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Brief (Transkript)

Klaus Becker an seine Ehefrau am 5.11.1941 (3.2002.0224)

 

(05.11.41)



Meine liebe Suse!

Seit gestern herrscht hier schönes klares Frostwetter. Die Wege sind hart gefroren. Wir hoffen daher, in nächster Zeit auch fortzukommen. Wir warten nur noch auf die notwendigen Ersatzteile, um unsere Fahrzeuge soweit wieder fahrbereit zu bekommen, um von hier nach Gschatsk zu kommen. Es heißt nämlich, dass wir dorthin kommen, um dort völlig neu instand gesetzt zu werden. Möglicherweise ist das aber wieder mal eine der üblichen Parolen, deren Unrichtigkeit später von den Ereignissen widerlegt wird. Ich sehne im Augenblick die Übersiedlung nach Gschatsk sehr herbei. Denn ich leide z. Zt. sehr an Zahnschmerzen. Eine Plombe hat sich wieder mal bei mir gelockert und der Zahn darunter ist schlecht geworden. Eine Zahnstation gibt es weder hier noch in der Nähe. Ich muss daher die Schmerzen, die häufig sehr heftig sind, wohl oder übel über mich ergehen lassen. Ich habe früher nie geahnt, dass Zahnschmerzen so peinigend sein könnte. In Gschatsk ist aber sicher ein Zahnarzt, sodass ich dort meine Zähne wieder in Ordnung bringen lassen kann. Im übrigen geht es mir aber gut. Mein Appetit hat, Gott sei Dank oder auch leider, noch nicht gelitten. Mit der uns zugeteilten Verpflegung ist es natürlich nach wie vor recht mau, denn bis jetzt konnten die Fahrzeuge ja sehr schlecht durchkommen. Ich selber habe davon wenig gemerkt; denn ich gehe noch immer mal zu den Pionieren, esse dort zum Mittag und decke mich mit anderen Sachen ein. Heute Abend gibt es bei uns z. B. Schmorbraten mit Salzkartoffeln. Fleisch und Fett sind von den Pionieren - alles natürlich unter der Hand - und die Kartoffeln holen wir unserem alten Quartierwirt aus dem Keller. Die russ. Bevölkerung wird hier natürlich nicht viel gefragt, ob sie die Sachen hergeben will. Wir nehmen sie uns einfach, wenn wir sie nicht freiwillig bekommen. Von Humanitätsduselei wird man langsam frei. Es heißt zunächst, Essen und Trinken und ein warmes Lager für die Soldaten, und dann kommt erst die Zivilbevölkerung. Anders geht das natürlich auch gar nicht, wenn man Krieg führen will. Zuerst fällt einem das etwas schwer, aber man gewöhnt sich daran in eigenem Interesse. - In unserem Quartier schlafen wir mit 6 Mann. Der Raum ist etwa so groß wie unser Wohnzimmer; außerdem schläft der Quartierwirt, ein kleiner Bauer mit einer einzigen Ziege als seinem gesamten toten Inventar, dort noch in seinem Bett. Vor dem Raum befindet sich die Küche, die vielleicht halb so groß ist wie unsere Küche. Abends essen und halten uns anschließend in der Küche auf, weil der Wohnraum vollkommen von unserem Lager ausgefüllt wird. Der Alte nimmt seine Mahlzeiten sitzend auf dem Bett zu sich. Ich habe übrigens noch nicht gesehen, dass er es jemals aufgemacht hat. Er ist stets so wieder ins Bett gegangen, wie es morgens verlassen hatte. An die Küche stößt der große übliche Backofen, in dem alle Mahlzeiten bereitet werden. Wanzen und Flöhe haben wir bisher nicht in unserem Quartier bemerkt. Andere Kameraden sind in ihren Quartieren schon übel zugerichtet von Ungeziefer. Da haben wir bisher eben Glück gehabt. - Ob wir wohl Weihnachten noch hier sein werden im Osten? Man weiß wirklich nicht, wann man damit beginnen soll, die Weihnachtspost zu versenden. Wie lange mögen die Briefe von hier aus nur unterwegs sein? Die letzte Nachricht, die ich von Dir hatte, war vom 3.10., liegt also schon über 1 Monat zurück. - Man kann sich hier kaum noch vorstellen, wie das Leben ohne Krieg aussieht. Wir sind jetzt auch so weit, dass man sich sagt, ob noch 1 Jahr oder 2 Jahre oder noch länger, ist schon gleichgültig. Einmal wird der Krieg wohl doch zu Ende gehen.
Mit den herzlichsten Grüßen auch an die Kinder

Dein Klaus

 

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