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Brief (Transkript)

Heinz Sartorio an seine Schwester am 6.6.1942 (3.2002.0827)

 

d. 6.6.42


Liebe Elly,

Habe Deine Briefe vom 18. -26.- u. 28.5. dankend erhalten und zu beantworten. Dein Schreiben war überflüssig, denn dieser Kampf ist hier an der Tagesordnung. Angegriffen wird jeder auch der Ruhigste und wer sich nicht wehrt, wird zertreten. ich sehe aber, dass Du eine völlig falsche Vorstellung von meinem Leben hier hast. Aber es ist gut so, dass die Heimat nicht weiß, wie es hier zugeht und wie wir behandelt werden. Ihr würdet wahrscheinlich mit Eurer zivilistischen Einstellung noch eher verzweifeln als wir. Aber lassen wir das. Die Sache ist ja sowieso scheinbar erledigt. Der Ofw. ist gestern aus dem Urlaub gekommen, ich habe ihn aber noch nicht gesehen, da ich wieder Stb.-Wache habe . Hier hat es natürlich auch wieder Theater gegeben. Der Adjudant, ein Otln., behauptet, ich hätte mich mit dem Posten, den ich gerade abgeleistet habe, privat unterhalten, was verboten ist. Das Gespräch war aber rein dienstlich. Er glaubt, das aber nicht, sondern behauptet, ich hätte ihn belogen mit dieser Angabe + verlangt, dass ich mich bei meinem Hptm. melde. Bin gespannt, was daraus wird. Berichte in diesem Brief noch darüber. – Du siehst also daran, dass man nicht in Frieden leben kann, wenn es dem Bösen nicht gefällt. Diese Stänkereien sind nun an der Tagesordnung und werden mehr oder weniger aufgebauscht. Es vergeht fast keine Stunde ohne Streit + das macht langsam müde. Wenn man nun noch all die anderen Schwierigkeiten, denen man ausgesetzt ist, betrachtet, ist es wohl verständlich, dass wir die Schnauze gründlich voll haben. Mir geht das alles gründlich auf die Nerven + ich bin bereits hochgradig verblödet. Was Du über Vorgesetzte und Versetzung schreibst ist Quatsch. Der Vorgesetzte hat immer Recht. Er brauch dich deshalb auch nicht zu versetzen, sondern schikaniert dich oder verurteilt dich zu Arrest. So ist es beim Militär. Einen gerechten Vorgesetzten gibt es: den Führer. Aber das ist ein Idealist. Er kommt, reißt Offizieren die Schulterstücke runter, ohrfeigt sie und lässt sie erschießen. Aber was kann einer gegen viele? – Unser Dienst besteht übrigens nicht im Wagenwaschen, sondern viel mehr im Schleppen von schwerstem Gerät. Wozu, ist oft unerfindlich?. – Unser Fehler ist kein Fehler, sondern Charakter. Ich bin froh darüber + kann mich deshalb auch nicht mit Viktor vergleichen, der den Vorgesetzten in den Hintern kriecht. Er hat auch nichts getan um mir zu helfen, sondern mir eher geschadet. Du erinnerst Dich scheinbar nicht mehr der Vorgänge. Ich habe mit K.’s übrigens keine Verbindung mehr + wundere mich, dass sie Euch besucht haben. Ihr Urteil über mich ist mir übrigens höchst unmaßgeblich. Es werden auch wieder einmal Zeiten kommen, wo aufrechte Männer mehr gelten, als schamlose Kriecher. Und dann kommen auch die heute so stolzen Idioten + Proleten wieder auf den Platz, der ihnen gebührt. Dass ich nicht mehr in Berlin bin, bedrückt mich nicht. Ich ziehe aus der Zeit die ich jetzt verleben muss meine Lehren + werde sie später anzuwenden wissen. Früher habe ich die meisten Menschen nur verachtet, heute hasse ich sie. – Was Du über die AEG schreibst, freut mich. Viele Tropfen höhlen den Stein. - Du hast Recht: Die Wissenschaft und die Künste sind das einzig wahre auch ich werde eines Tages mein Steckenpferd haben und meine Launen leben. Nur möchte ich mich vorher finanziell unabhängig machen. Das sind aber nur Wünsche + Hoffnungen. Aber die meisten Menschen leben ja nur von Hoffnungen, weil sie sonst vielleicht nicht das Leben ertragen würden. Und auch das ist gut so, denn erfüllte Wünsche machen oft oder sogar meist auch nicht glücklich. – Kann leider den Gedanken nicht zu Ende bringen, denn ich habe „Mattscheibe“. (Das kommt bei langjährigen Soldaten oft vor, soll sich aber später evtl. wieder geben.) Aber Du wirst ja auch so verstanden haben, was ich meine. - Papa werde ich schreiben, dass ich auf die Wohnung Lenaustr. verzichte. es hat ja keinen Zweck. Werde sehen, dass ich bei Onkel A.a.O., bleiben kann, falls ich nicht doch den Vorschlag von Papa annehmen muss, nach Saarbrücken zu ziehen. Gern würde ich es ja nicht tun, aber ich werde eben das machen müssen, was mir die Zeit vorschreibt. Lassen wir das bis nach Kriegsende. – Die Päckchen die ich bekommen habe, habe ich alle bestätigt. Hoffentlich ist nichts verloren gegangen. Schicke bitte nichts, was Du selbst entbehren musst. Bekomme ja jetzt öfter Päckchen aus Saarbrücken. Gestern kam eins mit Drops. Hilft auch immer etwas über die Stimmung und macht viel Freude. – Dass es Dir bei Deiner neuen Dienststelle gefällt und dass Du gute Verpflegung hast, freut mich sehr. – Was Du mit dem Geld von mir machst, ist mir egal. Verwende es nach Belieben und mach es möglichst alle. Wenn Du noch Schulden hast, bezahle sie davon. Von einem Konto habe ich nicht viel. Jeder der hier in Russland ist, hat ein Konto mit mehreren 1000 RM. Zunächst bezahle bitte alle Auslagen davon, die Du durch mich hast. Auch den Schmuck. Bin gespannt, ob ich ihn gut anbringen kann. – Hoffentlich kommen die Päckchen bald. Vor allem das Briefpapier. Mein Bestand ist schon wieder fast aufgebraucht. – Falls es keine Metallspiegel gibt, genügt auch einer aus Glas. – Hoffentlich kommt Ihr mit Euren Umbauten gut vorwärts. Es ist ja sehr schwer, jetzt Baugenehmigungen zu bekommen. Dienstag werden wir wahrscheinlich verladen. Die neuen quartiere sollen sehr schlecht sein. Ist mir aber egal. Hauptsache wir haben mehr Ruhe. – Die Post wird ja dann etwas länger gehen und in nächster Zeit auch unregelmäßig kommen. O.h. an Euch weniger als an mich. Hoffentlich trudeln vorher wenigstens die Päckchen noch ein. – Heute sollen wir wieder mal geimpft werden. Die 9. Spritze in diesem Jahr. – Jetzt will ich nun erst wieder mal unterbrechen und zum Hpftm gehen. Also bis nachher. – Die Unterredung mit dem Hptm. ist sehr friedlich verlaufen. Er hat sich meinen Bericht angehört, ohne weiter dazu Stellung zu nehmen. Er will die Sache mit dem Wachhabenden, einem Ogfr. besprechen. Sicher wird auch das im Sande verlaufen. – Im Krankenrevier habe ich heute einwundervolles Plakat entdeckt. Es geht gegen die Mücken die Typhus Malaria verbreiten. Man fordert uns auf, sie zu vernichten, wo wir sie treffen: „Schlagt alle tot, lasst keine am Leben. Durchsucht die Quartiere, um die Mücken zu vernichten!“ Allerdings wird das etwas schwer sein, bei den Millionen von Mücken. Jedenfalls sind die Vorschläge zur Abwehr der Ungezieferplage prima. – Eben gab es Marketenderwaren. 48 Zigaretten, 1 Päckchen Tabak, + _ Fl. Schnaps, den ich sofort gegen _ Tafel Schokolade eingetauscht habe. – Post ist leider nicht mehr gekommen. Erwarte morgen früh viele Päckchen. – So, nun Schluss für heute. Sowie ich Zeit habe, schreibe ich wieder. Allerdings wird es durch die Umsiedlung diesmal etwas länger dauern. Vorerst nun alles Gute und recht herzlichen Gruß auch an Fred
Heinz

 

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