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Brief (Transkript)

Martha Panzer an ihren Mann am 11.09.1944 (3.2013.355)

 

117.

Butzbach, 11.9.44.


„Ma-in Hatzi von e Hunnabog“!



Mein liebster Woff!

Auf der Polizeiwache muß ich warten, bis ich vorgelassen werde, um eine Fahrbescheinigung für A-marie zu holen. Als ich heute morgen mit Johannes u. Martin gerade hier wartete, kam Vollalarm u. wir flüchteten, da wir auf kurze Dauer hofften, ins Pfarrhaus zu Elisabeth Nordbeck, der ältesten Tochter von Pfarrer Loos, die bei Kaysers in Berlin wohnte u. ausgebombt ist. Es war auch sehr nett bei ihr, da gerade 2 von 4 weißblonden Töchtern Niemeyer aus Straßburg bei ihr waren, die so lieb mit Martin spielten. Ich ließ mir gleich Strümpfe zum stopfen geben u. wie gut war das Beschäftigtsein, denn wir mußten 3 volle Stunden bis 2 Uhr mittags dort bleiben u. es war garkeine Pause dazwischen, in der wir ohne Gefahr hätten heimgehen können!! Martin war einfach entzückend lieb u. Johannes beobachtete mit dem 15-jährigen Uli Nordbeck die einßam [sic!] abstürzenden Flieger, 6 Stück mit Sicherheit, teilweise in viele brennende Stücke gerissen, mit dem Fernglas. Es waren schon schlimme Stunden bei klarstem, sonnigstem Herbstwetter u. ein großartiges Bild am Himmel. Ich habe dann nur die Kinder heimgebracht und gefüttert, Martin ins Bettchen gelegt u. war um 3 Uhr wieder in der Stadt. – Eben, 4 Uhr, ist wieder Vorwarnung, ich muß geduldig warten –
Inzwischen ists abends spät geworden u. wieder nach 2x Alarm gewesen, wir kommen nicht mehr zur Ruhe. Ich habe doch noch alles in der Stadt erledigt, daheim noch Birnen geerntet u. Körbe für Heidelberg gepackt u. das Haus u. die Kinder betreut, da A. morgen früh 4[:]29 Uhr abreist. Wir werden alle aufatmen trotz der vielen Arbeit, es ging nicht einen Tag länger u. auch meine Nerven haben unsagbar gelitten. Dazu kommt diese Unruhe durch die Gefahr u. die schlaflosen Nächte, das hält der Stärkste nicht aus. Zeitungen vermag ich jetzt nicht zu lesen, vor allem lese ich nichts von den Volksgerichtsverhandlungen, ich habe, wenn ich nur daran denke, es ist das Grauenvollste, was ich mir vorstellen kann, was da geschieht u. ich träume davon, wenn ich in kurzen, unruhigen Schlaf versinke u. die Buben sagen, ich stöhne u. riefe ängstlich – kein Wunder, allmählich verliert man jeden greifbaren Halt.
Ich denke jetzt bewußt immer nur an Dich u. Dein Kommen, aber Pläne vermag ich noch nicht zu machen, bin irgendwie hier zu fern davon u. denk mehr daran, wie Du Dich schonen u. ich Dich pflegen will. Allerdings haben wir Angst, wie wir Dich satt kriegen sollen und Deiner gutgewohnten Ernährung, denn Nachtisch gibt’s doch bei uns schon lang nicht mehr u. vieles andere auch nicht. Ob Du uns noch etwas Öl besorgen könntest?!!! O, das wäre herrlich u. sicher die Rettung, denn daran fehlts halt am meisten. Überhaupts: das Futter! Aber Obst haben wir u. das ist doch herrlich u. im Winter wirds bescheiden, aber doch ausreuchend, wenn wir am Leben bleiben. Wenn ich dann jemanden für meine Wohnung hätte, käme ich lieber wieder hierher, aber das sind ja spätere Sorgen, die ich dann M D besprechen kann, denn daß Du ganz bei uns bleibst, ist ja wohl nicht zu hoffen, so gut u. richtig das jetzt auch wäre. – Schrieb ich Dir eigentlich schon, daß ich auch bei Haverniers einen Abend war? Wir konnten so offen über alles sprechen u. doch nicht ohne Zuversicht wie sonst überall, das tat wohl.
Morgen Abend bin ich mit Lotte Niemeyer u. Renate Trensch bei Frau Nordbeck eingeladen, darauf freu ich mich sehr. Prof. Niemeyer, der während des Aufbruches seiner Frau hierher verreist u. nicht zu erreichen war, machte heute hilflich seiner Frau Vorwürfe, daß sie so schnell ihr Heim in Bau! verlassen habe. Dabei hat sie das einzig Richtige getan rechtzeitig noch für alles zu sorgen, so hat sie doch für die 4 kleinen Kinder auch alles Gepäck (15 Stück!) mitnehmen können. Wie schwer sind alle diese Entscheidungen, wenn man sie allein fällen muß, wie leicht kann es zu spät sein! Zurückkehren kann man schneller als mit 4 Kleinen fliehen! Ich bin gespannt, was die anderen tun werden, Jakobis u.s.w.
Leb wohl, mein Geliebter, es ist kein sehr froher Gruß, aber ich kann auch nicht lügen u. bin eben
[Rand:] sehr unbebedürftig u. irgendwie hilflos tief drinnen. Doch hab ich Dich sehr lieb u. hoffe, Du schreibst mir bald, wann Du kommen kannst?! Dein Fraule
Hat Sascha Dir denn das Bildle von Martin geschickt?!!?

Wenn Martin vom Töpfchen aufstehen soll, während er so gern spielt, dann sagt er gedehnt u. beleidigt: „O, sade“ (schade) u. wenn er bös über jemanden ist, dann hebt er das Fingerchen u. ruft: „wate, wate“ (Warte-warte!). Die Sirene liebt er garnicht u. erschrickt leicht darüber.
Morgens im Bett muß ich ihm immer vom Vati erzählen, wie er nach Heidelberg reist. Heute sagte ich „ach, da freut sich aber der Vati über seine 4 Blondköpfe“! Da sagt er lachend noch: „via Dommköppe“!!!
In diesem Sinne: eine gute Nacht!
Du! 46!

 

 



Ansicht des Briefes

 

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