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Brief (Transkript)

Walter Kroen an seinen Vater am 13.3.1942 (3.2002.7506)

 

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Afrika, 13.III.42.



Mein lieber Vater!

Schon lange ist ein Schreiben an dich fällig, ich habe Dir auch bereits vor geraumer Zeit einen Brief versprochen; doch, wie Du siehst, zur Tat kommt es erst heute Abend. Allerdings war ich schon am 24.II vor einem Brief an Dich gesessen und hatte es auch auf zwei Seiten gebracht, aber dann wurde ich unterbrochen und so habe ich leider Dich weiter warten lassen. Damit Du auch gleich im Poststempel meinen Gruß aus Afrika erkennen mögest, verwende ich einen roten Umschlag, einen der letzten, die mir zur Verfügung stehen. Hoffentlich nutzt auch die Schreibmaschine, damit der Brief zur Geschäftspost kommt.
Ihr habt nun in den letzten Wochen den abermaligen, siegreichen Vormarsch der verbündeten Truppen verfolgen können und habt sicher mit ebensogroßer Freude wie wir die Wiedereinnahme der wichtigsten Orte aufgenommen. Für uns war es sowieso eine klare Sache, daß unser Rückzug nicht bis Tunis gehen würde, sondern daß es eben ein dummes Zwischenspiel bedeutete, an dessen Ende doch die deutschen Waffen die entscheidende Sprache reden würden.
Zugegeben, für uns Laien wenigstens kamen die Verhältnisse im November überraschend, so ziemlich über Nacht. Das ist auch durch die eigene Kriegführung im Lande bedingt, Überraschungen sind in der Wüste sowie an der Tagesordnung. Wir mußten auch weiter zurückgehen, als ich mir das am Anfang vorgestellt hatte. Die Trennung von unserem Standort, wo die Baracken standen, fiel auch nicht schwer, hoffte ich doch bald mein gewohntes Bett wieder aufsuchen zu können. Erst heute jedoch werden wir uns unseren strategischen Schachzug etwas klar, wo es wieder vorwärts geht und wo wir sehen, in welche Falle der Tommy geraten ist. Der hatte in diesem Falle wirklich die Rechnung ohne den Wirt, unseren schneidigen Generaloberst, gemacht. Ich will nicht gerade von einem siegreichen Rückzug sprechen. Dazu war die Lage zu ernst und auch sonst zieht der Ausdruck seit Dünkirchen einen faulen Geruch nach sich. Wenn jedoch plötzlich aus dem Zurückgehen ein so unaufhaltsamer Vormarsch wird, so ist dies schon der sicherste Beweis, daß unsere Führung jederzeit das Heft in der Hand hatte und das Instrument zum kämpfen stets in solcher Verfassung vorfand, daß die überraschenden Schläge so kommen konnten, wie es uns paßte. – Daß wir überhaupt zurückgehen mußten, nun daran ist die ungeheure Überlegenheit der Tommy’s schuld, die zu dieser Zeit ihre ganze Mittelmeermacht ins Feld warfen. Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet ist es nur verwunderlich, daß wir uns zeitweise so gut halten konnten. Was die Truppen um Tobruck und bis ins neue Jahr in Sollum und Bardia geleistet haben, ist unvorstellbar und kann nicht viel genug gewürdigt werden. Du schreibst einmal, Du könntest schon eine Portion Wahrheit vertragen; natürlich verstehen es einige Miesmacher daheim, den Rückmarsch vom November den Italienern aufs Schuldkonto zu schreiben. Nun kann einer sagen, wie soll ich es besser wissen, wie es vorn aussah, da ich doch gar nicht bei der kämpfenden Front bin? Bis zu einem gewissen Grad mag das stimmen. Aber schließlich haben wir die Zeit ja nicht verschlafen und die Ereignisse nicht von Tripolis aus betrachtet, sondern haben alle Etappen ausgekostet und so nebenbei uns einige Technik im Zeltaufschlagen angeeignet. Und was ich nicht selbst erlebt habe, das haben mir Kameraden, die mit dabei waren, immer wieder bestätigt: unsere Bundesgenossen haben sich überall tapfer geschlagen und wenn die Engländer aus Tobruck aus brechen konnten, so ist ihnen diese Gewaltmarsch nicht leicht gefallen, und er wird sie über zahllose gefallene Soldaten geführt haben. Ich habe ja selbst oft die traurigen Reste fast völlig aufgeriebener italienischer Einheiten gesehen, die kamen bestimmt nicht von dort, wo man durch planlose Flucht hohe Verluste hatte. Mögen die Soldaten Mussolinis inmitten der deutschen Reihen vieles in einem Jahrgelernt haben, - es soll ihnen auch nur bisher an der richtigen Führung gefehlt haben, - oder mögen auf unserem Kriegsschauplatz sogenannte Elitetruppen stehen, auf alle Fälle geziemt den Italienern in Lybien höchstes Lob und vermeintliche Besserwisser, die vielleicht mancherorts aus längst vergangenen Zeiten Schlüsse zu ziehen und miese Stimmung zu machen verstehen, sollten schleunigst Ihr Maul halten, damit sie es nicht noch verbrennen. Sicher sind viele deutsche Kameraden schon aus dem Grund wenig begeistert nach dem Süden gezogen, weil sie nicht Bundesgenossen des „schwachen Bruders“ werden wollten und in dem Wahn lebten, sie müßten nun die Kastanien aus dem Feuer holen. Ab und zu trifft man noch auf so dumme Ansichten, als ob es darum gehe, Lybien dem Duce zu retten und daß die Heimat uns wiedersehen würde, sobald die Tommy’s aus Tobruck und Bardia vertrieben wären. Natürlich wird der Halfaya-Paß nicht das Ende unserer Aufgaben bedeuten, Gottlob kämpft man nicht um Quadratkilometer Sand und Dornbüsche, sondern es gilt England zu schlagen, wo man es treffen kann. Und wo ist dies für uns zur Zeit am leichtesten möglich. Nun einmal hier, einmal hat auch der ewige Sand ein Ende und Kairo war sicher nicht bloß ein Traum des vorigen Jahres.
Im Allgemeinen haben unsere Landser also andere Anschauung gewonnen von den Eigentümern dieses Landes, das macht auch das Leben leichter und ist vorallem für die Zukunft von großer Wichtigkeit. Wir neigen ja leicht dazu zu glauben, wir könnten im Hinblick auf unsere einzig dastehenden Leistungen etwas von oben herab die Taten anderer beurteilen. Bei den Soldaten ist dies vielleicht noch mehr der Fall. Doch Vorurteile haben sich hier in Lybien bestimmt nicht bewahrheitet, zu mindesten bei Soldaten, die von Frontsoldaten beeindruckt sind. Ganz natürlich ist von Anfang an eine Verständigung von Mensch zu Mensch unter uns und den „Itaks“ nicht so leicht. Der Unterschied der Rasse macht sich allgemein bemerkbar, jeder sieht natürlich zumeist die weniger guten Eigenschaften seines Bundesgenossen, oder wenigstens die, die ihn durch ihre Fremdartigkeit irgendwie abstoßen. Wir Deutsche haben bestimmt nur zu oft vor unseren eigenen Türen zu kehren und wollen dies leider nicht immer einsehen. Ich bemühe mich schon, einigermaßen gerecht zu sehen und die eigenen „Fehler“ unserer Rasse kennenzulernen, und das fällt mir oft sehr schwer. Und im Allgemeinen mache ich die Beobachtung, daß wir uns immer als die Herrn im Lande fühlen. Von oben herab ist dieser Gedanke auch fast unterstützt und auch mit Recht. Denn schließlich hat unser Chor gerettet, was zu retten war und selbst von den Italienern werden wir nicht bloß als Kampfgenossen, sondern als Befreier oder ähnliches gefeiert und dementsprechend behandelt. Für uns Deutsche unvorstellbar, zu einem anderen Volke aufblicken zu müssen! Aber nach meiner Meinung ist die Einstellung dem Verbündeten gegenüber für manche schwache Kreatur nur zu leicht ein Tor, durch das das ungebändigte Feuer seiner Leidenschaft und fast tierhaften Gier sich austoben kann. Schließlich sind wir in erster Linie einfache Soldaten, die ihre Pflicht erfüllen sollen, sei es wo es sei und die vorallem die soldatische Haltung nicht verlieren dürfen. Ich beispielsweise würde mich schwer vor den Kopf gestoßen fühlen wenn ich an Italiener-Stelle so behandelt würde, wie ich schon erlebt habe, wie man gelegentlich gegen sie verfährt. Nun ja, sie ertragen es vielleicht eher, doch darf man nicht vergessen, daß auch sie ihren Stolz haben und daß wir immer die Zukunft vor Augen haben müssen. Es soll aber nicht meine Aufgabe sein, zu urteilen, was wir recht oder falsch machen, es sind eben meine Gedanken, die ich mir so bei meinen „Betrachtungen zur politischen Lage“ mache. Wir könnten doch selbst einmal uns in bedrängter Lage befinden und auf die Hilfe anderer angewiesen sein, Ganz abgesehen von einer Hilfe, die sich unmittelbar auf das den Kampf bezieht, gibt es doch so viel Gelegenheit, daß wo man sich nur durch eine belanglose Tat verdient machen kann. Zum Beispiel, man ist Kraftfahrer und hat keinen Sprit mehr, man kommt irgendwohin und schiebt mächtig Kohldampf, man wird von der Dienststelle nach einem entfernten Ort geschickt, natürlich ohne Wagen und ist dann auf „Anhalter Bahnhof“ angewiesen. Überall aber erweist sich der italienische Soldat wie auch die noch im Land verbliebene Bevölkerung als überaus kameradschaftlich und gastgeberisch, daß man sich nur wundern kann. Auf das Winken eines auf der endlosen Straße stehenden müden Kriegers geben die deutschen Kraftfahrer eher Vollgas als daß sich Erbarmen mit dem Infanteristen hätten. Ganz anders dagegen unser Itak. Der stoppt sofort und bietet dir letzten verfügbaren Platz. Nun will aber auch ich stoppen, sonst sieht es am Ende aus, als wollte ich uns selbst schlecht machen. Es sollte auch nur eine kleine Probe sein, die den Unterschied der Charaktereigenschaften ein wenige beleuchten sollte. Andererseits können wir im Kleinen – im Großen ja immer – auf unsere Eigenschaften stolz sein. Da gäbe es wieder Beispiele über Beispiele, das Leben hier ist ja so interessant für das geistige Auge. Zwar haben wir auch recht froh zu sein über unser richtiges und bedächtiges Wesen, dabei gelten die Berliner auch noch als ruhig. Zu viel […] permanent in Sprache und Gesten kann einem wohl auf die Socken fallen. Da steht beispielsweise kurz vor 11h vor dem Mittagessen der ganze Verein Stellung an der Feldküche; die Kässel [?] rauchen zwar schon, aber von den Küchenbullen läßt sich keiner sehen oder höchstens einer mit it einer Zigarette (soweit die Provokation!), ungeachtet der wartenden Menge wird mit den Aufgaben gewartet, bis es auf der Herren Uhr „soweit“ ist. Die Schlange wächst, proportional dazu die geladene Stimmung, Dumpf sind alle Gesichtsausdrücke, obendrein lacht die Sonne, daß man einen Stich bekommen könnte. In dieses Stimmungsbild, bei dem jede Unterhaltung stockt, sei es nicht, daß einer seinen Gefühlen heftig Luft macht, platzt so ein im Glied stehender Bundesgenosse mit einer Arie von Verdi. Oder mit La Paloma oder sonst etwas ganz unpassendes; aber immer aus vollster Kehle, und alle anderen seine Kameraden fallen in den Choral, daß es nur seine Art hat. Zweifellos singen sie alle besser wie unsereins, doch für einen ruhigen Germanen ist das zuviel verlangt. Die Nerven sind unter dem Tropenhimmel sowieso ständig überreizt. Da lob‘ ich mir doch unsere Ruhe. Das war also ein kleiner Punkt unter den unzähligen Erlebnissen des Alltags, kennzeichnend nur für die Charakterunterschiede zwischen Nord und Süd. Wenn man dies nicht übertreibt, dann wird man sich auch über die Schwierigkeiten klar, die ein Zusammenleben mit sich bringt. Ausgleichend wirkt hier nur das Aufeinander angewiesen sein und das Fronterleben, das über diese Schwierigkeiten hinwegsieht. Und es ist auch mein großer Trost, daß es weiter vorn besser aussehen möge in Bezug auf gegenseitige Kameradschaft als bei unserem Verein; wir haben hier zahlreiche Italiener als Verbindungsleute bei unserer großen Dienststelle. Es sind alles prima Kerle, mögen sie nie von uns anders denken, selbst wenn einem auf seine Bitte um eine Zigarette oder um Feuer mit einem gewissen Zitat aus dem Götz geantwortet wird. Das sind gottlob Ausnahmefälle, im Großen stellt unsere nordafrikanische Front doch eine Einheit dar, an der sich der Tommy und der Teufel die Zähne ausbeißen werden, wenn sie es nicht vorziehen, uns lieber den Rücken zu zeigen. Seit einigen Wochen ist bei uns Stillstand an den Fronten. Spähtrupptätigkeit bei Gezele [?], so werdet ihr aus den Berichten des OKW entnehmen. Seid bitte Zuhause nicht ungeduldig, für uns wäre es auch schöner, wir würden die liebliche Cyrenaika verlassen und die östliche bekannte Wüste aufsuchen. Doch ist es klar, daß sowas wie nach Osten gen Kairo marschieren kein Spaziergang ist. Sollen wir uns totrennen, wie der Tommy es vormachte? Kommt Zeit, kommt Rat. Auf alle Fälle kommt unser Umzug. Für unsere Front ist der Nachschub die wichtigste Frage. Die weiten Strecken ist sind wohl auch in Rußland vorhanden, doch liegt kein trennendes Meer zwischen Front und Heimat. Und was das bedeutet, hae ich ja an eigenem Leib verspüren könnte. Zum mare nostrum ist noch ein weiter Weg, der zweifellos auch siegreich beschritten wird. Daß allerhand über über den Bach kommt, merken wir ja schon an dem reichen Postsegen, der uns begleitet und uns die Ferne leichter ertragen läßt. Und dann hat uns ja in unseren Nachschubsorgen der Tommy geholfen, indem er uns seine wunderbaren LKW‘s daließ. Wir haben ja in unserer Übergründlichkeit auch für den Tropenkrieg gerüstet und stehen […] gewappnet, doch hat der Engländer meines Erachtens die größere Wüstenerfahrenheit. Seine Lastwagen sind wenigstens bei uns äußerst beliebt, nicht etwa weil wir gerne [?] ausländische Ware für besser halten als unsere unübertroffene Ware made in Germany. Unsere Einheit fährt fast ausschließlich auf Beutewagen, das gibt einmal einen komischen Zug zum Nil. Jetzt will ich der Feder aber energisch Einhalt gebieten, bevor sie auf das 11. Blatt saust, Es reicht mir wieder für heute und ich habe Dich ohnehin lange von der Arbeit abgehalten. Nur immer los mit Humor und Optimismus. Nach dem Frühling kommt der Sommer mit Stalins Sturz. Damit ist vieles anders. Ich schließe mit einem kräftigen Horrido auf unser Afrikakorps und unseren geliebten Rommel. Herzliche Grüße auch an Mama und Gerhardt

Vom Walter.

 

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