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Brief (Transkript)

Martha Panzer an ihren Mann am 18.10.1942 (3.2013.355)

 

Heidelberg, 18.10.42.



Mein geliebter Wolf!
Nun ist auch mein fröhliches, strahlendes „Brüderle“ gefallen und ich wandle wie im Traum durch die immer unfaßlicher ins Leid versinkende Leben. Gestern früh kam die Todesnachricht von Hermann und ich weiß garnicht, wie ich diese beiden Tage eigentlich zugebracht habe, denn ich bin völlig in mich hineingekrochen, um mit meiner unendlichen Trauer allein zu sein. Daß man das kann heute: nach außen völlig derselbe Mensch sein, sogar heiter und unbekümmert scheinen und alle Pflichten, alles Alltägliche gewissenhaft wie sonst erledigen, mit den Kindern lachen und ihnen sogar einen ganzen langen Tag die erschütternde Nachricht verheimlichen – ach, wie lernen die Frauen das nur, wie müssen es alle die vielen Mütter lernen, wie nun auch die feine, sensible Hermann-Mutter, die nie mehr ihren heißgeliebten Jüngsten in die Arme schließen kann, die alle Minute doch seine hübschen Sachen sieht und die nun mit ihm alle seine Zärtlichkeit und Hingabe, alle seine Begabung und sein himmelstürmendes Streben und Planen begraben weiß. Immer höre auch ich seine Stimme, die so lieb und immer innig-fröhlich klang: „Schwesterle“ und dann sein frisches Erzählen – weißt Du noch, zuletzt von Italien? – und seine stets etwas unreifen Ideen, die oft garnicht zu seiner außergewöhnlich praktisch begabten Veranlagung paßten. Ach, dieser goldige Aesthet in Kinderschuhe mit seinem so auserlesenen Geschmack und seinem reifen Drang nach noch mehr Schönheit, noch mehr innerem und äußerem Reichtum! Nun hat er als meinen Sommer- und Herbstbrief nicht mehr lesen können und dadurch garkein Bildchen von Martin bekommen! Und wie hätter er sich dann gefreut in seiner begeisterungsfähigen, jungenhaften Ar. „Missi“, hätte er wohl ausgerufen, „das hast Du aber fein gemacht“, und dann wäre sicher ein nettes originelles Spielzeug für meinen jüngsten entstanden unter seinen schönen, geschickten Händen. Wie grausam muß dieser Tod für die Mutter sein – da darfs garnicht ausdenken und muß ihr doch auch bald schreiben – sie und ich waren doch die einzigen Frauen, die er wirklich geliebt hat –
Du spürst, Geliebter, daß dies keine Klage sein soll – und doch bin ich in einem ganz schlechten Seelenzustand und gerade Du wirst verstehen, daß ich nicht viel schreiben kann. Mit Weinen und Lachen zugleich hab ich gestern mein Kerlchen gebadet, gefüttert, betreut und eine Stunde später saß ich bereits Johannes Klassenlehrer gegenüber, mit ich alle die Fragen erörterte, die ihm und mir am Herzen lagen. Daß der Man ein Herz und ein sehr gütiges hat, das hat er mit gezeigt und ich brauchte nicht viel Worte zu machen, unser gutes Männlein ist da in allerbesten Händen. Er hat unseren Jungen vollkommen richtig erkannt und will nun versuchen, alle guten Kräfte in ihm zu heben und sich auswirken zu lassen. Er sei der weitaus Begabteste, Reifste, mit einer Tiefe des Wissens u. einer Innigkeit jedes Erlebens, daß es erstaunlich sei, er sei aber verspielt und fahrig und ohne jeden inneren Halt oder Haltung, die er unbedingt noch bekommen müsse. Verlieren müße er die Furcht vor dem Lehrer oder vor dem Nichtwissen, er müsse freier und mutiger werden, alles Tatsachen, die ich genau so weiß und um die sich meine ganze große Sorge bewegt. Ich könnte Dir noch lange von dieser sehr erfreulichen Unterhaltung schreiben, aber ich möchte es doch lieber aufheben, bis Du kommst und hoffe so sehr, daß dann schon mit dem besseren körperlichen Zustand, der sehr wenig gut ist – und eine allgemeine Besserung eingetreten ist. Ich weiß, aß unser Büble nie eine Führernatur werden kann, ich will ja nur erreichen, daß er selbst glücklich und erfüllt von seinem Dasein und seiner Aufgabe ist. Mit Dir als dem Vati und dem vollkommensten Erzieher wäre dies Ziel zu erreichen gewiß nicht so schwer. Was alles wir, d.h. die Buben täglich, stündlich, durch Dein Fernsein entbehren, wird mir mit jedem Tag klarer. Bei allerinnigster Liebe und bester Betreuung kann ich auf Jahre hinaus ihnen nicht all das geben, was sie als Jungens brauchen; ich merke es immer wieder an mir selbst, was ich ihnen geben möchte und was der Krieg mit all seiner Not uns versagt. Heute Morgen bin ich trotz aller Bedrücktheit oder gerade deswegen, mit ihnen und drei ihrer Freunde in den Film. Es war eine wundervoll wertvolle, lehrreiche Vorführung. Die Entstehung und ganze Darstellung des Fernsprechdienstes in einfach prachtvoll technisch lustigen Zeichnungen und sehr humorvollen Filmbildern, die uns endlich mal den ganzen ungeheuerlichen Apparat dieses Wunderwerks klarmachte. Und danach kam noch vor der ausgezeichneten Wochenschau der herrlichste aller Naturfilme: „Ätna“! Ach, ich habe Dich ja so herbeigesauselt, er war schlichtweg vollkommen!! Ihn zu beschreiben würde zu weit führen, aber ich war ganz aufgeregt vor Begeisterung über die Güte dieses wundervollen Films, der einfach alles enthielt, was schön u. wichtig in dieser einzigartigen Landschaft ist von Catania bis hinauf zum Kraterrand. Ach, das wäre etwas für uns Beide! – Nachmittags sollte ich zu Geschwister Ernsts kommen, die Bach auf 2 Flügeln spielten, aber ich war viel zu müde und spielte mit meinen drei Buben, mit denen ich heut ganz allein war. Wir machten auch Umsitz auf Platten und Martin, der anfangs öfter sein Schippchen zog, wenns losging, konnte dann als aufmerksamster Zuhörer garnicht genug jauchzen und strampeln! Abends kamen zu einem Teller belegener Brote noch Böckmanns, denen ich Deine Dänemarkberichte vorlas. Am 30. od. 31.10. wird Irene getauft, da mußt Du also bitte nicht kommen.
Morgen Abend spricht Botschafter von Dirksen (Tokio, Moskau, London) hier in der Alten Aula über „Ostasiatisches Kräftespiel“. Die Gesellschaft der Freunde hat dazu eingeladen, ich freue mich sehr darauf. Unser Thema, gelt?
Vorigen Donnerstag war ich vor dem Theater bei Frau Bahls zum Tee, allein, was sehr nett war. Sie wußte durch […] auch Genaueres über Irenes Entschluß, der bis zum Hochzeitstag schwankend gewesen wäre, sodaß die Familie aufgeatmet hätte, als sie glücklich (?) getraut war! Lis Umzug nach Berlin hat jedenfalls den Ausschlag gegeben, nicht etwa die Liebe zum Mann! – Fr. Bahls ging dann auch mit in die sehr ergötzliche und vorzüglich ingenierte Operette: „Die Perle von Tokay“, die mir sehr gefallen hat und in der die unvermeidliche Großmama Ly Brühl Wunders des Charmes und des Temperamentes entfaltete! Sascha saß müd und unaufgeschlossen neben mir, sodaß ich in den 2 Pausen schnell entfloh; ich freu mich, wenn endlich Frau Mokk einmal mit dabei sein wird, denn so ists ja kein Vergnügen. Ich hätte doch Wahlmiete nehmen sollen. – So, es ist Mitternacht und das Briefle wurde im Bettle geschrieben. Schade, daß wir am Fernsprecher gestern unterbrochen wurden,
[Rand:] ich hätte doch noch so viel zu sagen gehabt! Ob Eichen nun kommt? Christhild ist eben bei Deinen Eltern u. war mal hier, um beim Büble-Gymnastik zuzuschauen.
Bitte, wenn Du Christophs Bild wegschickst, nur leihweise, ich hätte es so gern für meine Mappe, es ist zu schön!
Nun einen allerherzlichsten Kuß in Lieb u. Treu
Dein Fraule u. Büble

 

 



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