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Brief (Transkript)

Annemarie Seifert an ihren Freund Erich am 09.09.1939 (3.2002.7118)

 

Sagan, den 9. Sept. 1939.



Mein liebster Erich!

Ich habe solche Sehnsucht nach Dir, deshalb setze ich mich hin um Dir mein lieber Con [?] wieder einmal mein Herz auszuschütten. Nun sind es schon wieder drei volle Wochen her, daß Du von mir so weit weg nist. Und was für Wochen. Wochen voll Tapferkeit und Treue, mutiger Entschloßenheit, Angst und Sehnsucht. Und doch, wenn diese Wochen werden überstanden sein, werden alle mit Stolz daran zurückdenken. Vor allen Dingen ihr Soldaten, denn sie haben doch unmenschliches geleistet und leisten müßen. Wir können das von hier aus ja kaum beurteilen. Wir hören es nur im Radio und lesen es in der Zeitung, wir sitzen hier im Sichern und verlaßen uns nur auf unsere Soldaten, welche dem Feind entgegen treten müßen. Was müsst ihr schon für Elend gesehen haben. Wie müßen diese unmenschlichen Polen die armen Volksdeutschen gequält haben? Die Menschen einfach zu Morden und zu Schlachten wie ein Stück Vieh. Und so etwas nennt sich noch kultiviert, (so etwas) solch ein Volk lobt der Herr Chamberlain. Aber nichts desto trotz, einmal wird auch er sich die Nase wischen, sogar noch in seinem „Metusalem-Alter“ wie so schön Hermann Göring sagte. Habt Ihr auch die Rede hören können? Es hats Chamberlain aber gegeben. Der wird schön wütend sein.
Liebster, nun soll der Krieg im Osten nicht mehr all zu lange dauern. Höchstens noch acht Tage und 14 Tage bis drei Wochen die Aufräumungsarbeiten. Ach, wenn es doch wirklich so wäre. Wenn ihr auch schon sehr viel geleistet habt, müßt ihr immerhin noch ein ganze Menge schaffen. Und es wird noch so manches Opfer geben. Erich, ich habe manchmal solch schreckliche Angst um Dich, hauptsächlich jetzt im Nachtdienst. Da hat man so viel Zeit zum grübeln. Da kommen einem grässliche Gedanken. Auch wenn man sich noch so dagegen wärt. Sie sind eben da. Aber lieber Erich, ich will Dir Dein Herz nicht noch schwerer machen mit meinen Sorgen; denn Du musst ja viel, viel mehr aushalten. Wir haben es hier ja so schön. Wir merken ja hier gar nichts vom Kriege. Aber gelt Liebster, Du verstehst mich. Es ist ja nur die Sorge um Dich, Dich für immer zu verlieren. Aber das darf nicht sein. Du musst wieder kommen. Ich sage nur immer, wenn zwei Menschen sich so von Herzen lieb, wie wir beide, dann kann es doch unmöglich sein, daß wir so früh schon auseinander gerißen werden können. Wir haben ja aus dem Freudenkelch erst einmal kosten dürfen. Und soll uns der schon wieder genommen werden? Wenn es einen gerechten Gott im Himmel gibt, kann und wird das nie zutreffen. Aber ich will wieder hoffen, daß wir wieder recht bald zusammen sein können. Aber dann wird es mit den verflixten Engländern losgehen. Ach Liebster, in was für einen schrecklichen Zeit leben wir. Krieg und [...] immer wieder Krieg. Hoffen wir aber das alles recht gut noch ausläuft.
Heute habe ich von Deiner Mutti einen Brief bekommen. Sie bangt sich auch sehr um Dich. Das wirst Du Dir ja auch denken können. Deine Muttel hat vielleicht einen Schreck bekommen, als Sie Deine Sachen bekommen hat. Oh’, ich kann mir recht gut vorstellen wie einem da zu mute ist. Ach Erich, wir haben Dich ja alle so gern, daß es ein sehr, sehr großer Verlust wäre, wenn es anders kommen sollte. Wie viel wert einem ein Mensch ist, kann man dann erst richtig ermessen, wenn man ihn in Gefahr weiß.
Erich heute kam unser Führer durch Sagan. Wir haben ihn aber leider nicht gesehen, denn er schlief noch, es durfte niemand auf den Bahnsteig. Nur wir sind mit dem Fahrstuhl raufgefahren. Aber wir mussten verdammt auf Draht sein, wenn die Streife kam waren wir wieder alle drin in unserem Häuschen. Aber es half alles nichts, unser Führer ließ sich nicht erblicken. Lieber Erich sag’ weißt Du vielleicht die Nummer vin den Kradschützen. Margot hat bis jetzt überhaupt noch keine Nachricht erhalten von Gerhard. Ich bekomme ja auch nicht viel Post von Dir; aber ich darf Dir doch wenigstens schreiben. Daß ist schon ein großer Trost.
Nun lebe wohl, mein lieber Con [?], auf ein recht baldiges Wiedersehen.
in Treue Deine liebe
Lusch

Viele Grüße auch von Muttchen. Auch sie freut sich schon bis Du wieder da bist, denn Muttchen hat Dich auch sehr gerne.

 

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