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Brief (Transkript)

Wolfgang Panzer an seine Frau am 19.07.1944 (3.2013.355)

 

88.

Am See, den 19.7.1944.


abends



Mein herzliebs Weible!
Hurra! Hurra! Die Post ist da! E n d l i c h ist wieder etwas zu uns gelangt, und wenn der heute früh abgeschickte Esel auch viel verloren haben muss unterwegs, so hoffe ich doch, dass andere, die des Weges kommen, das Verlorene doch noch wenigstens zum Teil, nachbringen. Diesmal waren es die v i e r dicken Briefe vom 8.7. mit dem allergoldigsten Brief Nr. 70, für den ich Dir inniglich danke, Du mein Liebstes. Es ist mir ganz arg, dass Du Dich so abschuftest und dann auch noch Kummer empfindest, das Du mir nicht schreiben kannst. Dabei hast Du mich die ganze Zeit doch s o verwöhnt! Ich habe doch fast j e d e n Tag von Dir einen Gruss gehabt – frag mal herum, bei welchen neunzehnjährigen Ehepaar es so etwas gibt, zumal wenn die Frau drei Buben und ein Haus voll Studentinnen und dreihundert Freundesanschriften zu versorgen hat! Nein, mein Wuile, mach Dir doch bitte, bitte keine Sorgen deswegen. Deine Muttl hat wirklich recht: der Wolf weiss ganz genau, wieviel sein Fraule schafft, und wenn Du mal einen Abend, ohne Hausarbeit zu haben, k e i n e n Brief schreibst und irgend etwas für Dich tust, bin ich s e h r glücklich und erlebe es ja doch alles mit Dir, M.D.! Mir ist übrigens jetzt erst eingefallen, warum ich auf meinen bisherigen grossen Auslandsreisen immer so s i c he r gereist bin: ich hatte ja immer eine „M.P.“ bei mir, und da wagt sich kein Böser heran, gelt! Und so will ichs auch künftig auf allen Reisen und Wegen halten, das gibt ein so wunderbares Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit. Ach Du meine Liebste Du!
Hab Dank für die Fragebogen. Jetzt erst begreife ich, was das Lämmchen damit zu tun hat. Ich will nun mal sehen, wie ich dfas am besten ausfülle. Für einige Stunden werde ich um D e i n e Schätzung bitten, für die Schuhe die von „Paba“ – sachverständigere Schätzung kann man ja wirklich nicht bekommen. Ich will Deinem Vater vorschlagen, ob er sich nicht ein kleines Nebenverdienst verschaffen will als S.S.S.S., d.h. als Schuh-Schaden-Schätzungs-Sachverständiger. Ob ich das Baujahr meiner Maanbootcher noch angeben kann, bezweifle ich. Auch da wird er einspringen müssen. Übrigens ein Verlust, der mich auch ganz besonders schmerzt, ist das kleine Büchlein „Geschichtstabellen“ von Ploetz, das meine Mutter als Schulmädel benützt und mir als erwachsenem Mann mal geschenkt hat. Ich hing so sehr daran. Das Zwistgolmalbum ist ja wohl leider auch dabei. Oder hatte ich es doch schon nach Haus geschickt?
Dass Du in Karl Heinz Trensch’s Frau einen so wertvollen Menschen gefunden hast, freut mich herzlich. Die Gespräche unter Glühwürmchen müssen sehr erfreulich gewesen sein – auch für die andere! Ich sehe mich jetzt gerade so besonders nach einem lieben Abendspaziergang mit Dir die Taunusstrasse hoch und oben am Waldrand entlang an einem ganz warmen Abend mit wolkigem Himmel und einer stillen Bank, wo wir uns auch ganz lange Strecken ohne Worte so unendlich viel zu sagen haben. Ach mein Lieb, das muss ja alles wieder kommen und je zuversichtlicher wir jetzt sind, im [sic!] so sicherer werden wir es uns erringen!
Ich kann mir es gut denken, dass die Gespräche mit Trudi nicht so ergibig [sic!]sind. Sie hat, so lieb sie auch ist, doch nicht diese Fülle des Erlebens und Schauens, auch schon nach ihrer Veranlagung nicht, die ein Gespräch so wertvoll und warm machen. Ihre Äusserungen über Küchels haben mich sehr beschäftigt. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Ilse j e tz t in zu grosser Abhängigkeit von der Mutter lebt, aber es ist schon möglich, dass diese Abhängigkeit schon lange zu einem so selbstverständlichen Zustand geworden ist, das sie nach aussen garnicht mehr in Erscheinung tritt. Dass ein Kaufmann, wenn er nicht überdurchschnittlich ist, Ilse nicht genügen kann, glaube ich sehr wohl. Der Weg zu ihr geht sehr stark durch Verstand und Denken, aber sie hat doch in sich auch einen geheimen und wohl scheu gehüteten Schatz fraulicher Wärme, der sie sicher eine sehr gute Mutter und liebevolle Frau sein lassen würde. Es ist sehr schade, dass sie wohl allein bleiben wird. Ihr hoher Wert bleibt so ungenutzt. Dass Trudi die Mutter so hoch verehrt, ist nur zu verständlich. Wer sollte sie nicht verehren? Ich hoffe nun sehr, dass der Dekan vielleicht doch noch mal den Weg dorthin findet. Ich bin sehr gespannt, was er etwa ausrichten wird. Nach dem, wie die Feinde im übrigen Italien verfahren, ist nicht zu erwarten, dass sie den deutschen Frauen Sonderrechte einräumen werden. S i e würden es vielleicht noch tun, wenn sie nicht ihre eigenen Feinde, die roten Bluthunde, mitbrächten, die keinerlei Schonung kennen.
Die vielen guten Briefbeilagen haben mich ganz besonders erfreut. Wie schön und echt ist wieder Alfs Brief. Ich werde ihm schreiben. Und wie treu und gütig ist wieder Ernestos Brief. Wir haben doch einfach prächtige Freunde! Irmchens langer Brief hat noch vieles, wie sie mir geschrieben hatte, ergänzt. Ihren Brief habe ich Dir ja inzwischen zugeschickt. Es ist ja wirklich wunderbar, dass die Schlesische Strasse noch verhältnismässig ungestört blieb. Möge es doch so bleiben. Ich staune ja immer wieder, wie das Leben dort immernoch [sic!] weiter geht. Und wie beispielhaft harren die alten Flecks aus. Ich finde das einfach rührend. Sie werden ja traurig sein, dass nun auch Ernst von Berlin wegkommt. Aber es wird Zeit, dass er mit seiner wichtigen Arbeit woanders hinkommt. Man nennt ja jetzt scherzhaft einen Berliner, der sich freiwillig zur Front meldet, einen Feigling! Ja die Berliner! Und da muss ich Dir gleich noch das entzückende Kinderschlafliedchen der neuesten Zeit mitteilen, das ich goldig finde in seinem gutmütigen Humor:
Schlaf Kindlein schlaf
Dein Vater ist im Krieg – das Schaf
Deine Mutter ist in Pommerland
Und Pommerland ist abgebrannt.
Jetzt zieh’n sie noch den Opa ein
Und das soll die Vergeltung sein!
Inzwischen ist V.1. am Werk und tut ganze Arbeit. Und gestern kam die neue Kunde von den Einmann-Torpedos. Es ist so fein, dass man doch etwas erfunden hat, was den Mann nicht bedingungslos opfert. Freilich verlangt die Sache eine unbedingte opfervolle Hingabe und ungeheuerlichen Mut. Aber der Mutig hat immer noch eine kleine Aussicht, wieder heimzukehren. Auch diese Waffe wird dem Feind Abbruch tun. Feldmarschall Kluge, der „Kluge Hans“, der den Oberbefehl in Frankreich hat, hielt vorgestern eine Ansprache, in der er Andeutungen machte, wonach wir offenbar noch Weiteres in Vorbereitung haben. Auch der letzte Goebbelsaufsatz im „Reich“ deutete solches an. Letzte Waffe und wirsamste [sic!] bleibt aber immer unser ungebrochener Mut, draussen wie daheim.
Heute habe ich Vormittag wieder an meinem Aufsatz gearbeitet und keine Briefe geschrieben. Ein herrliches Gefühl, keine eigentlichen Schulden mehr zu haben. Nur Wyldbore fehlt noch, aber dazu möchte ich ein bisschen in Schwung sein. Zwischendurch möchte ich zwei Besprechungen erledigen. Das ist mal wieder ein bissle Abwechslung. – Denk Dir heute bekamen wir vom Roten Kreuz Liebesgaben geschenkt. Ein reizendes kleines Rohholzkästchen mit bunten entzückenden Blümchen und Klappdeckel für Zigaretten, ein Blöckchen mit ebenfalls gemaltem Holzdeckel, eine Geldscheintasche, eine Seifendose, einen Rasierapparat, Schreibpapier – es war eine richtige Weihnachtsbescherung! Zu nett finde ich das! Ich will versuchen, die Sachen, soweit ich sie nicht in Gebrauch nehme, Dir mit dem nächsten Paket zuzusenden, vielleicht einfach nach Heidelberg.
[Rand dieser 6. Briefseite:] Meinem Gebein gehts ausgezeichnet. Heute wieder mehrstündige Hemdlosigkeit auf dem Balkon. Mein Chemnitzer Stubengenosse ist mulattenbraun. Wir sind immer sehr vergnügt zusammen. Heute blieb sogar der Arzt zu einem kleinen Schwatz, kurze Vorlesung über China!
Missie, oh, my likie you relly much! [sic!] Gut Nacht, Liebste, ein herzinnigs Küßle von deinem alten Woi

[Rand 5. Briefseite:] Opas Geburtstagsbrief nach Landau ist so einzig schön. Hab Dank daß du ihn mir sandest.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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