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Brief (Transkript)

Friedrich Spemann an seine Ehefrau am 05.10.1939 (3.2002.7135)

 

Auf einem Gutshof östlich der Weichsel. 5. Oktober 39. ½ 16 Uhr



Du mein Liebstes! Ich sitze in der Sonne auf meinem Mantel, an mein Auto gelehnt. Die Sonne neigt sich schon, aber es ist schön warm. Ich schrieb vorhin eine Karte, die aber doch erst morgen abgeht, so kommt sie halt mit dem Brief gleichzeitig an. Tinte sparen! -
Ich habe mich eben seit 2 Tagen zum 1. Mal waschen können und fühle mich recht wohl. - Die Sonne geht ja hier eine Stunde früher unter und ebenso viel früher auf als bei Euch. Deshalb wecke ich Dich morgens immer so früh, ohne es zu wollen. Aber ich kann nichts dafür! Wir haben wieder wie bei Radom einen Riesenmarsch hinter uns, allerdings unge-fährlicher, gingen heute Nacht um 1/2 1 über eine wunderbar gebaute Schiffsbrücke über die Weichsel nördlich von dem Punkt, wo wir schon früher einmal in ihrer Nähe waren und liegen jetzt in Bereitschaft, während die Infanterie einen Kessel schließt. - Die Feldpost ist mitgekommen und in Betrieb, also wirst Du dies auch einmal bekommen. - Dein Päckchen über Pollack (das große, erste) erreichte mich - wie ich schon auf einer Karte schrieb, die ich einem Arbeitsdienstmann gab, auf dem Marsch. Es hat mich wegen der großen Liebe, die man ihm ansieht, so gefreut. Und die Rose duftet noch! Nun ist alles schon wieder zweckmäßig umgepackt, in Brotbeutel, Meldetasche und Wäschebeutel. Das ist auch mit eine der „Strapazen", daß man ständig „eingepackt" leben muß, nie einmal das Handtuch, die Zahnbürste gründlich trocknen und auslüften kann, nur in Hast die Wäsche wechselt, beim Waschen leicht friert und so nicht gerade äußerlich in einem vorbildlichen Zustand ist, sondern sich gerade eben menschenwürdig hält. - Das war im Stellungskrieg doch sehr anders. Aber einmal wird's ja auch hier zu Ende sein und man wird wenigstens in ein richtiges Quartier kommen. -
Ja, was beim Stabe unangenehm ist? Große Worte von Kameradschaft und man sucht sich nicht nur das beste Quartier aus, sondern schmeißt auch nachträglich andere Leute heraus, wenn sie einmal scheinbar die besseren Bedingungen erwischt haben. Man spricht von der Achtung vor den alten Soldaten und mißachtet sie in den Maßnahmen, indem man nur die jungen Aktiven gelten läßt u.s.f., u.s.f.
Es ist eine ehrliche Empörung bei uns allen, aber wir sagen jetzt um der Sache willen nichts. Was wir später tun, wird sich finden. Jedenfalls fehlt wirkliche Kameradschaft und vor allem jedes „Menschentum" in hohem Maße - es sind nur ganz wenige, mit denen man einmal von anderem als Banalitäten sprechen kann. - So fliehe ich in meine Briefe und lebe in ihnen. Das bedeuten sie mir, auch wenn keine „Nachrichten" drin stehen - die Verbindung mit unserer Welt, die eben etwas mehr ist als gut Essen und Trinken und Weibergeschichten, die Welt, die bei uns, bei Grete, den Eltern, Gerdi herrscht und die so tief verankert ist, gelebt wird, daß sie nicht unter dem relativ geringen Anstoß eines Feldzuges von einigen Wochen zusammen bricht. Bei uns mag Gloßner manches davon in der Stille haben, aber nicht äußern, bei der 1. [...]. Aber mit dem komme ich selten zusammen.
Gestern die 2 Päckchen konnte ich ihm bringen, weil er direkt hinter uns fuhr. Im übrigen sagte er, „Kleine Frau" hätte er bestimmt nicht gesagt, 1.) sagte er so was überhaupt nicht und 2.) kenne er Dich dazu viel zu wenig! Na, ich sagte ihm, daß ich das gar kein Unglück fände und wir haben dann feste miteinander gelacht. Aber er ist eben so viel älter wie Gloßner jünger ist als ich. -
Von hier ist wenig zu sagen. Der Eindruck der Landschaft ist - soweit wir auch herum kamen - unendlich eintönig, lang nicht so wechselvoll wie Deutschland. Heute sah man viele Flüchtlinge heimkehren, in diesem Fall „bessere Leute". In den Städten entsetzlich viel Juden und diese gut angezogen gegenüber dem zerlumpten armen Polenvolk. Wie dieses Problem einmal gelöst werden wird? - Es schreit hier am schlimmsten nach einer Lösung. Ries sagt einfach : „Totschlagen" - aber 3000000 Menschen? Auf der anderen Seite sind sie der Kern des Krieges! - Für jetzt will ich schließen, wenn ich auch stundenlang weiter mit Dir plaudern könnte. - Morgen früh möglichst noch einen Gruß, wenn wir noch da sind.
Gute Nacht! –

6. 10. 39 morgens ½ 8
Guten Morgen, mein Liebes. Wie mag\'s Dir gehen? Ich habe ausnehmend gut geschlafen im Heu, wenn auch in voller Ausrüstung. Aber der Übermantel ist schön warm, ein Stück polnischer Mantelstoff (Beute von einem Troß) ist eine herrlich warme Schlafdecke. Gleich gewaschen und „Kaffee" getrunken und nun geht gleich die Post. Es war nichts los heute Nacht - haben wir einmal wieder Glück gehabt. Langsam werden wir ja auch hier fertig werden. Heute ist nun die große Führerrede, die wir alle mit Spannung erwarten. Ob ich heute was bekomme von Dir, nur einen Brief, daß Du nicht mehr weinst und daß Dein Herz wieder in Ordnung kommt.
Gestern besuchte mich Heyder hier. Wir vertragen uns sehr gut. - Ries fuhrwerkt schon wieder durchs Gelände - bisher habe ich ihm geholfen. - Jetzt tue ich\'s nur noch auf Befehl und da er alles selbst machen will - laß ihn, wenn er nicht befehlen kann. - Nun leb wohl! Liebste Du - Du. Ja es ist etwas seltsames um die Zwei-einsamkeit.
In Liebe Dein Mann

 

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