur Genüge kenne. Das wertvollste Zahlungsmittel ist übrigens Kaffee. Der Preis stimmt schon. Man kann dafür alles bekommen. Überlege Dir deshalb die Verwendung. Es steht Euch aber natürlich völlig frei, wie Ihr ihn verwendet und wenn Ihr ihm lieber trinkt, dann guten Durst! Zucker kann ich immer gebrauchen. Diesmal nehme ich ihn für den letzten Pudding den ich noch habe. Wenn Du aber noch Zucker übrig hast, kannst Du ihn ruhig schicken. Er wird bestens dankend angenommen und Verwendungsmöglichkeiten gibt es ja genug.
Wenn Ihr noch viel Streichhölzer habt, kannst Du auch ein paar Schachteln schicken. 4 Schachteln = 1 Itr. Milch. Ob allerdings der Preis überall gleich ist, weise ich nicht. Evtl. kann ich sie nicht eintauschen, wenn ich versetzt werden sollte. Würde sie aber dann für mich verwenden, wenn mein Feuerzeug mal versagen sollte, was übrigens eine Katastrophe wäre. Durch Urlauber aus dem Reich habe ich erschütternde Stimmungsbericht bekommen. Habe aber nichts anderes erwartet. Weiß nur nicht, wo die Stimmung besser ist, hier, oder in der Heimat. Was Verpflegung betrifft, so geht es uns ja einesteils noch besser als Euch, sofern Ihr nicht nebenbei etwas organisieren könnt. Hier ist das Zermürbende nur der Stumpfsinn und für viele die Gefahr in der sie ständig schweben und die manchmal allerdings sehr groß ist. Ich denke besonders an die, die auf einsamen Posten stehen und ständig von Partisanen bedroht werden. Scheinbar bekommen die Partisanen ständig Nachschub durch die Luft denn sie sind oft fabelhaft ausgerüstet und durchaus als reguläre Truppen anzusprechen, zumal sie mitunter auch in. Stärke von 10.000 Mann auftreten. Soeben kam Post, aber wieder nichts für mich. Aus Saarbrücken kommt auch nichts mehr. Scheinbar hat Papa wieder mal keine Briefumschläge mehr. Otto jr. hat ihm 100 Zigaretten für mich gegeben, die er aber aus Mangel an Umschlägen nicht absenden kann. Ich habe ihm geschrieben, dass er das nur niemand erzählen soll, wie unbeholfen er ist, da er sich sonst unsterblich blamiert. Hat aber scheinbar auch nichts geholfen. Schließlich werde ich auch ohne die Zigaretten auskommen, obgleich es nicht schön ist, wenn man nach der Ankündigung vergeblich wartet. Einen Spiegel brauche ich übrigens noch dringend, Das hatten wir ja ganz vergessen.
Gegen den unheimlichen Staub hier, sollen wir jetzt Halstücher tragen. Ob wir sie geliefert bekommen oder uns selbst beschaffen müssen, weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall soll es möglichst einheitlich sein. Es ist hier so üblich, dass die Einheiten gleichfarbig grellbunte oder auch gemusterte Tücher tragen, was den Landsern dann ein recht wildromantisches Aussehen gibt. Soeben erfahre ich, dass wir uns die Halstücher selbst beschaffen sollen. Wenn Du also einen nicht so großen seidenen Fetzen hast, kannst Du ihn mir auch schicken. Sicher hält solch Ding viel Staub ab. Soeben habe ich übrigens in unserem Privates ad gebadet. Das geht so vor sich: In einem Badehaus vor unserem Quartier ist ein Wasserkessel auf einem Ofen und ein weiterer Ofen zum Heizen. Außerdem haben wir 2 Badewannen organisiert. Wir waschen uns nun zuerst mit heißem Wasser und übergießen uns dann abwechselnd mit heißem und kaltem Wasser. Da in der Bude außerdem eine schreckliche Hitze und Dampf ist, bekommt die ganze Angelegenheit den Anstrich einer Sauna. Die man übrigens hier sehr oft findet. Fühle mich direkt wohl nach dem Bad. Manchmal hat der Alte doch ganz gute Einfälle. Den ganzen Tag hatte ich fast nichts zu tun und jetzt um 20 Uhr kamen sie noch mit Arbeit an. Es war mehr als den ganzen Tag über, hat aber auch nur eine 3/4 Stunde gedauert.
Mit Briefpapier kann ich ja jetzt aasen, d.h. solange ich auf der Schreibstube bin. Hoffe aber, dass morgen oder übermorgen der Urlauber zurückkommt, und mich ablöst, denn allein auf der Schreibstube ist nicht schön, da man sich den ganzen Tag nicht aus der Stube wagen darf. Auf einer größeren Schreibstube ist das schöner, da dort immer ein Schreiber vom Dienst eingeteilt wird, der dann Bereitschaftsdienst hat. Dazu kommt man dann nicht so oft und kann sich auch mal etwas anderes vornehmen und mit den anderen Kameraden Zusammensein. Jetzt bin ich hier wie ein Gefangener. Trotzdem es aber doch noch besser als der sonstige Dienst. Der andere Schreiber ist ins Lazarett gekommen. Hatte hohes Fieber und es besteht Fleckfieberverdacht. Genau weiß man das nie, da es hier sehr viel Fieberkrankheiten gibt und die Symptome oft die gleichen sind. Meist sind die Krankheiten sehr gefährlich, besonders da der Körper nicht mehr widerstandsfähig ist. Der Klimawechsel hatte uns z.B. sehr mitgenommen. Alle haben sofort abgenommen und fühlten sich gar icht wohl. Auch ich sehe wieder sehr blass und mager aus. Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bis ich mich erholt habe. Wenn ich auf der Schreibstube bleibe wird das allerdings schwer möglich sein, denn sicher gibt es viel Arbeit und wenig frische Luft. Ich bin aber auch nie zufrieden. Das Vertreterleben war doch am schönsten. Hoffentlich kommt es bald wieder. Da ich jetzt viel Zeit hatte, habe ich auch wieder mal ein Buch lesen können, Es hieß: " Der Ehekandidat " von Rolf Lennar und ist eine ganz entzückende humoristische Geschichte. Diese leichte Kost war für mich gerade das richtige, und ich habe mich köstlich amüsiert. Leute gab es zur Verpflegung 200 gr Schokolade. War fabelhafte französische Ware und hat ganz prima geschmeckt. Seit ich in Russland bin, habe ich insgesamt ca. 800 gr. Schokolade bekommen. Bin davon direkt angenehm überrascht und direkt begeistert. Es ist aber auch das einzigste, wovon man hier begeistert werben kann. Sonst gibt es ja auch nichts.
Inzwischen ist es nun dunkel geworden und ich glaube, ich habe nun auch gerade genug geschrieben. Morgen kommt nun die andere Post ran, die ich zu erledigen habe. Falls sich inzwischen noch etwas ereignet haben sollte, schreibe ich das noch, denn der Brief geht sowieso erst morgen vormittag.
Für heute nun genug. Ich wünsche weiterhin alles Gute und recht herzliche Grüße auch an Fred
Heinz

28.6.42.
Beiliegendes gedicht habe ich soeben für unseren Hauptmann abgeschrieben. Es stimmt in jedem Punkte und ist keineswegs übertrieben. Sonst noch nichts neues. Wie ich gehört habe, verlieren die Bilderschecks mit dem 1.8.42. ihre Gültigkeit. Du musst dich also mit der Einlösung beeilen. Ein Brief an Egon ist als unzustellbar zurückgekommen. Scheinbar ist er schon wieder versetzt. Nun aber Schluss. Die Post geht gleich weg. Nochmals herzlichen Gruss
Heinz

 

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