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Brief (Transkript)

Martha Panzer an ihren Mann am 08.07.1944 (3.2013.355)

 

70.

Butzbach, 8.7.44.


Samstag Abend.



Mein geliebter Wolf!
Es wird von Tag zu Tag – eigentlich müßt ich schreiben von Nacht zu Nacht! Schwerer, all das noch aufzuschreiben, was ich so übervoll im Herzen habe. Nie ist Ruhe genug, nie soviel Zeit, einen einzigen Bogen, oft nicht mal die Anschrift zu schreiben und ich seufze viel, sodaß Mutti heute schon sagte: „ach, der Wolf, der weiß doch ganz genau wie das hier ist und was wir jetzt zu tun haben“. Aber das ist ja kein Trost, denn nicht Du leidest unter den nicht gesagten oder geschriebenen Worten, sondern Dein Fraule!
Nach einem unheimlich heißen Tag, den wir vormittags im Garten in den Erdbeeren – Martin als Nackedei braun geröstet und ein Göttlein in seiner Wohlgesichtigkeit auf der Wiese im Wasser pantschend – verbrachten, kam gegen Abend ein großartiges, furchtbar schweres, schönes Gewitter, das ich zuerst am Schreibtisch in Opas Zimmer also nach Osten, dann auf Opas Bettrand (also W) erlebte in seiner ganzen Herrlichkeit ohne jede Furcht, nur mit dem Bedürfnis, in des tief schlafenden (8 h) Martins Nähe zu sein. C.P. ist so wie so dank seiner Mutter Haltung ohne jede Gewitterfurcht und saß bei der sehr ängstlichen Oma unten u. zeichnete gezierte Waffen, die er sich selbst ausgedacht hatte. Opa war noch in der Fabrik u. konnte bei dem Platzregen garnicht heim, auch er ist ja ängstlich bei Gewitter. A-marie ist gestern Abend, gerade als ich zur Gymnastik gehen wollte, plötzlich erschienen, nachdem ich mit den Kindern und dem schweren Wagen bei der Gluthitze vor- u. nachmittags vergeblich am angegebenen u. an weiteren 5 Zügen gewartet hatte! Sie war nur daheim nicht fertig geworden. Zuerst war uns ihr Hiersein sehr störend nach der familiären Geschlossenheit und Ruhe, aber sie wird ja auch wieder stille werden u. sich anpassen u. ihre Hilfe ist doch unendlich wertvoll.
Martin, der jetzt immer schon vor oder gleich nach 6 Uhr wach wird (wir passen uns damit dem Vati an!) spielt dann in meinem Bett u. erkannte gleich die „Anna“ wieder, die tief beglückt war u. ihm einen entzückenden quietschenden u. beckenschlagenden Clown (von Anny Penck z. Geb.) mitbrachte. Sie fand Martin erstaunlich weiter entwickelt, was wir selbst viel weniger merkten. Er hat übrigens schon 2 Backenzähne (links oben u. l. unten!) und sieht aus wie Amor, so liebreizend u. schelmisch, eine Wunderblüte der Schöpfung, Vati, ich kanns nicht erwarten, bis Du ihn selbst bewunderst, er ist der Schönste unserer Buben in diesem Alter u. alle Menschen freuen sich an ihm, vor allem wir alle.
Unsre Gymnastik, zu der ich diesmal in Ermangelung eines Rades zu Fuß lief, war wieder wundervoll, nur sehr schmerzensreich für mich, da mir bei Übungen im Liegen auf d. Rücken so schrecklich das magere Steißle weht! Die Frauen sind alle so nett u. ich bin dann noch stundenlang mit der wonnigen Frau von meinem Schulkameraden Karl-Heinz Trensch spazieren gegangen; wir haben meine Eltern im Garten begrüßt u. sind dann bis zu einem wunderbar aufziehenden Nachtgewitter mit Glühwürmchen u. unendlich wohltuendem ernsten u. heiteren Frauengesprächen zusammengeblieben. Sie ist ein besonders wertvoller Mensch, Tochter eines Pfarrers, selbst Schwester gewesen, wobei sie ihren Mann, der Chirurg ist, kennen lernte. Sie leben bei Dortmund (Hoine) u. haben 4 Kinder (7[ – B], 6[ – M], 4[ – B], 1[ – M]) u. sind hier bei Heinzens Mutter (sein Vater fiel im letzten Weltkrieg!) u. er ist in Rußland, jetzt im Südabschnitt. Sie ist so aufgeschlossen u. warm u. lieb u. sehr frisch, ganz dunkle Locken, Brille, zarte Figur, so groß wie ich, sieht aus wie ein Mädel u. gewinnt sofort durch ihr lebendiges Sprechen. Ich habe ihr heute Kirschen für die Kinder gebracht u. da hab ich die Jüngste, Ulrike!, gesehen, ein süßes Kerlchen, Hanna Krejer’s slawischen Kindern merkwürdig ähnlich sehen! Der Älteste muß in seiner sensiblen Art dem Johannes ähnlich sein. Diese Frau und glückliche Mutter kennen zu lernen, ist ein großer Gewinn, wir werden öfter noch zusammen sein. Es ist auch wertvoller u. anregender als Trudis Umgang, die mir immer zu nüchtern – hessisch u. zu passiv ist, gerade auch in Gesprächen, obwohl wir Anfang der Woche mal einen schönen Abendgang ganz in tausend Glühwürmchen, machten u. sie mir sehr viel u. aufschlussreich von Küchels erzählte. Sie sagt, Ilse stünde völlig unter der Herrschaft ihrer Mutter u. man hätte die Beiden trennen müssen, damit Ilse sich hätte frei, ihrer ganzen Art nach, entfalten können. Sie erzählte noch von einem Versuch von Trudis Mutter, Ilse zu verheiraten, der dadurch mißlang, daß der Mann, ein Kaufmann, der lange in Ostasien war, sich nicht mit Ilses überragender Bildung u. ihren Ideen hätte befreunden u. befassen können. Trudi aber meint, sie hätte trotzdem damals heiraten sollen, denn sie wäre eine wundervolle Mutter geworden. Trudi liebt Rola Küchel ganz besonders u. verehrt sie tief, sie verdankt ihr jeglichen geistigen Auftrieb u. größeren Weitblick, schon aus den Jahren in Worms in dem schon dort sehr gastfreien Hause.
Es geht schon wieder auf Mitternacht u. Papa spricht immer mit mir u. ich will doch so gern diesen Brief fertig schreiben. Von Heidelberg aus, wohin ich am Montag nun bestimmt fahre, (mit Unterbrechung in Frankfurt, da Papa dort zu tun hat u. allein keinen Mut hat, die zerstörte Stadt wiederzusehen). Hoffentlich kommen wir gut durch, denn gestern u. vorgestern war mal wieder Alarm u. die deutschen Flieger brummen den ganzen Tag über uns, da in der Nähe ein Flugplatz ist.
Von all den herrlichsten Schätzen, mit denen Du mich schier überhäufst, wollte ich noch garnichts schreiben, weil sie ja alle Geburtstagsfreuden sein sollen. Aber von H. aus schildere ich Dir doch meine u. unser aller Freude, Du Goldigster!
Martin hat heute ein Stücklein Schoko (A. brachte sie mit von H.) geschleckt, „hm – dud“! Wenn er irgend einen Brief liegen sieht, ruft er strahlend: „ah, Papa“ oder „Va-hi“, weil ich wohl oft, sehr oft dasselbe rufe, wenn die Post kommt. Ich schreib Dir bald wieder mehr von ihm. Einstweilen die entzückende Geschichte vom Pfeifchen, bei der mir war, als habe ich es selbst ausgeführt u. Du sie erzählt, gelt? Gleichzeitig gehen drei dicke Briefe an Dich ab ohne Gruß, nur Formulare u. Freundesbriefe, weitere folgen, auch mit Ausschnitten. Gestern wieder 2 Briefe von Dir, ach, daß
[Rand:] Du jetzt endlich draußen sitzen kannst, wie mich das freut. Ich bin immerzu neben Dir! Herrlich die neue Verbindung mit der […]!! Wie lange noch? Ach, waren doch die Frauen hierher geh., es kann nicht gut gehen
Morgen ist Sonntag u. wir freuen uns alle darauf, wollen viel […] u. in H. will ich viel schlafen! Inniglich umarmt Dich Dein […] Weible

 

 



Ansicht des Briefes

 

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