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Brief (Transkript)

Martha Panzer an ihren Mann am 16.06.1944 (3.2013.355)

 

94.

Butzbach, 16.6.44



Mein innig geliebtes Wöffle!
Als wir gestern, nach etwas gefahrvollem Fliegeralarm in Friedberg (der Zug hielt leider auf offener Strecke dann noch vor Manheim [sic!] und wir sahen die große Masse der Flieger und konnten die Tiefflieger lange beobachten!) gut und heil hier ankamen, fand ich außer dem goldig jubelnden, etwas schlanker gewordenen Martin, der sich gerade sehr zu strecken beginnt, zwei liebste Briefe von Dir vor und heute Morgen waren bereits wieder 2 da! (107. 108. 109.110!), letzterer also in 3 Tagen!! Ich habe erst in aller Ruhe und Daheimseinsfreude den Goldschatz gefüttert und zu Bett gebracht, denn es war gerade Mittagszeit und hab erst, nachdem alle Koffer ausgepackt und alle Sachen eingeräumt waren, meine Post vorgenommen. Da war es dann gut, daß Deine lieben, frohen Trösterlein dabei waren, denn ein Rundbrief von […] Lambrecht mit einem Erlebnisbericht der vielen, grauenvollen Angriffe auf das herrliche Stuttgart war derartig niederdrückend, daß wir alle nur stöhnend und schluchzend dasaßen. Kein Wort und kein Bild kann wohl je darstellen, welches Grauen das ist und in welch abgrundtiefes Leid die überlebenden Menschen sinken, wenn aller Spuck [sic!] vorüber ist. Die Geschehen kann nie gerächt und nie wieder gut gemacht werden, obwohl es sich immer nur an den Unschuldigen ausbricht. Das ist das Furchtbare. Pencks geht es allen noch gut u. ihr Haus steht wie durch ein Wunder; die alte Mutter haben sie aber jetzt zu Freunden nach Neustadt/Weinstr. Gebracht, da es nicht mehr möglich war, sie bi in den Bunker zu schleppen. Speemanns Töchter sind beide in den Trümmern seinen Hauses tot geborgen, noch ehe die armenen Eltern von ihrer Ferienreise zurück waren, für Anny furchtbare Erlebnisse. Stuttgart selbst besteht nicht mehr und niemand kann sich noch zurechtfinden nach 4 schwersten Angriffen. Ich will versuchen, ob Anny Dir den Brief auch schicken kann, ich mußte ihn gleich nach Leipzig weiterleiten. Helmut steht in schweren Kämpfen bei Caen!! Ach, Wolf, wo soll da nur noch ein Lichtblick sein, ich weiß es nicht und finde ihn nur noch in den Kinderaugen, die mich anschauen, die mich brauchen und für die allein ich noch an ein Wunder glauben möchte, wenn wir selbst es nicht mehr schaffen. Ich spüre gerne immer noch tief beglückt, welche Freude und Kraft ich Menschen zu geben vermag u. habs auch wieder bei Maletzkes sehr empfunden, aber sie kommt mir nicht aus dieser Zeit, Geliebter, nur von Dir und von den Kindern und unserem gemeinsamen Glück. Wie arm ist dagegen meine Schwester, die so verworren u. unzufrieden u. unbedacht lebt, wie furchtbar bestraft ist sie mit diesen ungezogenen Kindern, die ohne jeden Anstand sind und in ihrer Gemeinheit gegen Staat u. Führer, gegen Eltern u. Verwandte u. Lehrer u. Gott u. die Welt fluchen, die doch alle nur ihr Bestes wollen u. mehr geleistet haben als es ihnen je möglich sein wird. Ich will Dir nichts von allen Einzelheiten schreiben, die hier mein einziger, aber umso größerer Kummer sind, aber wie könnte ich den doch so naheliegenden Plan zu Ende führen, ganz hierzubleiben, bis dieser Krieg beendet ist, denn nie dürfte ich meine anständig und sauberdenkenden Kinder länger unter solchen Einfluß lassen, von dem niemand entsetzter sein könnte als mein Schafele. Um Johannes wäre es mir nicht bang, weil er schon in seiner Art u. Veranlagung – einem Schutz gegen alles Gemeine hat, aber unser Stoffele läßt sich auch von manchem imponieren u. beeinflußen, wenn er auch oft unter den Hinterhältigkeiten, vor allem Erelis, leidet. Ich bin entschlossen, noch solange hier zu bleiben, bi Du heimkommst, dann wollen wir alle zurückkehren, da mir ja auch sonst die Wohnung genommen würde. Ich grüble die ganze Zeit darüber nach, wie ich es machen kann, daß ich zum 1.9. nicht hier bin! Ich spüre, daß ich den Tag nicht verkraften könnte, wenn alle K.‘s dazu kämen, vor allem Ereli, die ich so verachte, nachdem, was ich nun alles von ihr weiß. Ich will versuchen, ob ich die 2 Buben vorher nach Landau bringen kann, so, daß ich an diesem Tag dort oder in H. bin, allerdings ohne jede Feier u.s.w., denn die will ich er M D haben, was Du verstehen wirst. Ich könnte dann am 6.9. wieder hier sein. Ich hoffe, die Eltern haben ein Einsehen, denn die Wahrheit kann ich Papa ja nicht sagen, es würde ihm viel zu weh tun. C.P. geht nun am 24.8. hier zur Schule u. sie hoffen, daß Frau Pabst ihn in ihrer Klasse bekommt, denn die anderen, älteren Lehrer mitsamt dem Rektor sollen sehr wenig angenehm sein. Nun, wir werden sehen, ich kann ja jederzeit mein Hierbleiben abkürzen, da A. ihres Hauses wegen ja auch früher zurück muß. Ich bin sehr im Zwiespalt mit meinen Gefühlen ihr gegenüber. Wenn ich sie jetzt abgeben muß, wäre es seelisch eine große Entlastung, körperlich aber würde ichs wohl doch kaum auf die Dauer leisten können, das merke ich bei allem guten Willen immer wieder, zu schade ist das, denn ich möchte es so gerne u. es wäre dann erst ideal mit den Kindern!
In Deinen lieben Briefen steht soviel, auf das ich immer einzeln eingehen möchte, aber dazu fehlte selbst in Vogelsberg die Zeit, weil ich ja da doch auch bei aller Erholung Pflichten hatte u. gerade in den wenigen Tagen. Es war uns allen aber, als seien wir wochenlang oben gewesen u. der Plan, dies alles mit Dir zu erleben, ist übermäßig geworden! Am Montag Nachmittag sind wir also wirklich nochmal alle mit der Pferdekutsche nach Schotten gefahren u. haben die Kirmes besucht! Es war ein so allerliebstes Friedensbild, wie sich die Büdchen um die alte, wundervolle Kirche lagerten. Es gab viel Schmuck, der teilweise sogar schön war, sodaß C.P. sich 2 Ringlein erbettelte, die er seiner Gretel u. Pfanns reizender Ulrike in Bodenrod schenken möchte. Du siehst, er mach sich u. wird seinem Vater auch darin gleich!! Ich hab dann allerlei Nähseide erstanden, deren Farben es sonst nicht mehr gibt u. dann gings zu dem Karussell, wo wir alle in der Schiffschaukel fahren u. dann wurde halt geschossen, was willste, was kannste, so schön wars noch nie und so gut gings noch nie!! Selbstverständlich erst mal in 4 Schuß 4 grellfarbige Dosen für jeden von uns, dann gings an die Mitbringsel: auf 10 Schuß gabs eine entzückende Kinderrassel mit rotem springendem Pfade – die hatten wir auch ohne Fehlschuß, denn alle 10 Tonröhrchen wurden nebeneinander umgelegt! Ein Panzerschütze, der neben mir stand u. sich angeboten hatte, mir zu helfen, (was ich natürlich als geübte Panzerfrau ablehnte), staunte u. die sich drängenden Buben erst recht. Auch meine Buben durften schießen, vor allem dann in die Zielscheiben mit Löwe, Bär, Indianer u. Reh. C.P. hats am besten gekonnt u. die Tiere immer getroffen, Märtel hielt das Gewehr gut, schoß aber meist daneben, unser Hänsle war völlig unbrauchbar, weil er alles links machen wollte u. nicht zielen konnte. Aber selig waren sie dann doch alle, auch die Großeltern u. vergnügt kutschten wir wieder heim. Am Dienstag früh 7[:]26 Uhr gings dann nach Schotten-Nidda (beim Abschied gabs viel Tränen, weil wir ja als letzte Gäste gingen u. nun ein völlig neuer Abschnitt für das Haus beginnt), wo wir 1 Std. Aufenthalt hatten. Da die gute Oma bei unserem Gepäck blieb, konnten Opa u. ich mit den munteren Buben noch nach Nidda hinunterlaufen u. uns das stille, alte Städtchen u. das Flüßchen anschauen, woran wir sehr viel Spaß hatten. Besonders ein einzel stehender gotischer Kirchturm ohne Schiff (für welchen Zweck?), u. der herrliche Brunnen am Markt mir dem schönen Spruch macht uns viel Freude:
ICH STEH ALLHIER AUFF OFFENEM MARCK,
GEB HIN MEINE WAHR OHNEGELT.
WER LUST HAT TRINK WANS IHM GEFELT.
OB ICH SCHON WIRD GERING GEACHT
SO STEHD DOCH MEINE KRAFT IN GOTTES MACHT
WELCHER SEINE BRÜNLEIN LEST FLIESEN
DIE DER ARM SOWOHL ALS DER REICHE
HAT ZU GENIESEN:
ANNO MDCL DEN … MÄRZ

Die Zeichnung kann ich leider nicht liefern, er war aber aus rotem Sandstein, oben in der Mitte das wundervolle Stadtwappen v. Nidda.
Einige herrliche Häuser am Marktplatz, vor allem das Rat- und das Spritzenhaus u. eins mit einem dreifach übereinandergebauten Storchennest waren schön und altes Fachwerk, sonst alles neu. Im Storchennesthaus besuchte Papa einen alten Kunden Lehmann, zu dem er mit seinem Musterkoffer schon 1907 gegangen war!! Die Freude war groß!!
Daheim ists nun auch wieder schön und Martin unsagbar wonnig. Er war ganz außer sich vor Glück und holte uns „alle mi-nanner“ in die Stube und zählte alle mit Namen auf. „Hinsetze, alle hin“ u. dann zerrte er uns in die Sessel u. auf die Stühle u. schleppte dann seine „Dadde“ (Kartenbilder) herbei, die wir bewundern sollten. Eben kommt er gerade aus dem „Dadde“ (Garten), wo ihm leider ein Stock derartig gegen das Mäulchen gestoßen ist, daß er eine richtige Negerunterlippe hat, was ihn schrecklich entstellt u. stört. Bei solch einem guten, süßen Gesichtle ist jeder kleinste Fehler schon schlomm. Er trägst aber mit Fassung u. bringt nun gerade die ersten Tomaten herauf: „Abbele“! Wir essen viele Frühäpfel, die ich mit den Kinern noch auf der Henneburg abgemacht hatte, wobei Martin, Dieter u. alle Kinder geholfen haben! Das war mal eine Fuhre, hochgeladen voll „Früchtchen“! Heute aßen wir die ersten Geburtstagsbirnen als Kompott, es wird also ernst! –
Etwas ganz anderes, was mir gerade noch vor unserer Fahrt einfällt. Mit uns fuhren von Schotten aus einige franz. Kriegsgefangene. Von einem meinte Johannes, er sähe aus „wie ein abgewaschener Neger“, ein ganz gescheitiger Vergleich, denn er hatte ganz starken negritten Einschlag, nur die Nase war schmal u. lang! Ich freute mich über die gute Beobachtung! –
Du willst gerne wissen, wie schwer ich bin, o jeh, gerade heute habe ich mal wieder alle Kostümröcke erheblich enger genäht! Wir werden also ein ungleiches Paar sein – aber: Du glaubst garnicht, wie ich mich über Deinen „Umfang“ freue, den Du Dir in Deutschlang doch schnell ganz wieder abgehmagert [sic!] haben wirst, wenn Du es nicht doch vorziehst, bei Deinem Fraule zu bleiben, um es ein bißchen mit Appetit anzuregen?! Wir essen hier natürlich sehr gut u. reichlich u. im Winter könnte man hier sicher gut zunehmen, die Buben habens auch alle getan u. sehen sehr gut aus, ich sehe auch herrlich braun und frisch u. wie man immer wieder feststellt, sehr jung aus, das wird Dir schon genügen, gelt? Es war so goldig, als ich in Heidelberg Mitte Juli Stempels mit Johannes am Zug abholte, sagte Hildi, was denn mit mir wäre, ich sähe ja so verändert aus, ob ich die Haare anders trüge o.ä.? Da umschlingt mich Johannes u. strahlt mich an: „ja, Mutti, so wunderbar jung“! Er ist halt immer noch mein liebster Kavalier u. geht mir kaum von der Seite, der liebe, zärtliche Bub, der mir jetzt, höre und staune, schon bis an die – Nasenspitze geht!!! Eil Dich, sonst überflügelt er mich noch, ehe Du’s hindern kannst!
Hast Du eigentlich seinen goldigen Brief von hier (nach d. 20.7.) und den von C.P. von Bodenrod (Saalburgbilder) nicht erhalten? – Beide machen Dir aber etwas zum 26.8., zu dem auch die Bücher bei Dir sein sollten. Ich wäre tief bekümmert, wenn das nicht klappte, denn ich hatte ungleich nach […] Karte das Paket als Wert – dringend! Abgeschickt. Vielleicht findet Herbert doch noch eine Möglichkeit, daß Dus an dem Tage pünktlich in Händen hast, sonst hätte alles seinen Sinn verloren. Vielleicht ist das Paket gerade am Tag seiner Abreise angekommen!
Deine 2 Kreuzworträtsel habe ich gelöst, das erste in Vogelsberg war sehr schwer, weil ich verschiedene Namen, z.B. Fußpunkt + Nadir oder Kalitz (o weh Geographenfrau!, warum hast Du mich auch noch nicht hingebracht!) sogar Hila!! nicht kannte! Das zweite ging völlig ohne Überlegung! Die Kinder sollens noch lösen, wenn wir mal Deine letzten Briefe lesen, bisher war zu wenig Ruhe dazu, aber sie betteln jeden Tag darum. Morgen will ich mit ihnen in den Wald gehen u. nehme sie mit. Ihren Morsebrief haben nur Johannes u. Märtel gemeinsam schnell gelöst und die Freude war groß, C.P. muß ichs erst erklären, er ist oft etwas langsam im Kapieren, dann aber umso eifriger. Er malt u. dichtet jetzt wieder täglich für mich u. A-marie behauptet, es wäre ganz großartig, ich bin sehr gespannt, aus welcher Quelle er es diesmal speist, der kleine Künstler! Zu traurig, daß er nirgends Klavier spielen kann. Grete behauptet, ihr Flügel wäre zu schade. Ich fände es besser, wenn sie dieselbe Vorsicht bei ihren Kindern gebrauchte! Grete ist Samstag aus Wildbach zurück u. geht morgen bereits wieder nach Bodenrod, die Unruhe sitzt ihr im Blut, sie ist nirgends wirklich glücklich. ---
[Randeinträge der 6. Briefseite:] So, nun hab ich eigentlich viel zu viel geschrieben u. es ist Abendessenszeit, Martin legte ich oben schlafen, er wollte nichts essen, die Wulstlippe störte wohl u. tat weh. Ich will nachher noch zur Minna, ob sie mir Dein blaues Kleidle noch näht?! Gestern Abend hatte ich Frau Pabst ihr Rad zurückgebracht, das sie mir 14 Tage geliehen hatte solange sie verreist war.
Nun schließe ich den Brief u. Dich in die Arme, Geliebter! Hoff so sehr, daß Du bald entgipst wirst, um Dein Gehen zu versuchen. Könnte ich Dich doch dabei führen! Man ruft zum Essen – bald komm ich wieder zu Dir – viele herzlichste Um- und Umküße von Deinem sehnsüchtigen, aber […]-Fraule.
[Randeintrag der 7. Briefseite:] Kols Bruder, Generalltn. Fritz von Wachter, mit dem Maletzkes sehr befreundet sind u. der mit Familie (2 Kinder) oft bei ihnen war, soll in – Landau sein! Ich will mich gleich erkundigen. Er hatte schwere Ruhr in Rußland!

 

 



Ansicht des Briefes

 

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