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Brief (Transkript)

Gerhard Kunde an seine Mutter am 12.10.1943 (3.2002.0864)

 

O.U., den 12.10. 43.



Liebe Mutter!

Welch ein Tag gestern, ich habe die erste Post von Euch bekommen! Vorgestern mittag sind wir hier in Bo. eingetroffen, da bekam ich schon eine Zeitung vom Ende September. Da wußte ich wenigstens, daß Ihr die schweren Fliegerangriffe gut überstanden habt. Und dann gestern die ersten Briefe, ein paar ganz alte und als neuesten den vom 2. 10. Ein Päckchen mit der Garnitur Unterwäsche ist auch schon da. Ich kann mir denken, wie schwer es für Euch beide war, so lange nichts von mir zu hören. Der einzige Trost ist es wohl, wenn alle gleich schlecht mit Post dran sind. Das ist es ja auch, was uns ein klein wenig getröstet hat in den 6 Wochen, die wir ohne jede Nachricht aus der Heimat waren. Das war übrigens der Rekord, den ich in dieser Beziehung erlebt habe. Aber nun ist ja alles wieder in Ordnung und der Schmerz schon vergessen.
Aus den unzusammenhängenden Briefen, die ich von Euch bis jetzt habe, konnte ich ersehen, daß Du Anfang September krank gewesen bist, weiß aber noch nicht, was es eigentlich war. Nun, offenbar ist inzwischen aber alles wieder in Ordnung. Etwa zur gleichen Zeit hatte ich übrigens auch eine kleine fieberhafte Erkältung, die aber schon nach wenigen Tagen überstanden war. Hier draußen wird man schnell wieder gesund. So, und nun muß ich etwas eingehender von dem berichten, was sich hier inzwischen getan hat. (Am 8.10. wurde das Batl. auf Befehl des kommandierenden Generals entwaffnet, dies mit Rücksicht darauf, daß das Überlaufen zu den Partisanen nicht abriß – bisweilen konnte die Absicht dazu entdeckt u. die Betreffenden erschossen werden - . Nur ein paar ganz zuverlässige Leute bezw. solche, die man noch dafür hält waren also bei dem letzten Marsch von 4 Tagen bewaffnet, dazu die Komp. des Lt. Rössler, von der nur ein russ. Uffz in der ganzen vergangenen Zeit wegen Fluchtversuch erschossen zu werden brauchte. Die Entwaffnung als solche mußte aber den Leuten verheimlicht werden, da sich sonst alle heimlich bei Nacht verdrückt hätten. Denn sie fürchten nichts mehr, als ins Gefangenenlager zu kommen, und das müßte ihnen ja nach einer Entwaffnung blühen. Dieses Verheimlichen stieß aber auf unvorhergesehene Schwierigkeiten, da der LKW. auf dem die Waffen verladen waren, nur 2 Tagen je 3 Reifenpannen hatte u. so kaum schneller fortkam als das marschierende Btl., dem man gesagt hatte, die Waffen wären bereits nach [...] geschafft, um dort überholt zu werden. Ich hatte nebenbei die Leitung dieses LKW. u Du kannst Dir denken welche Nervenproben das wieder gekostet hat. Inzwischen scheint sich ja nun alles zum Guten gewendet zu haben. Das Btl. soll in sich neu aufgestellt werden, d.h. die unsicheren Elemente entfernt u. aus 5 Komp. 3 gemacht werden. Ja, und dann zieht der ganze Verein aller Voraussicht nach gen Frankreich wie schon 6 weitere Btl. vor ihm. Dort soll es zur Bahnsicherung eingesetzt werden u dtsch. Sicherungsbtl. ablösen, die dafür hierher kommen. Damit verlieren die Ostbtln. zwar den Charakter einer Befreiungsarmee, aber wir haben sie sicher in der Hand, sie können keine Verbindung zu Partisanen aufnehmen und unterliegen nicht der Fluchtpropaganda der Zivilbevölkerung. Diese wollte den Leuten z.B. noch jetzt, nachdem wir schon 25 km hinter der neuen, begradigten Front lagen, weiß machen, daß wir von den Russen eingeschlossen seien, um sie auf diese Weise zum Fortlaufen zu bewegen.
Vielleicht hast Du aus alledem einen kleinen Begriff davon bekommen, was hier für ein Nervenkrieg dieser ganze Rückzug seit dem 10.9. war. Von der Front hatten wir zwar kaum etwas zu fürchten – nur einmal waren russ. Panzer durchgebrochen und standen vor uns auf unserem Wege zurück – umsomehr mußten wir vor den Banden, d.h. vor der gesamten Zivilbevölkerung, die z.T. mit diesen identisch ist, und schließlich auch vor den eigenen Leuten auf der Hut sein. Da wir jetzt alles hinter uns haben und gleichsam im sicheren Nest sitzen kann ich das ja ruhig erzählen.
Eben haben wir wieder ein paar Sack Post bekommen. Ich habe jetzt 8 alte Briefe von Dir, dazu heute den vom 5.10., für den ich Dir recht danke. Um Dich zu beruhigen: ich habe bereits alle Toilettenartikel bis auf eine Nagelfeile. Dicke Wäsche brauchst Du vorläufig nicht zu schicken. Und noch eins: gehungert habe ich nie, im Gegenteil bestimmt immer noch viel mehr zu essen gehabt als Du. Hier konnte man wirklich requirieren, ich nehme an, daß Dir dieser Begriff geläufig ist. – Alles Gute denn es geht wieder etwas bergauf. Viele liebe Grüße Dein Gerhard.

Diese Geschichte kannst Du Dorth. zu lesen geben, dann brauche ich es ihr nicht noch einmal so ausführlich zu schreiben.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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