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Brief (Transkript)

Anonymer Schreiber (Alfried) an Frau Martha Panzer am 01.07.1944 (3.2013.361)

 

F.P. No: 10892 A.

1. Juli 1944



Liebe Martha,
nun wird’s Zeit, dir für deinen guten Brief vom 1. Juni herzlich zu danken, ehe die überraschend an uns gekommene Ruhe – wir sind seit 8 Tagen herausgezogen! – weil von meinem Einsatz abgelöst wird.
Ob der versäumten? Gelegenheit in meinem letzten Urlaub darfst du nicht traurig sein. An einem anderen Ort als Frankfurt wäre das Treffen mit Lotti für den Urlauber nicht möglich gewesen. Es war auch so kurz, daß es mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Nur freut mich wohl in alle Zeiten, daß ich mit Lene + Heidi vor ihrer Abreise noch eine Stunde durch die nun weggewischte Altstadt laufen, ihnen so manchen nützlichen Winkel, auch das Gretchens, zeigen konnte. Ich vermag mir noch nicht vorzustellen, daß das alles nicht mehr da ist, kein Alter Markt mehr und kein Fünffingerplätzchen, kein Schwarzer Stern + keine Gresten Wege, kein Römerberg und kein Postamt und all das viele andere, das mir nicht nur als ein Stück der Heimatstadt, sondern auch durch liebevolle Beschäftigung ans Herz gewachsen war.
Ob wir nun aus Not wie die Amerikaner werden müssen? Wurzel-los, mechanisiert, technisiert im Wohnen u.a.? Arme Großstadt, der man ihr Köstlichstes genommen, die man zum Nur-Raum verdammt hat. Oder wird es uns gelingen, den Geist auch an die wüste Stätte zu binden. Das Geistige ist ja ohnehin unzerstörbar.
Vom künftigen Urlaub zu sprechen oder zu träumen, ist verfrüht. Wird es überhaupt noch einen geben. Oder stehen wir vorher am Ende wieder in der Steigerung seiner Heftigkeit sich selber aufzehrenden Kriegs! Vielleicht auch müssen wir Soldaten die Hoffnung, je wieder friedlich arbeiten zu können, aufgeben, weil alle Zukunft für uns nur Krieg heißt. Wieviel Gutes Bleibt dann ungesagt und ungetan. Und wieviel Liebe bleibt dann unverschenkt und unempfangen. Briefe und Gedanken sind ja kein Ausgleich für die Unmittelbarkeit der lebendigen Nähe. Das wird mir besonders schmerzhaft bewusst (und nicht nur mir) in den vorkommenden Stunden der Anwesenheit Lottes bei uns, in denen sich manifestieren wollte, was in fast 25 Jahren zwischen uns gewachsen war, und es blieb nur Stückwerk.
Wohl, das Wissen um des anderen innere Nähe, um des Verbundensein mit ihm, ist nicht an Raum und Zeit gebunden. Aber Leben ist nun einmal kein Abstraktum, und bis zur völligen Vergeistigung ist ein weiter Weg, den vielleicht erst ein Alter uns finden läßt, in dem wir nach dem Jenseitigen ausschauen.
Wir haben Pläne geschmiedet oder angedacht, wie wir später einmal, wenn dieser Krieg der Vergangenheit angehört (wird er es ja?), noch einmal zum Schwarzwald und Bodensee fahren wollen, um dort uns beschenken zu lassen von der Kraft des Bodens, auf dem wir vordem Freunde wurden, um es ein Leben lang zu bleiben. Ein unerfüllbarer Rest in der Unwiederholbarkeit liegend, ein weher Verzicht, wird sich nicht hinwegtun lassen. Es ist ja nicht der einzige.
Daß du unsere durch die Ereignisse etwas heimatlos und ängstlich gewordene Ruth für’s erste zu dir genommen hast, werde ich dir nie genug danken können. Nur daß du sie nicht nur in deine Wohnung aufgenommen, ihr eine Bleibe gegeben hast, das hat sie von Anfang an gespürt. In ihren Briefen klingt es immer wieder auf. Das gute Examen nach dem ersten Jahr hat ihr Auftrieb gegeben, im 2. lief noch mehr anzufangen. Das ist der Grund, weshalb sie sich im Familienkreis etwas selten macht, jetzt wenigstens. Du mußt da etwas Geduld mit ihr haben. In Frankfurt entbehrte sie sehr die Möglichkeit, ungestört zu arbeiten. Um […] ist immer geschäftige Betriebsamkeit, in der Stille und Zurückgezogenheit manchmal mißverstanden wird.
Dieser Sonnabend ist ganz unwirklich schön. Regen und Wolken haben am Vormittag das Ihre getan. Nun ist klarer, sonniger Nachmittag. Im Dorf dengelt einer Sensen, das Getier tönt auf seine Weise, die grünen Hänge schwingen […] und geruhsam wie gestern. Ist Krieg? Man spürt ihn hier nicht, so packe ihn die Kraft der Landschaft, in ihre Gestalt und in ihren lebendigen Inhalt.
Mach’s gut, Liebe, bleib mit beschützt samt allem, was du lieb hast + was zu dir gehört und grüße die Eltern in B + H, die Kinder und Wolf.
[…] Alf

[Randbemerkung Martha Panzers an ihren Mann Wolfgang:] ein echter Alfried, gelt! Bitte, schreib ihm doch gleich mal! Er verdients.

 

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