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Brief (Transkript)

Erich Dohl an seine Frau und Töchter am 30.11.1941 (3.2009.1998)

 

30.11.41



Meine lieben Mäuschen!

Heute ist Sonntag und dazu noch der 1. Advent. Das Wetter war richtig wie Winter. Den ganzen Tag hat es geschneit. Wenn es so weiter geht, dann sind wir Morgenfrüh eingeschneit. Jedenfalls scheint jetzt der russische Winter zu beginnen. Vom Sonntag bezw. Advent haben wir nichts gemerkt. Wir arbeiten zur Zeit auch an anderen Tagen nichts, als das was wir gerade müssen. Das ist Essenholen, Spülen und Holzsägen. Ltn. Büchele läßt uns in Ruhe. So faulenzen wir den ganzen Tag herum. Das Neueste ist, wir spielen Karten. Aber auf die Dauer wird dies ja auch langweilig. Jetzt haben wir auch den November hinter uns gebracht, denn heute ist der letzte. Gespannt bin ich ob wir im Dezember noch hier heraus kommen oder nicht. Fast möchte man das letztere annehmen. Auf der Schreibstube liegt ein Befehl, wonach es für die Truppen 20 Tage Urlaub geben soll. Es heißt jedoch darin, daß erst die Fußtruppen fahren dürfen und später die motorisierten. Jedenfalls haben wir noch keine Aussichten für Urlaub. Von einem Stellungswechsel hört man auch nichts. Ich wäre dafür, jedoch nicht für vorwärts sondern rückwärts. Ich hätte nichts dagegen, wenn wir schon in Rußland bleiben müssen, wenn wir wenigstens in eine Stadt wie Staraja Russa oder Welikije Luki können. Dort gibt es doch wenigstens feste Häuser, ein Bad und sogar Kinos. Aber noch besser wäre es wir können Heim nach Deutschland oder wegen mir auch nach Frankreich. Du mein Schätzchen kannst mich sicher am Besten verstehen, wenn ich so sehr darauf brenne, aus diesem elenden Land heraus zukommen. Trotzdem wirst du dir kaum vorstellen können, wie wir in dieser Einöde leben müssen. Wo du hin guckst ist Wald und Schnee. Selbst die Ruhe geht mir bald auf die Nerven. Stell dir vor, du wärst jetzt in Maria Linchen und würdest in der Waldrast ihres Kellers wohnen und sonst wäre kein Haus da. Also Kirche, Linchenmühle und Waldrast wären nicht vorhanden. Die Häuser gegenüber können ruhig da sein nur müßten sie unbewohnt und halb verfallen sein. So ist es bei mir. Das geht praktisch seit dem 22.6. so. Da soll man nicht narrisch werden. In der Ferne wiegelt es ja schwer. Es schießt den ganzen Tag und fast die ganze Nacht an einem Stück. Ein Glück, daß wir nicht so dicht bei sind. Der Rußlandfeldzug hat mir gerade noch gefehlt. Auf die Auszeichnungen verzichte ich gerne, zumal jetzt mit den Kampfabzeichen auch noch so ein Schwindel getrieben wird. Selbst unserem Spieß, dem Rechnungsführer, dem Schirrmeister und dem Kammerbullen haben sie eingereicht. Alles Leute, die vom täglichen Kampf noch gar nichts gesehen haben. Es ist eine Schande. Jedenfalls kann man den Wert einer Auszeichnung daran erkennen. Ich fasse es als eine Beleidigung der kämpfenden Truppen auf, wenn die Vorgenannten es bekommen. Es soll mir jedoch egal sein, aufregen tue ich mich deshalb noch lange nicht. Ich wäre glücklich, der Krieg wäre endlich zu Ende. Wie lange wird dieser Saukrieg noch dauern. Mit Rußland hätten wir nicht in den Krieg kommen dürfen, dann wäre vielleicht jetzt Friede. Was nützt uns jedoch das Wenn und das Aber. Für uns heißt es aushalten und durchhalten. Wie man so hört. Sollen die Russen Tischwin wieder genommen haben. Ich glaube es jedoch nicht, denn unser Major ist ja noch dort. Allerdings hat unsere 3. Batterie (Schlößer) einen Rückzug machen müssen. Hoffentlich holen sie uns nicht zum Erdkampf, alles andere ist mir schnuppe. Eigentlich müßten die paar Wochen, die wir noch aushalten sollten, wie der Führer s. Zt. Sagte, so langsam zu Ende sein. Ich glaube jedoch nicht mehr an ein Ende in Rußland, noch in diesem Winter. Meiner Ansicht nach ist der Winter gegen uns und nicht für uns. Wir wollen auf jeden Fall den lieben Gott um seinen Schutz bitten, denn ohne seine Hilfe wären wir zweifellos verloren. Seien wir dem Herrgott für seine bisherige Hilfe recht dankbar, denn der Tod ist schon sehr sehr knapp an mir vorbei gegangen. Ich meine am Ostrow, Welikije Luki, an der Pola Brücke und Demiansk von den anderen Gelegenheiten will ich garnicht reden. Du hast ja meine Briefe und hast ja auch das Gefährliche heraus gelesen. Ein Beweis, daß mit Gotteshilfe alles erreicht werden kann. Vertrauen wir weiter auf seine Güte er wird es uns schon lohnen. Neues gibt es nicht bei mir. Ich hoffe auch bei Euch nicht. Bleibt mir gesund, das ist die Hauptsache. Wenn euch das Essen noch knapper werden sollte wir wollen es tapfer ertragen. Es gibt schlimmeres, als ein knapp gefüllter Bauch. Wenn ich so an daheim denke heute am 1. Adventssonntag, dann könnte ich fast vor Rührung weinen. Dabei soll ich ein kampferprobter Kämpfer und ein harter Mann sein. Das ich nicht lache. Weißt du noch wie Urselchen noch so klein war und wir haben ehe sie ins Bettchen ging, das Kerzchen im Blumentopf angesteckt? Wie schön sind doch so strahlende Kinderaugen, zumal es ja sogar unsere Kinder sind. Ja ich bin sehr froh, daß wir die zwei Kerlchen haben. Gerade jetzt im Kriege sind sie doch eine große Stütze für Dich mein Schatz. Da wollen wir doch das bischen Mehrarbeit und die geringen Ausgangsmöglichkeiten sowie kürzeren Urlaubsreisen gerne hinnehmen. Es tut mir nur leid, daß ich Euch zum Weihnachtsfest so garnichts schenken kann. Ich hoffe ja zum Christfest von der Batterie Schokolade zu bekommen. Aber das ist doch zu spät und bestimmt nicht viel. Trotzdem werde ich sie Euch aufheben. Nur ein Rabenvater könnte die selbst essen. Geld habe ich genügend. Bald schicke ich wieder ein paar Mark ab. Wenn du etwas dafür bekommst, dann kaufe nur. Ich hänge bestimmt nicht an dem Geld. Hoffentlich ist bald wieder Friede auf Erden, denn ich bin überzeugt, daß sich alle Menschen danach sehnen. Gebe Gott, daß es in Bälde ist. Seit recht lieb und brav und recht herzlich gegrüßt und geküßt von Eurem lieben Papa.
Auf baldiges Wiedersehen!

 

 



Ansicht des Briefes

 

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