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Brief (Transkript)

Heinz Sartorio an seine Schwester am 5.5.1942 (3.2002.0827)

 

5.5.1942



Liebe Elly,

heute kam bei mir allerhand Post an. U.a. 1 Brf. von Papa, 1 v. Meta und Dein Brief. Die Erklärung für mein Schweigen wirst Du ja inzwischen erhalten haben. Ich habe am 20. 23. 26. 4. + 2.5. geschrieben. Ziemlich viel, aber ich freue mich ja auch immer wenn Du schreibst. Weniger hat mich der Brief von Meta gefreut. Ich füge ihn bei und bitte um sorgfältige Aufbewahrung, da ich ihn evtl. noch brauche. Gleichfalls füge ich eine Abschrift meiner Antwort bei, die ich ebenfalls aufzubewahren bitte. Bei diesem hysterischen Biest muss man ja auf alles gefasst sein und ich möchte schon jetzt unangenehmen Überraschungen vorbeugen. Diese Kanaille kriegt es fertigt, die Wohnung einfach in ihren Besitz zu nehmend und Sachen beliebig zu verkaufen oder wegzuwerfen, die ich evtl. später brauche, da ich ja nicht weiß, ob ich mit heilen Knochen diesem Krieg entgehe und auch nicht weiß, ob ich nach dem Kriege überhaupt noch die Möglichkeit habe, mir etwas anzuschaffen. An sich weist Du ja, dass ich auf alle diese Klamotten keinen Wert legen, da man aber nicht voraussehen kann, was einem die Zukunft noch bringt, muss ich mich schützen und werde auch im Notfalle den Schutz der Wehrmachtsfürsorgestelle in Anspruch nehmen, die dann bestimmt meine Interessen energisch vertritt. Voraussetzung ist natürlich, dass Papa keine Dummheiten macht und für den Fall, dass er wirklich alles aufgeben will, eine gerechte Teilung fordert. Ich vermute außerdem, dass nach dem Krieg die Wohnungslage sehr ungünstig sein wird und ich auf die Wohnung Lenaustr. angewiesen bin, denn dort ist es schließlich immer noch besser, als bei Onkel Alex, das für mich ja auch nur ein Notquartier war. Sollte Papa die Wohnung aufgeben wollen, so lege ich vorerst Wert darauf, als Mieter eingetragen zu werden. Ich werde entsprechend an Papa schreiben. Zunächst bitte ich Dich, in allen Fällen meine Interessen zu wahren und besonders darauf zu achten, dass mein Eigentum nicht verloren geht. Im Schrank sind noch einige alte Anzüge von mir, die ich evtl. noch tragen muss. Ferner im Spiegelspind auf dem Korridor Wäsche und in dem schwarzen Holzkoffer Kleinigkeiten, die mir sämtlich gehören. Es ist meist Papierkram den ich erst selbst sichten will, ehe ich etwas vernichte, ob gleich es an sich nichts wertvolles ist. - An sich kotzt mich das alles an, denn diese Leichenfledderei und Erbschleicherei ist der Gipfel der Gemeinheit und kann nur dem Gehirn einer Wahnsinnigen entspringen. Für mich besteht jedenfalls kein Zweifel, dass M. mal dem Irrsinn verfällt, was mich allerdings nicht hindern wird, sie tüchtig zu verdreschen, falls sie meine Abwesenheit für ihre schmutzigen Pläne benutzen sollte. - Ich bitte Dich also, Dich um die Angelegenheit etwas zu kümmern, da ich es ja jetzt leider nicht selbst tun kann. Es ist wirklich traurig, dass man sich in dieser Zeit, wo man wirklich andere Sorgen hat, auch noch mit diesem Schmutz befassen muss. Ich werde jedenfalls jede Gelegenheit wahrnehmen, mich bei M. dafür zu bedanken. Nun genug von dieser Schweinerei. - Papa hat mir geschrieben, dass es ihm sehr gut geht und auch sehr gut gefällt. Ich freue mich darüber und bin immer mehr der Überzeugung, dass sein Entschluss richtig war. - Von Onkel Alex habe ich noch nichts gehört. - Was Ulli über den Dachschaden schreibt stimmt, nur glaube ich, dass er nie ganz zu beheben sein wird, denn für die meisten sind die Eindrücke hier so furchtbar, dass sie für ihr Leben einen Knacks weg haben. Ich fürchte mich jedenfalls vor der Zeit nach dem Krieg. Die Moral ist schrecklich gesunken und die Menschen sind vertiert und haben keinen Glauben und keine Hoffnung mehr. Viele glauben, dass sie da wieder anfangen können, wo sie aufgehört haben. Da das aber meist nicht der Fall sein wird, werden sie völlig den Halt verlieren. Es wird jedenfalls ein Chaos geben, dass vielleicht noch schlimmer ist als das organisierte Chaos des Krieges. Wir haben wirklich eine sonnige Jugend. Die Stimmung ist allgemein unter aller Sau. Über den Westen möchte ich gern etwas Genaueres hören. - Das Wetter ist wieder kalt; es hagelt, regnet, schneit immer munter durcheinander und ich glaube bald, dass Gott den Menschen wegen ihres Irrsinns zürnt. - Unser Leutnant ist befördert worden und zu seinem Entsetzen Komp.-Chef bei einem Pionier-Batl. an der Front geworden. Von einigen Bildern die er gemacht hat, habe ich Abzüge bestellt, die endlich gesandt werden. - Sobald wir wieder mal Geld absenden dürfen, schicke ich Dir 150,- bis 200,- RM. Du kannst sie beliebig verwenden. So viel, wie ich evtl. mal brauchen werde, wirst schon immer flüssig machen können. - Kürzlich sind 3 Kameraden die von den Komp. nach hier kommandiert waren, zurückversetzt worden. 1 davon ist schon gefallen - 1 von den Neuen kommt wieder ins Reich zurück. Die anderen haben aus Rathenow geschrieben. Sie sollen ihren Urlaub haben und sich dann zu uns zurückmelden. Scheinbar fürchten Sie, sonst noch schlechter abzuschneiden. Kürzlich sind hier Infanteristen (GvH-Leute) auf Partisanenjagd gegangen. Es waren Lahme und Krumme, junge und alte Leute; alle werden sie hier gebraucht. - Ich wünsche mir vorläufig keine Versetzung, da die Chance etwas Besseres zu bekommen zu gering ist. Die Kol. ist ca. 120 Mann stark und hat beim letzten Einsatz im Sommer 41 durch Feindeinwirkung 1 Toten gehabt.- Mein Freund Steinike ist von Dänemark mit seiner Komp. nach Russland versetzt worden und wartet mit den Resten der Komp. auf sein Schicksal. Seine Briefe sind verdammt nicht mehr so lustig, wie früher. Es sieht nach Galgenhumor aus - An Papa hatte ich ca. 1000 Gramm Brot und 125 Gramm Fettmarken geschickt, mit der Bitte, mir etwas Keks dafür zu besorgen. (Ich wollte Dich damit nicht belasten, denn Papa hat schließlich mehr Zeit.) Bisher hatte ich aber als Antwort nur einen Brief bekommen in dem er mir mitteilt, dass er ein Päckchen gemacht hätte, das aber zu schwer war und nun bedauern musste, mir nichts schicken zu können. Prima, was? Hoffentlich ist Onkel Alex intelligenter, denn die Päckchen sind inzwischen alle und der Hunger geht wieder los. Ich hatte ja wohl schon geschrieben, dass die Ration gekürzt worden ist und es statt Wurst 3 x in der Woche Suppe vergibt. - Die Puddings waren übrigens prima. "Kukusana" haben wir mit Eiweiß vermischt. War ganz erträglich. Sonst waren die 3 Tage Päckchen-Essen ein Fest. - Denke bitte daran, mir gelegentlich etwas Briefpapier zu schicken. Ich habe fast nichts mehr. - Nun Schluss. Ich bin sehr, sehr müde. Bald mehr. Recht herzlichen Gruß an Dich und Fred
Heinz

Abschrift! Russland, d. 5. Mai 1942

Liebe Schwester!
Deinen Brief vom 28.4.42 habe ich erhalten und war einigermassen erstaunt. Dass Papa in Saarbrücken ist, ist mir bekannt, da ich ja mit Papa in ständiger Verbindung stehe, dass er aber beabsichtigt den Haushalt aufzulösen, wie ich aus Deinem Brief entnehmen muss, ist mir neu, zumal Papa ja auch Miete zahlt. Ich sehe also absolut keine Veranlassung etwas zu teilen, was einem garnicht gehört und kann deshalb Deine Bitte auch nicht erfüllen. Ich erwarte im Gegenteil, dass während meiner zwangsläufigen Abwesenheit keine Veränderungen im Haushalt vorgenommen werden, die nicht von Papa als Besitzer erfolgen. Sollte Papa dagegen die Auflösung oder Verteilung des Haushaltes wünschen, so wird das wohl nicht vor meiner Rückkehr sein. Im übrigen ist Elly bevollmächtigt, bei „Aufräumungsarbeiten“ meine Interessen zu vertreten.
Es grüsst
Heinz

 

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