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Brief (Transkript)

Irene Guicking an Ernst Guicking am 24.09.1943 (3.2002.0349)

 

Lauterbach, den 24.9.43



Mein lieber Ernst,

heute morgen erwartete ich mit großer Spannung die Post. Ich hab mir nämlich gedacht, daß heute die Antwort auf das Telegramm kommen müßte. Nun warte ich aber schon ungeduldig auf morgen, denn eigentlich müßte doch morgen die Antwort des Hauptmannes kommen, ob er Dich nun fahren läßt oder nicht. Ja mein Schatz, ich meine, wenn er "ja" gesagt hätte, dann müßtest Du ja schon längst hier sein. Heute ist doch schon Freitag oder Du muß aus irgendeinem Grunde noch ein paar Tage warten. Warum hast Du zu dem Inhalt des Telegramms gar nichts gesagt? Ob es richtig oder falsch war? Du willst ja alles dran setzen und das weiß ich ja auch, daß Du keine Ruhe hast, nicht eher bis Du mal hier gewesen bist. Aber was nützt einem das Ungeduldigwerden, wenn Du nicht fahren darfst. Ich hätte mich so gefreut, mein Schatz. Schon seit ein paar Tagen warte ich mittags um 12.00 Uhr auf den Zug und ich denke immer, er bringt Dich mit. Mittlerweile hast Du sicher meinen Brief vom Sonntag bekommen. Hast Du nicht gestaunt, daß ich soviel auf's Papier gebracht habe? Ja mein Schatz, jetzt hör mal, ich bin doch nicht enttäuscht, daß es ein Mädchen ist. Das habe ich Dir ja schon einmal gesagt. Ich hab halt nur fest mir "eingebildet", daß es ein Junge wird, weil wir doch Bali schon haben. Ich muß sagen, es ist mir sogar lieber, daß es wieder ein Mädchen ist, weißt Du, und jetzt denke ich praktisch. Es kann doch all die schönen Sachen noch einmal anziehen, gerade jetzt, wo es so wenig zu kaufen gibt. Die Kleine hat sich schon fein herausgefuttert. Sie hat dicke Bäckelchen bekommen und auch die Ärmchen sind nicht so dünn mehr. Die Gelbsucht hat sich auch wieder verloren. Es hat eine schöne Hautfarbe bekommen. Schreien tut es kaum noch, was ja auch nicht gerade richtig ist, denn es muß doch seinen "Spaziergang" haben. Mir geht es auch gut, den Verhältnissen entsprechend, nur die Beine wollen nicht so recht. Ich darf seit gestern aufstehen, immer 1/4 Stunde. Heute durfte ich sogar zweimal aufstehen. Aber ich hab's nicht getan, weil die Beine nicht so wollten. Es dauert nachher wieder so lange, bis sie sich erholt haben. Ich liege auch mal zur Abwechslung auf der Couch, weißt Du, die ist nicht so hart. So mein Schatz, wann hast Du denn das Telegramm bekommen?
Heute, das heißt in der vergangenen Nacht war in der Luft wieder viel los. Der Himmel in Richtung Frankfurt war voll von roten Leuchtkugeln. Die Flak schoß wie irr und über uns schwirrten die Verderben bringenden Luftgangster. Um 10.30 Uhr hörten wir die ersten und heute morgen um 7.00 Uhr waren sie immer noch in der Luft. Das war eine Aufregung, ich kann Dir sagen, wir hatten kaum Schlaf. In Darmstadt, Mannheim, Ludwigshafen und in Aachen haben sie schwer gehaust. Ja mein Ernst, schickst Du denn bald Kaffee ab oder wie weit bist Du in diesem Geschäft? Unsere Bohnen sind nämlich jetzt alle. Sie sind am Samstag alle drauf gegangen. Die haben doch lange gehalten, meinst Du nicht auch? Weißt Du, so ab und zu möchte ich ja mal eine Tasse wieder trinken. Ja Ernst, denk Dir mal von Altenburschla haben wir immer noch nichts gehört. Wir haben sogar zweimal geschrieben, weil wir annahmen, die erste Post ist vielleicht nicht angekommen. Von Dir aus Frankreich ist eher ein Brief da, wie von dort. Komisch. Morgen kommt Hildegard und Olle Heinz und nächste Woche ist Nanni wieder da. So, lieb Schatzi, jetzt muß ich aber aufhören und Dich werde ich jetzt ebenso pitschnaß machen, wie Du es mit mir gemacht hast. Und ich drück Dir viele herzinnige Küsse auf Deine Augen, auf Deine Hand, auf Deinen Mund.

Deine glückliche Irene

 

 



Ansicht des Briefes

 

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