Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Johannes Hamm an seine Ehefrau am 03.12.1941 (3.2002.7184)

 

15

U.O., 3.12.41



Meine liebe Käthe,

Gestern erhielt ich Brief 6 und 8. Noch nicht trafen ein 4, 5 und 7. Ich vermute aber, daß 4 und 5 je 1 Paket ‚Illustrierte’ waren. Die Post braucht so durchschnittlich 1 Monat. Es mag sein, daß meine Zahlen durcheinandergeschmissen sind. Mein Weihnachtspaket ging schon vor 1 Woche ab.
Bevor ich auf Deine beiden Briefe eingehe, kurz einige weitere Frontberichte. Wir waren 1 Woche in Feuerstellung in N. eingesetzt. Ich berichtete schon von dem Fliegerüberfall, der uns 3 Tote und 5 Verletzte kostete. Damit begann die Unglücksserie. Ich nehme an, daß entweder daß Einfahren in N. vom Feind beobachtet oder aber verraten wurde. 300 m vor uns lag ein Pionierbataillon am Bahndamm eingegraben mit LMGs. Das jenseitige Ufer eines Nebenarmes des D., der sich längs des Bahndammes hinzog war vermint. In den hellen Nächten bot das Eis einen weißen Untergrund auf dem jeder kriechende Mann hunderte von m zu sehen war. In infanteristischer Hinsicht bestand demnach wenig Aussicht für den Russen, bei N. durchzubrechen. Daher machte ich mir auch wenig Kopfschmerzen darüber, daß unser Sperrfeuerabschnitt 4000 m breit war und bei jedem Werfer nur 40 Schuß Sprenggranaten abgeladen waren.
Der Russe machte denn auch keine Angriffsversuche. Die Stoßtrupps der Pioniere stießen 13 km und mehr vor, ohne Feinberührung zu haben. Nach Gefangenenaussagen glaubten die Russen, wir würden angreifen. Sie schossen daher, sobald sie Bewegung erkannten, mit Artillerie, vermutlich von einem Kanonenboot aus, denn der D. ist an der Mündung noch nicht zugefroren und nach dem Abschuß zu urteilen, wechselte die betreffende Batterie ständig ihre Stellung. Wir selbst hatten unsere Feuerstellung in einem Obstgarten gut getarnt. Die einzelnen Bedienungen lagen rund herum verteilt in Bauernhäusern, die B.-Stelle oben im Dorf auf einem Steilhang, desgleichen wohnte dort der Chef, der sich erst sehen ließ, wenn etwas spannendes passiert war. Die einzelnen von uns bewohnten Häuser waren zunächst die Zielscheibe der russ. Artillerie. Natürlich kannten sie jeden Giebel und jeden Punkt im Gelände. Am Tage prüften sie mit einigen gut gezielten Schüssen die Richtung. Die Entfernungen waren ihnen bekannt und dann erfolgte ganz unberechenbar, sobald es dunkel war, der Feuerüberfall. Mal um 7, mal um 20, 1,3 kurz ganz ohne System für uns. Damit erreichten sie, daß wir in den Stiefeln schlafen und uns sofern wir die Schüsse rechtzeitig im Halbschlaf vernahmen in den Keller oder die Deckungslöcher hinter den Häusern begeben mußten. Der Schlaf war dementsprechend erquicklich. Hinzu kam ein ständiges Überfliegen durch russische Nachtbomber, die uns ihre Eier neben die Nester legten. Hatte der Artilleriebeschuß bisher lediglich die Folge, daß am 23. ein Nachrichtenfahrzeug getroffen wurde und verbrannte und an den folgenden Tagen 2 Kameraden leicht verwundet wurden, letzterem riß eine Granate den rechten Unterarm ab, so passierte am 27. das große Unglück. Wir wurden jählings durch einen Einschlag an unserem Hause hochgeschreckt. Fenster und Granatsplitter richteten keinen Schaden an, weil wir dick eingepackt waren. Die nächsten Schüsse lagen etwa 200 m hinter unserm Hause mitten in der Feuerstellung und gingen in das einzige dort stehende Haus, in dem die 2. Werferbedienung schlief. Es bot sich ein schreckliches Bild. Ausgerechnet in dem Raume, in dem die Bedienung schlief, war die Granate explodiert. Unter den Trümmern lagen 2 Tote und 3 Verletzte. Davon starben bald darauf weitere 2. So haben wir in dieser verfluchten Feuerstellung ohne selbst einen Schuß abgegeben zu haben, 7 Tote und 9 Verletzte z.T. Schwerverletzte gehabt.
Ich selbst mußte mich, da ich die ganzen Tage schon Halsschmerzen hatte, am nächsten Tage hinlegen und am darauf folgenden Tage krank melden, mit 40 Fieber. So erlebte ich den ersten Advent als Revierkranker beim Oberstabsarzt. Es ist eine eitrige Angina, die aber schon wieder abklingt. Es war mir sehr peinlich, daß ich in diesen kritischen Tagen nach hinten mußte, aber es geschah gegen meinen Willen. Wie Du im Rundfunk hörtest, war ja der erste Advent auch sonst ein schwarzer Tag. Zum ersten Male erlebte ich etwas, was es bisher in meinem Soldatendasein nicht gab – „Rückzug“. Ruhe habe ich also auch nicht gehabt, geschweige denn Erholung. Seit 5 Tagen faste ich und fange jetzt an ein wenig wieder zu essen, vorher war das Schlucken unmöglich. Ich habe mich übrigens an dem besagten kritischen Tag sofort wieder nach vorn begeben, um im Bedarfsfalle doch irgendwie mitmachen zu können. Dafür pfiff der Abtlgs.Kommandeur mich furchtbar an und der Oberstabsarzt war sehr ärgerlich. Die Herren hatten dabei vergessen, daß sie mich ohne Medikamente und ohne Verpflegung weggeschickt hatten, und auch nicht gesagt hatten, wann ich zurückkommen sollte. Ferner hatte ich keine Decken, kein Waschzeug und was man sonst noch braucht.
Jetzt kuriere ich mich hier erst gründlich aus. Ich habe keine Lust mehr, mir wegen meines guten Willens noch Anschisse einzuhandeln. Ich liege nun bei unserer I-Staffel (d.h. Instandsetzungsstaffel). Hier liegt noch ein Leutnant mit Angina. Die Beamten und rückwärtigen Dienste lassen sich wenig abgehen. Hier stehen die leeren Schnapsflaschen in rauhen Mengen herum. Hier gibt’s genug zu rauchen, Radio, warme Unterkünfte und – organisierte Sachen. Doch tauschen möchte ich nicht und lebe in der stillen Hoffnung, nun recht bald mal ein Liebesgabenpäckchen von daheim zu erhalten mit Cigarren und Schnaps. (Mein Taschenmesser fand sich an. Also fall’s noch kein neues besorgt, kaufe kein’s. Meine Taschenlampe klaute man gestern. Sieh zu, daß Du eine bei der Kleiderkasse erwischst, gleich mit Ersatzbirne und Ersatzbatterie. Bestätige bitte auch den Eingang der 100.- RM. Ich schicke demnächst wieder 100.- RM). Wenn man dieses Sauleben hier mitmachen muß, dann ärgert man sich, daß man nicht mehr Luxus mitgenommen hat. Eine Flasche Haarwasser, Eau de Cologne, gute Seife weicher Rasierpinsel, schöner Metallspiegel, nettes Besteck, gute Wäsche usw. An jedem guten Stück aus Mitteleuropa hat man seine Freude, wenn man’s nur sieht. Ich werde mir auch jetzt die Büchsen, die ich sparte, zu Gemüte führen. Einmal sind mir ja schon Büchsen in die Luft gegangen – und hier ist die Wahrscheinlichkeit noch größer. (Wie ich eben höre, sollen wie jetzt mal wieder zur Korpsreserve treten. Dies zu Deiner Beruhigung. Bis der Brief daheim ist, wird’s aber wieder ganz anders aussehen).
Soweit der wenig erbauliche Frontbericht. Von meinem inneren Menschen will ich nun noch berichten, daß ich mir wohl bisher zu Unrecht einbildete ein „alter Krieger“ zu sein. Ich merke es immer wieder, daß mir noch jede Granate, die ihr Sausen ankündigt und jede Bombe, die in meiner Nähe fällt, auf die Nerven geht und auf den Magen schlägt. Die Gelassenheit der alten Weltkriegssoldaten, von der die Literatur so schwelgt, kann ich noch nicht mein eigen nennen. Auch erschüttert mich zunächst das Leid, das den Kameraden zustößt so sehr, daß es mir heiß hoch kommt. Ich glaube zwar ich kanns verbergen. Mein Kamerad Leutnant Lehdenich [?] sagte mir aber, daß ich doch immer sehr blaß würde. Ich hoffe auch dieses noch zu überwinden. Mein Chef machte neulich eine hämische Bemerkung zu einem Dritten, ich sei verdammt blaß geworden, als die Bombe in unser Nachrichtenfahrzeug schlug. Dafür war er aber der erste der sich in der Stube bückte und dann sagte: Was ist denn los? Mir geht der Tod der Leute sehr nahe und man sieht es mir an. Ihm geht er so nahe, daß er nicht der Beerdigung beiwohnen und sprechen kann. Ich habe mich dazu gezwungen. So sind die Menschen verschieden desgleichen die Begriffe von „Haltung“ und „Haltung“. Schön war`s im Westen, daß alle diese Agressionen sich lösten beim Sturm und Einbruch, im Krachen der Handgranaten und nach erfolgtem Sieg abends im Kreise der Kameraden oder durch ein aufmunterndes oder anerkennendes Wort des Leutnants Engrich [?] –
Nun zu Dir. Du hast solche Sehnsucht nach mir, schriebst Du im Scheiben vom 31. X. und kannst zuweilen keinen Schlaf finden. Nun fragst Du, ob’s mir auch so geht. Ich muß vor dem Einschlafen immer an Dich, die Kinder und daheim denken. Wenn ich die Augen zumache, malen meine Wunschträume, solange ich noch nicht schlafe, alles Schöne noch einmal vor als einen stummen Film. Ich sehe es aber nicht plastisch oder deutlich. Nur einmal ein Lächeln von Dir, das Bärbelchen, wie’s sich nach einem Blümchen bückt und den Hans Dieter wie er ein Mäulchen zu einem fröhlichen Lachen verzieht. Man kann es nicht beschreiben. Es sind Sekundenbrucheile, in denen man weg ist aus diesem Land des Grauens. Schick mir doch bitte recht bald die Fotos von den Kindern. Wenn sie nicht’s wurden, so wenigstens Bärbelchen auf dem Rüdesheimer Platz sitzend.
Ich freue mich für Max und Euch Alle, daß er nun Rußland überstanden hat und noch dazu mit so großem Erfolg. Letzter wird mir hier versagt bleiben, da ich hier seit dem 1. Tage ver.... habe. Als Zugführer keine Aussichten. Zum B.Offizier nehmen sie nur Urnebler oder aktive Offiziere, zumindesten keine Anfänger.
Es freut mich, daß Dein Gesundheitszustand gut ist. Wenn Du verreisen möchtest, so tu es. Nur muß es etwas sein, wo Du auch wirklich zunimmst, sonst bleib zu Haus. So praktisch wie dort hast Du es in keinem Hotel, Fremdenheim oder bei Verwandten. Oder sollen die Kinder daheim bleiben?
Die Vormundschaftsakten von Gisela Kreutzberg schicke bitte an Irmgard Kasper.
Die Sache mit dem 3. Kind habe ich insofern nicht verstanden, als mir nicht klar ist, ob dieses bereits unterwegs ist. In dieser Frage sind wir uns doch einig. Du mußt vorläufig erst mal wieder zu Kräften kommen. Ist das der Fall und behalte ich mein Einkommen, so soll die Kinderstube noch voller werden, dann aber möglichst bald, damit ich nicht zu alt werde, bevor die Kinder auf eigenen Füßen stehen könne.
Wegen der Weihnachtsgeschenke ist es nun zu spät, einen Rat zu erteilen. Du wirst schon das Richtige getan haben. Sollte der Brief noch vor Weihnachten ankommen, so schenke Gisela den bunten Nußknacker außer den anderen Geschenken. Dieses Kind muß ja in 1. Linie bedacht werden.
Diesen Brief gib nicht weiter wegen des Wortes Rückzug. Manche Leute machen daraus dann Latrinenparolen. Ich glaube heute kommt die Sache zum Stehen und das Blättchen wird sich so wenden, daß der Enderfolg bei uns sein wird. Der Russe verlor bisher 50 % seiner angreifenden Truppen in 3 Tagen. Mag er noch 3 Tage angreifen! Ich schreibe es nur, weil ja diese Briefe mein Tagebuch werden sollen.
Und nun liebes Kind, gute Nacht. Träume süß. Vielleicht ist gerade Sylvester und Du hast Deinen Glühpunsch in den wunschlosen Gliedern. Bleib weiter so tapfer und treu. Deine Briefe sind so wohltuend, da sie mich nicht belasten mit Problemen, Vorhaltungen und Euren eigenen Nöten. Nehmen wir die Sorge, die Ihr daheim um uns habt, so kann man doch ohne Übertreibung sagen, daß aller Kummer daheim und Leid der Vergangenheit nichts ist, gegen das, was man hier täglich, stündlich oder minütlich erleben kann. Nur fällt hier außer Eurer Post kein Freudenstrahl herein. Wenn wir unser Herz Euch ein wenig ausschütten ist das etwas anderes. So ein Brief ist das Einzige, womit man seinem Herzen einmal Luft machen kann. Ich habe hier auch keine Kameraden wie bei SR3. Waren es auch alles einfache Menschen, so standen wir uns doch alle wie Brüder nahe, denn wir hatten lange genug Schulter an Schulter exerziert, marschiert und gefochten. Daher war ich damals auch nicht so mitteilungsbedürftig. Die Kompanie war meine 2. Familie. Jetzt aber habe ich nur Dich, da nimm es bitte nicht so schlimm, wenn ich immer wieder mein Herz bei Dir ausschütte. In 5 Tagen ist mein 39 Geburtstag. Ob wohl ein Päckchen von Dir da sein wird? Georgi hatte versprochen evtl. Fön [?] zu Weihnachten zu liefern.
Klappte es?
Herzliche Grüße und Küsse
Dein Dich liebender Hans.

 

top