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Brief (Transkript)

Annemarie Seifert an ihren Freund Erich am 16.01.1941 (3.2002.7118)

 

Weimar, den 16.1.41.



Mein lieber Erich!

Ich hoffe, daß Du mir nicht allzu böse sein wirst, wenn ich Dir einmal einen Breif schreibe, der mit der Schreibmaschine geschrieben ist. Aber ich habe augenblicklich soviel Zeit, daß ich vor lauter langer Weile nicht weiß, was ich machen soll. Und gerade heute Abend muß ich wieder in den Nähkursus. Aber, mein Lieb, möchte ich doch trotzdem Deine lieben Zeilen, welche ich heute noch bekommen habe, gleich beantworten. Da ich aber heute dazu keine Zeit hätte, Dir zu antworten, ist es mir eben jetzt eingefallen. Und ich hoffe bestimmt, daß Du Dich über einen solchen Brief von mir genau so freuen wirst. Stimmt's, oder habe ich recht. Im übrigen ist es wirklich nur eine Ausnahme, da ich diese Sorte Briefe mit einer solchen Schrift nicht leiden kann. Und ich nehme an, daß es Dir auch nicht viel anders ergehen wird.
Und nun zu meinem Erlebnis, welches ich ohne mein Zutun erlebte. Mein Lieb, trotzdem Du Dich nicht klar ausgedrückt hast, wie Du über den ganzen Fall denkst, weiß ich trotzdem, daß Dir das nicht recht war, wie es mir ebenfalls nicht war. Denn ich bin ja derselben Ansicht wie Du, daß man mit einem Mann vollkommen genug hat. Was der Mann sich eigentlich gedacht hat, weiß ich nämlich selbst nicht, denn ich habe ihm absolut keinen Anlaß zu seinem Tun gegeben. Ich nehme vielmehr an, daß ich verkannt worden bin. Und nun will ich Dir auch sagen, daß ich den Likör nicht getrunken habe. Ich muß Dir gestehen, daß ich im Moment nicht gewußt habe was Ich tun soll, da es so plötzlich kam und ich an derlei Dinge nicht dachte. Aber auf einmal wußte ich, daß darfst Du nicht trinken, was geht mich der fremde Mann an. Ich bin dann auch gleich darauf gegangen. Ich hoffe, lieber Erich, daß ich in Deinem Sinne gehandelt habe, denn ich könnte es nicht vertragen, daß auch nur das kleinste Mißtrauen zwischen uns fällt. Noch dazu in der heutigen Zeit, die sowieso ernst genug ist. Ich hoffe, daß Du das kleine Zwischenspiel wieder vergißt und mich weiter lieb behältst.
Und nun noch einmal zu meinem gestrigen Brief vom 15.1.1941.
Mein Lieb, ich hoffe, daß Du den Brief nicht falsch auffast. Vielleicht hätte ich ihn nicht schreiben dürfen, aber, wie ich Dir auch darin mitteilte, habe ich ja nur Dich, um mein Herz einmal ausschütten zu können. Und nach deinem ersten Brief am 15.1. war es mir nicht anders möglich. Ich mußte es einfach tun. Und wir wollen uns ja auch alles anvertrauen, auch wenn es manchmal ein klein Wenig weh tut-. Bist Du mir sehr bös darum? Wenn ja, dann schreibe es mir sofort, denn dann muß ich nach Sagan kommen, um Dir einmal tüchtig die Hosen stramm zu ziehen. Was, da lachst Du? Warte nur, Du kennst Dein Frauchen nur noch nicht. Die kann auch andere Seiten aufziehen. Äääätsch, da staunste. Ja, man kann alt werden wie ein Haus, man lernt nie aus.
So, für heute will ich es nun genug sein lassen. Ich muß nämlich hinunter zum Martin. Er hat Arbeit für mich, damit ich nicht noch vor langer Weile umkomme. Aber Du mußt nun nicht denken, daß das immer so ist. I wo, nur heute einmal.
Und nun leb wohl, sei nicht all zu traurig.
Nach Regen, folgt Sonnenschein. Kennst Du den Spruch noch??
Viele tausend Küsse sendet Dir Deine
Annemie

 

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