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Brief (Transkript)

Walter Kroen an seine Eltern am 6.5.1943 (3.2002.7506)

 

46

Tunesien, 6.5.43



Meine lieben Eltern!

Ganz so schnell, wie ich diesen Brief auf No. 45 folgen lassen wollte, ist es nicht geschehen, aber immerhin ist das eingetreten, was mir schon gestern eine Art Verzückung verlieh, - der Chef ist fort und wird nach menschlichem Ermessen heute auch nicht mehr zurückkommen. Es bleiben ihm ohnehin nur mehr für diesen Tag einige Stunden, aber er bringt es fertig, nachts anzukommen, wollen wir mal gar nicht dran denken. Meiner ausgelassenen Freude von Gestern wurde abends ein Dämpfer aufgesetzt, indem man mich für die Nacht auf Wache schickte und ich das herrliche Programm von Belgrad und anderen Sendern zum Mittwoch ziehen lassen mußte. Da lag nun der Apparat brach, wenigstens für mich, der Wagen war schon bevölkert. Licht in diese trübe Tatsache sendet brachte Postempfang, man kann wirklich nicht klagen, die Reihe der Briefe ist geschlossen und bis 37 fortgesetzt; noch herzlichen Dank für diesen Gruß samt Zigaretten, sowie für 2 Päckchen 66,67/ 7. IV. mit Proviant für die Nachtwache. Für den verlorengegangenen Schlaf habe ich mich heute morgen entschädigt, mich einfach nach dem Gewehrreinigen und Frühstücken um 615 wieder aufs Ohr gelegt und bis 10h gepennt. Wenn einen die Fliegen mit der zunehmenden Tageswärme nicht störten, schliefe ich vielleicht aus Passion und „essensparenderweise“ noch jetzt. Diese Extravaganz konnte ich mir leisten, da der dienstbetrieb bei Abwesenheit des Häuptlings recht abflaut, da genießt jeder, vom Spieß bis zum jüngsten Gefreiten, den sonnigen Tag, auch wenn es stürmt wie heute. Nur verdammt schade, daß die Zeit so schnell vergeht. Ehe man was gescheites anfängt, ist der Zeiger meiner munteren Uhr eine Stunde weitergeschwungen. Ein bißl Wäsche und schon ist Mittag da, die anstrengende Tätigkeit der Kauwerkzeuge. Man bedenke, weiße Bohnen, die sowieso nie gar werden, ob sie in der Feldküche vier Stunden stehen oder auf meinem Kocher entsprechend lang, wenn ich mir zur Vorspeise ein Kochgeschirr voll Saubohnen vom Feld nebenan organisiere. Der Nachmittag verlief wenig aufregend, in stiller Hingabe an das Glück des Alleinseins. Was ist es schon für den Landser Grund zum Spektakel, wenn in einem eigens für Entlausung „möbilierten“ Benzinfaß die Wäsche der ganzen Abteilung unter Dunst gesetzt wird. Anders bei meinem Chef, der war ganz außerm Häusl, als er vom Vorhandensein einer versprengten Laus hörte. Ich dachte bei seinem Telefongespräch, der Tommy sei ins Lager marschiert, und nun der viele Lärm, Gottlob um eine kleine „süße Laus“, der man doch nichts tun dürfte, da jetzt schon Schonzeit für diese Art Tier herrscht. Wer jetzt noch Läuse hat, soll in seinen langen Unterhosen vermodern. Nichts desto weniger habe ich dem Befehl getreu meine und des Chefs Decken in den Kessel gestopft, nun eine große, schneeweiße von diesen als zitronengelben Lappen aus der Tunke zu ziehen. Totaler Krieg, Hauptsache die Laus ist tot oder wird von nun an totgeschwiegen. Durch Schaden wird man klug. Ich meine, nichts gegen Entlausung, aber wenn schon, denn mit System, wenn’s auch schwerfällt. Das von heute war bloß eine halbe Sache. Ich hätte den Schrecken sehen und meine schlaflosen Nächte nicht kennenlernen wollen, wäre ich auf die dusselige Idee gekommen, dem Chef seinerzeit meine Entdeckung einer Wanze in seinem Feldbett zu melden. Schnell gedrückt war der Fall für mich erledigt. Er verdiente damals nicht einmal seine Auferstehung in einem meiner Briefe über das Tierleben. Aber sicher hätte ich den Wagen von Grund auf abmontieren müssen, ein ganz aussichtsloses Beginnen bei den vielen Kartenballen, die hier verstaut liegen. Jetzt zum Abend duftet es in meinem gefederten Bau wie in Blättbrett’s Bügelstube, die Nachwehen der eingedampften Decken, die sich des Scheines von Sauberkeit erfreuen und (siehe weiße) kein Jota ihrer Ungepflegtheit abgelegt haben. Im Gegenteil – ad acta. Wahrscheinlich erfreue ich mich kurz vor den Abendnachrichten der letzten Minuten der Ruhe in Wagen, die Meute wird schon im Anmarsch sein und dann muß ich den Brief noch unterbrechen. Ich fange mal an Näher auf Eure letzten Briefe einzugehen, in No 45 war kein Platz und noch weniger Zeit dazu vorhanden. An Vor Ostern habe ich mich nicht bedauert, soviel Post abschicken zu müssen, es waren so an die zwanzig Grüße, aber ich versprach mir von dieser Art der Wiederbelebung alter Beziehungen, der Tilgung längst fälliger Schulden reiche Ernte und Überraschungen, die wohl jetzt eintreffen müssten. Vielleicht ist auch vieles „untergegangen“, dann nehm‘ ich es als Strafe für die Fehler von einst. Jedenfalls machte mir die tolle Beschäftigung Spaß, sie ging ausnahmsweise schnell und viel nach Schema F. Viel Zeit hat sie mir also nicht gekostet und ich glaube der Chef glänzte auch durch Abwesenheit. Die Geburtstagsgrüße in B 37 haben mich wirklich überrascht, nicht weil sie rechtzeitig kamen, sondern weil ich sie zuerst mächtig verfrüht glaubte und erst allmählich dahinter kam, daß aus dem gemächlichen „bald“ so plötzlich der Tag genaht war. Vielleicht hätte ich ihn also ohne den Alarmruf verschlafen; jetzt kann es mir ja nicht mehr passieren, ich werde ihn sogar zweimal erleben, nach Mitternacht und morgen nach dem Aufstehen. Schade, daß man gar nicht mehr auch nur ein bißl feiern kann, die seeligen Zeiten unserer Biervorkommen sind hinüber, der alkoholgetränkte Boden ist dem plutokratischen Machthunger zum Opfer gefallen, nieder mit England!
Aber ganz soweit ist es nicht, schon am Vorabend meines Geburtstages drängen sich philosophische Gedanken auf, wie zu allen Stunden, mal Galgenhumor, mal ernste Erwägungen. Was mögt ihr zu meinen gelegentlichen Stimmung- und Lageberichten denken, die bei Erhalt vom eigenen Nachrichtendienst über den Haufen geworfen werden? Wir bewegen und wie kleine Kinder, die Angst vor dem schwarzen Mann haben und sind schon froh über jeden vergangenen Tag, der ohne wesentliche Angriffe vergangen sind. Eure Briefe deuten es nicht an, aber ich glaube, die meisten drüben haben uns schon abgeschrieben. Ich habe heute bei meiner Abteilung (Separat-Spieß]) endlich meine Personalien angegeben, eine Formsache ohne weitere Bedeutung, bloß Beschäftigung für Bürokraten, die Zeit für Statistik haben. Es wird alles notiert, von Konfession, über Orden- und Ehrenzeichen bis zur Eintragung des letzten Urlaubs, eine Unmenge von Angaben. Ist es noch nötig, sich Sorgen um den nächsten Urlaub und über die Möglichkeit einer Beförderung zum Obergefreiten zu machen? – Ja, nur da bin ich so schön am Faseln und könnte in dem Thema noch lange fortfahren, da bringt mich ein Telefonat auf ganz andere Idee. Der Häuptling kann jeden Augenblick eintreffen. Eine Bombe nicht vernichtender einschlagen. Radio aus, die Gäste, die ausnahmsweise helle [?], schreibwütige Gesellen waren, ausquartieren und aufräumen. Nun bin ich in Schweiß gebadet, er ist schon hier, bloß noch 500 m entfernt im Geschäftszimmer und mir ist zu Mute, als ob der Tommy schon da wäre. Wir konnten es uns denken, in Tunis hat’s zu sehr gerumst. So werde ich nun traumlos in meinen Geburtstag schlafen. Ich möchte 100 mal laut ein unappetitliches Wort in die Gegend schreien, - meine kleinen Sorgen. Da ist er schon. –Oh weh mein Optimismus, geht der Brief noch weg? Ich hoffe es und grüße
Euch allerherzlichst
Walter

 

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