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Brief (Transkript)

Martha Panzer an ihren Mann am 06.08.1944 (3.2013.355)

 

87.

Sonntag Nachmittag,


6.8.44.



Mein Herze, Du!
Wie lange hab ich Dir nicht mehr geschrieben denn die Briefnummern sagen garnichts aus und die Deinen haben mich so bedrückend schnell überholt. Aber Du weißt, Geliebter, daß es für mich selbst noch viel trauriger ist, Dir nicht schreiben zu können, es nicht aus der Fülle heraus in aller Ruhe zu können, als für Dich vergeblich auf die Fraulegrüßle zu warten. Hoffentlich kommen wenigstens die wenigen aus der letzten Zeit alle in Deine offen ausgestreckten Hände!
Manchmal wünsch ich mir, Du könntest mal solch einen Tagesablauf mit anschauen, um mein Schweigen vielleicht zu entschuldigen und zu verstehen. Aber am meisten wünsch ich mir doch zwischenhinein, daß ich bei Dir wäre und auch nur im Zustand der Nachttänzerin bei Dir auf dem […] – überwehten, sonnigen Balkon liegen könnte und schweigend Dir alles zu sagen, wes mein Herz gerade in den letzten Wochen so voll ist. Du wirst Dich gewiß längst darüber wundern, daß ich alles militärisch-politische Geschehen in meinen Briefen an Dich so gut wie garnicht berühre u. daß sich nur ab und zu zwischen den Zeilen das versteckt, was ich fühle und denke, erhoffe und ersehne. Schau, ich muß meine Kräfte – vielleicht für alle Soldaten unvorstellbar schwer – jeden Tag neu zusammenraffen und sparen, denn es ist unendlich schwer, mitten in solchem Leid u. in solcher Sorge allerorten zu leben, ohne irgendwie helfend eingreifen oder bessernd wirken zu können. Und Zuversicht und Trost kommt mir und wohl allen od. vielen jungen Frauen doch nur aus den Briefen ihrer Soldaten. Wieviel besser habt Ihr es denn trotz der ungeheuren Taten u. Leiden seelisch u. moralisch als wir in der Heimat u. wie wenig wißt Ihr (gottlob) im Grunde über die innere Not und Qual, in die wir hilflos abwartend gesetzt sind. Es vergeht doch kein Tag, ohne daß uns irgend eine furchtbare Nachricht erschreckt, es fallen die besten Männer und hier ist überhaupt kein Haus mehr, das nicht irgendwie vom tiefsten Leid gezeichnet ist und jeder Tag bringt neue, unheilbare Wunden. Wenn dazu noch die zurückgenommenen Fronten kommen, die Furcht, und die Sinnlosigkeit alles dessen, was umsonst gelitten wurde, die innere Wunde zur äußeren durch die tagtäglichen Luftangriffe (vorgestern wurden in d. Ohmen einige Bauernwagen im Felde durch Tiefflieger angegriffen, wobei sich gottlob die Bauersfrauen u. Franzosen durch Hinwerfen gerade noch vor sicheren Tode retten konnten, während die Tiere alle getötet wurden!) – dann ists selbst für die tapfersten und stärksten Herzen zu viel des Schweren u. ein Verzagen will sich einschleichen und uns mürbe, oder wenigstens müde, machen. Und doch sind wir in Mitteldeutschland immer noch am allerbesten daran, leiden aber tut man halt doch mit allen Deutschen, vor allem mit denen an der Grenze, die so Grausiges wieder erleben müssen.
Vorgestern war eine ganz famose alte Dame hier, eine Kurländer Baronin aus […], die Mutter der Kleeberger Pfarrfrau, die auch ihrem Mann (bei 4 Kinderchen) verloren hat. Sie deutete nur an, welches Elend die armen Menschen in ihrer geliebten Heimat nun zum 3. Mal durchmachen. Ihr selbst haben die Bolschewisten damals ihren Mann und ihren einzigen Sohn von ihrem Gute weggeschleppt, ohne daß sie je wieder eine Nachricht von ihnen bekommen hat! In einer der ital. „Signal“ waren ja auch solche Schicksale aufgezeichnet.
Daß es da garkeine Möglichkeit gibt, dieses furchtbare blutige Geschehen aufzuhalten nach all den Opfern, die nun gewesen sind!!
Ich liege oft nächtelang wach und komme nicht über diese Tatsachen hinweg und nur der neue Tag kann mich wieder davon erlösen, d.h. die Kinder u. die Arbeit in einem so geordneten, schönen Hausstand.
Eben, es ist gerade Zeit zum Kaffeetrinken, kommt Martin die Treppe herauf und ruft mit seiner fast männlichen Stimme: „Mama Mata, bis Du?!“ und er öffnet die Türe zu Opas Arbeitszimmer, in dem ich am Schreibtisch sitze und zupft mich am Rock und sagt: „Ma – in piele, Daten (Garten) dehn, Hanna, Heino (Reinhold), Distoph, anner Ma-in an ade dehn“. Nun zeigt er auf alle Dinge, die auf dem Schreibtisch stehen u. fragt: „n‘ das?“ (Was ist das?) Eben hupft er wie ein Gummiball auf Opas Couch herum, will sich totlachen vor Vergnügen und singt dabei laut im Rhythmus: „Papa – Va-i (Vati), Mama – Mata Italien, ha – ha – ha“!! Hätte er doch recht u. wärs nicht nur ein schöner Sonntagsgesang, daß wir zusammen wären! Aber baaald muß es ja werden –
Morgens beim Aufwachen, wenn er wie ein Feldherr im langen bebilderten Nachthemdchen in seinem Bettchen steht, hält er lange Reden, die die Kinder natürlich völlig außer sich bringen vor Entzücken. Man kann sie aber schwer wiedergeben u. nur ab und zu taucht mal ein Sinn darin auf, auf jeden Fall müssen es sehr lustige Geschichten sein, denn der Redner schüttelt sich nach jedem Satz vor Lachen u. zeigt dabei seine wundervollen weißen Perlzähnchen, oben 4, unten 4 u. 2 Backenzähne (hats all!) Er ist ein so wunder-wunderschönes edles Kind und ich bin halt auch um jeden Tag traurig, da Du ihn nicht in seiner nun ständig wachsenden Entwicklung nicht miterleben kannst.
Liebster! Inzwischen ists Abend u. ich soll mit Fr. Trensch in den Film, die Eltern sind im Vogelsberg, A-marie einige Tage in Bodenrod, da hab ich sehr viel Arbeit. Ich schreibe dann morgen weiter u. nehm das Briefle noch mit zur Post.
[Rand:] Alles nur erdenklich Liebe u. morgen mehr. Innigste Küßle um und um Dein eiliges Fraule

 

 



Ansicht des Briefes

 

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