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Brief (Transkript)

Eltern an Helmut Schneiss am 07.05.1943 (3.2002.7595)

 

Essen, den 7. Mai 1943.



Lieber Helmut!

Unendlich freuen wir uns über Deinen so lang und heiss ersehnten Aufenthalt im lieben deutschen Vaterland. Wir gratulieren Dir hierzu auf’s herzlichste. Dies können wir umso freudiger tun, als Du ja nun so ziemlich wieder gesund und wohlauf bist. Heute muss, wie so oft vorher, die Schreibmaschine sich in den Dienst der guten Sache stellen, denn ich möchte Dir heute einen eingehenden Bericht geben über die Geschehnisse in der Zwischenzeit, welche Dich immer nicht erreicht haben. Wenn ich mich einmal selbst loben darf, so muss ich bekennen, dass ich Dir in der Zwischenzeit sehr sehr fleissig geschrieben habe. Leider haben die unerfreulichen Umstände die Zustellung dieser Briefe an Dich vereitelt. Sowohl von 40677 als auch vom Kriegsl. Dnepropetrowsk kamen die Postsachen wieder zurück. In der Annahme, Du würdest bald wieder Deiner Einheit zugewiesen, sandte ich die Postsachen dann immer wider an Deine Einheit zurück. Nun werden diese zum 2. Mail zurückkommen. der O.Gefr. Russ hat sämtl. Posts. zurückgehen lassen. Wir konnten uns zunächst nicht erklären, dass Du Deine neue Anschrift Deiner Einheit nicht sofort mitgeteilt hast. In diesem Falle hätten die Posts. doch Dir im Kriegslazarett zugesandt werden müssen. Wir wissen natürlich nicht, welche Umstände hier die ausschlaggebende Rolle gespielt haben.
Recht herzlichen Dank, lieber Helmut, für Deinen lieben Brief vom 6.5., welcher uns als 3. Postsendung von Winsen heute erreichte. Wir freuen uns sehr über Deine angenehmen Nachrichten, hauptsächlich hinsichtlich Deiner fortschreitenden Gesundung. Unsere Post nach Winsen wird wieder je einen Brief und Kartenbrief - haben wir umgehend weiter nach Detmold befördert. Von Deinem lieben Frauchen wirst Du nun auch recht bald die heissersehnten Schriftzüge lesen können. Das lange Warten war das reinste Verhängniss, so richtig kriegsbedingt nicht wahr?
Nun, lieber Helmut, möchte ich Dir nochmals einen eingehenden Bericht, über die Geschehnisse in letzter Zeit. Ich möchte da gleich vorausschicken, dass ich die Luftangriffe und deren ganz verheerende Wirkungen nicht so schildern kann, wie sie sich über unserer Stadt wieder von 4 Großangriffen heimgesucht. Dich interessieren nun am meisten die Fliegerschäden, welche Deine Schwiegereltern uns Irmgard erdulden mussten. Der Unglücksangriff oder besser gesagt, Terrorangriff - um solche handelt es sich in letzter Zeit nur - fand in einer Samstagnacht und zwar vom 3. zum 4. April, statt. Es war eine schreckliche Nacht, Feuer regnete es förmlich vom Himmel herunter. Familie Friese hatte in weiser Voraussicht sämtliche Möbelstücke und das übrige Hausgerät aus dem Hause in den Garten geschafft, sonst wäre alles den wütenden Flammen erbarmungslos zum Opfer fefallen. Das Haus ist ziemlich stark beschädigt, jedoch nicht derart stark, dass Friese’s ausziehen mussten. Also die braven, tapferen Leutchen können nach wie vor in ihrem Häuschen wohnen bleiben. Ausser dem Gebäude ist nichts kaputt gegangen. Möbel, Wäschestücke und alle Anzüge sind heil. Wir können Gott hierfür nicht genug dankbar sein. Bei uns hat es noch immer einigermassen gut gegangen, mit Aussnahme des Angriffs im Januar.
Lieber Helmut! Ich vermag Dir hier nicht zu schildern, wie unsere Stadt jetzt aussieht. Hier überlasse ich Dir Dein eigenes Urteil, wenn Du einmal in Urlaub kommst, hoffentlich recht bald. In diesem Zusammenhang möchte Dir nur eins sagen: Die Angriffe, welche die Bevölkerung Essen’s erlebt hat, hat keine Stadt im Reich bisher durchmachen brauchen. Wir gehören seit langem zur Front. Auch das Verwundetenabzeichen wird hier verliehen, ausserdem das EK. Das sagt eigentlich alles. Da ist jeder Kommentar überflüssig. Reichsminister Dr. Goebbels und andere führende Persönlichkeiten der Reichsregierung waren hier und haben sich von den verhehrenden Wirkungen der Grossangriffe an Ort und Stelle überzeugt. Die Folge hiervon war, dass der Bevölkerung jedwede Erleichterungen bezgl der Verpflegung usw. zuteil wurden. Alles andere später mündl.
Der letzte Grossangriff fand in der Nacht bom . zum 1.5. statt. Auch dieser Angriff hat uns an der Wickenburg und auch Familie Friese verschont.
Die Alarme in letzter Zeit sind schon häufiger. Der Tommy kommt zumeist Nachts so gegen 2 Uhr, wenn man so im süssesten Schlummer liegt. Gern steht man auf und sucht Schutz, wenn man nachher sein Hab’ und Gut wieder antrifft. Wir sind schon so anspruchslos geworden, man möchte bald sagen, wie unsere braven, tapferen Fronstsoldaten. Wir wollen uns auch von euch nicht beschämen lassen, sondern stets unsere Pflicht tun, bis unser Endsieg errungen ist.
Nun, lieber Helmut, möchte ich Dir noch etwas von Heinz schreiben. H. liegt im Osten und zwar im Mittel - Süd - Abschnitt. Wir stehen in stetem Schriftverkehr mit Heinz. Er hat noch seine alte F.P. Nr. 16207 E. Heinz schreibt immer ganz fidel. Er möchte gern Filme geschickt haben, es ist aber sehr schwierig, solche zu beschaffen. Weiter bittet er um Süssstoff, diesen kann man auch nicht bekommen. Na, Heinz wird Dir ja nächstens auf Deinen Brief antworten.
Irma St. ist noch immer im Schwarzwald, es gefällt ihr sehr gut dort. Die beiden Schwestern Irma’s fahren fast jeden Abend nach Wuppertal und schlafen bei Frau Zimmermann - Herta Klee - um den ewigen Alarmen zu entgehen. W. ist bis jetzt verschonte geblieben. Dein „Bäby“ ist s. Zt. hier angekommen. Dies alles hatte ich Dir immer sofort mitgeteilt, aber leider alles Schreiben war vergebens. Na, nun wirst Du ja entschädigt für Dein langes Warten. Es war nur gut, dass ich Dir damals den Sonntagsgruss geschickt habe. Diese Mitteilung, wenn auch kurz, hat Dir wenigstens Aufschluss darüber gegeben, dass bei Familie Friese der Tommy seine Bomben abgeworfen hat. Auch hast Du lesen können, dass Irmgard Dir ein Telegramm gesandt hatte. Diese Mitteilung fasste ich deshalb so kurz, weil ich am nächsten Tag eingehende Schilderungen folgen liess.
„Der unsterbliche Walzer“ hat Dir sicher sehr gut gefallen. Das war so was für Dein Soldatenherz.
In unserem Garten grünt und blüht alles. Wir freuen uns, wenn wir abends zusammen durch den Garten schreiten und nicht nur das, wir können auch unsere Arbeit reichlich belohnt finden, wenn die Saat so wunderbar über den Boden sich erhebt. Wenn draussen in der Stadt die Trümmer nicht immer einem entgegengrauten, glaubte man im tiefsten Frieden sich zu befinden.
Mein Bürogebäude hat auch gehörig was mitgekriegt. Schon verschiedene Male mussten wir morgens vor Dienstbeginn Aufräumungsarbeiten machen, sonst hätten wir überhaupt nicht arbeiten können. Aber wir hatten noch Glück. Wenn aucdh ein Teil unserer Akten verbrannt ist, die wichtigsten besitzen wir noch. Manche Kollegen haben morgens als sie zum Dienst kamen, nur noch eine Trümmerstätte von ihrem Bürohaus vorgefunden und das nicht einmal, es sind Fälle da, in denen es wiederholt geschehen ist.
Ich glaube nun lieber Helmut, Dir die unerfreulichen Geschehnisse in der Zwischenzeit so eingehend geschildert zu haben, wie es mir nur möglich war.
Wir wünschen Dir nun weiter recht gute Besserung und freuen uns ausserordentlich auf ein baldiges Wiedersehen, denn wir haben uns ja so unendlich viel zu erzählen.
Recht herzlich grüsst Dich, lieber Helmut,
Dein Vater
Auch ich grüße Dich auch recht herzlich und hoffe daß wir uns bald gesund wiedersehen.
Deine Mutter.

 

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