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Brief (Transkript)

Johannes Hamm an seine Ehefrau am 16.11.1941 (3.2002.7184)

 

16.11.41



Meine liebe Käthe!

Heute ist Sonntag und strahlender Sonnenschein. Die Kälte ist nur wenige Grade unter 0. Ich freute mich sehr, einen Tag nach meinem Eintreffen schon einen Brief von Dir, datiert [?] vom 19.X.41 vorzufinden. Du wirst inzwischen laufend von mir Post erhalten haben.
Du hast recht. Ich freue mich, wieder draußen zu sein, wenn ich auch noch so sehr für ein gemütliches Leben bin. Ich habe es nun auch recht gut hier getroffen und Du musst Dir überhaupt mein Leben nicht in allzu schwarzen Farben ausmalen. So sitze ich z.B. in einem gut geheizten Zimmer mit Zentralheizung, habe ein weiches Bett mit Sprungfederrahmen und Auflegematratze und eine wollene Decke zum Zudecken. In einigen Tagen sollen auch die Wintersachen ankommen. Ich habe noch keinen Einsatz erlebt, d.h. die Batterie ist noch nicht in Feuerstellung gewesen. Überhaupt scheint mir die ganze Sache harmloser als beim Schützenregiment zu sein, wo wir doch jeden Tag am Feind lagen und ich immer in vorderster Linie mitmachen mußte. Also mach Dir keine Sorgen.
Vorgestern hatte ich Wache auf einem Leuchtturm am Meer. Für die barbarische Kälte auf der Plattform entschädigte mich der herrliche Sternenhimmel über dem zufrierenden Meer und die rote Sichel des aufgehenden Mondes. Es war alles ruhig, nur ab und zu in der Ferne Leuchtkugelzeichen, bei den Feldwachen ein paar Gewehrschüsse. Russische Kriegsschiffe, Zerstörer und Kanonenboote, die ab und zu in den Hafen zu kurz schießen, waren nicht zu sehen und ich konnte meinen eigenen Gedanken nachhängen. Es gab Anregung zu einem Gedicht. Nie hätte ich`s mir träumen lassen, ein einmal auf einem Leuchtturm als Offizierswache nach Ratas und Kriegsschiffen zu spähen.
Vor Antritt der Nacht hatte ich viel Sekt getrunken. Ja, da wunderst Du Dich. Mein Batteriechef hat diesen Sekt als Kapergut erbeutet. Er fuhr mit einem Motorboot vor dem Hafen spazieren, hatte eine Panne, hielt einen vorüberfahrenden Dampfer an, indem er mit der Pistole schoß und ging an Bord. Dort fand er 28 betrunkene Bolschewisten, die Sekt und andere gute Sachen geladen hatten. Er dirigierte das Schiff in den Hafen und nun wird der Sekt hier „gelöscht“.
Die Verpflegung ist im allgemeinen recht ordentlich. Wenn man über 3 Wochen lang nichts Warmes in den Bauch gekriegt hat, dann weiß man ein warmes Mittagessen wohl zu schätzen. Als ich mich beim neuen Chef meldete, gab’s sogar Eierkuchen zur Begrüßung, und zwar einen Riesenberg. Abends gibt’s Bratkartoffeln mit rohem Sauerkraut. Ab und zu ein gebackenes altes Huhn, an dem ich mir die Zähne ausbeiße. Knapp sind nur Wurst und Fett, aber für mich langt’s, nur glaube ich, daß ich die Büchsen, die ich auf der Fahrt sammelte, doch noch opfern muß, nämlich wenn beim Einsatz der Nachschub nicht klappt.
Gestern kam der Marketenderwagen. Ich erstand 3 Tafeln Schokolade, 3 Päckchen Cigarillos, 1 Tube Zahnpasta und hoffe morgen 1 Flasche Cognac zu erwerben. Die armen Deubels, die seit Beginn des Feldzuges dabei sind, haben natürlich einen Riesenbedarf und ich beschränke mich daher entsprechend, zumal ich hoffe, von Dir demnächst Päckchen zu bekommen. Das Dringenste sind Taschenlampenbatterien und Hindenburglichte. Zum Füllen verwende Streichhölzer, Briefumschläge, Feldpostkarten, Reclambändchen, Taschenclosettpapier [?]. Halsbinden müssen noch zu Haus sein. Sobald meine Kleiderkarte da ist, kaufe mir bitte noch eine dicke Winterunterhose bei der Heereskleiderkasse und falls mein grauer Shawl nicht auffindbar ist, einen kleinen wollenen feldgrauen Shawl. Ferner verlor ich meinen Stechzirkel und meinen km Messer aus Celluloid. Auch dieses bekommst Du für einige Pfennige bei der Heereskleiderkam. Schließlich noch einen Planzeiger.
Bei allen Sendungen erwäge sorgfältig, ob es sich lohnt zu schicken. Der Weg zu uns ist mehrere 1000 km weit. Die Beanspruchung der Verpackung sehr groß. Nimm tunlichst keinen Papierbindfaden sondern knüpfe lieber alte Bindfadenreste aneinander. Schicke keine Lebensmittel, höchstens kleines nicht bröckelndes Gebäck. Cigarren gut in Blechschachteln oder Holzkästchen verpacken. Es fällt mir ein, daß ich meine Zeichenfedern und chinesische Tusche […] verlor. Schicke mir bitte eine kleine Federbüchse mit ½ Dtz. Federn sowie Tinte. Halter ist da. Ich möchte zu Weihnachten einige Karten zeichnen, denn dieses Mal gibt’s sicher keinen Weihnachtsurlaub und ich glaube auch nicht, daß wir zurückgezogen werden.
Heute wummerte es ordentlich. Die Stukas waren an der Arbeit. Morgen wird sicher angegriffen, aber wir sind nicht dabei. Ein gewisser Trost ist es mir, daß wir hier auch zu einer Panzertruppe gehören. Namen darf ich natürlich nicht nennen, auch das Meer, dessen Küste wir z.Zt. sichern darf ich nicht sagen, doch es gehört ja nicht viel dazu, um seinen Namen zu erraten.
Die Stille benutze ich, um mich weiter im Vermessen und Rechnen auszubilden. Ich glaube in 1 Woche mehr gelernt zu haben als auf dem ganzen 5 Wochenkursus. Ich bin Zugführer, habe 1 Pak und 4 moderne Werfer, die wie Geschütze aussehen unter mir. Wenn Du mich in Celle besuchst, zeige ich sie Dir mal. Es sind also nicht die Werfer, die wie schwere Granatwerfer aussehen und die wir so oft in der Wochenschau sahen. Bis jetzt gefällts mit recht gut und ich bin überrascht von dem angenehmen Leben. Möglich ist allerdings, daß es über Nacht mit einem Schlage anders wird und daß wir dann in Erdlöchern hausen müssen. Hoffentlich kommt der Schlafsack noch vor dem Stellungswechsel.
Die Rosen haben mich sehr erfreut. Sie liegen getrocknet als Talismann in meinem Koffer und wenn es in die Feuerstellung geht, stecke ich einige Blätter in meinen Brustbeutel, dann ist wenigstens etwas von Dir in meiner Nähe. Schön wär`s, wenn ich mal von Dir träumen würde. Meistens aber träume ich vom Krieg und zwar irgendwelche unmöglichen, brenzlichen Episoden. Vor dem Einschlafen denke ich aber immer an Dich, an Dich auf dem Leopardenfell, an Hans Dieter, wie er sein Mäulchen zum Lachen verzieht und zu krähen versucht und an mein liebes Bärbelchen, wie es so vornehm Papā sagt und sein Däumchen in den Mund steckt, nachdem ich so „fromm“ mit ihm das Abendgebet gesprochen habe.
Wie können wir nur Gott danken, daß er Deutschland, daß er Euch und alle anderen daheim vor den Schrecken des Krieges und vor diesen bolschewistischen Untermenschen bewahrt hat. Alles Schöne ist in Rußland gestorben. Ich sah nur ein einziges Mal etwas Schönes. Ein Bronzestandbild Peters des Großen, errichtet an der Steilküste des Asow`schen Meeres. Die Inschrift auf dem marmornen Barocksockel war fortgemeißelt. Halbrechts vor ihm ein altes Kanonenrohr und eine Kugelpyramide, so stand er da und blickte, ein kühner Eroberer hinaus auf`s Meer. Vielleicht hat er diesen Teil Rußlands seinem Reiche einverleibt, vielleicht hat er den Hafen gegründet, ich weiß es nicht. Er steht aber nicht inmitten einer schönen Anlage, sondern auf einer Art Dorfanger, im Hintergrund armselige Fischerhäuser, zu seinen Füßen hatten Vogelfänger ihrer Netze aufgestellt. In kleinen Käfigen und piepsten Meisen und Buchfinken um die Genossen, die noch in Freiheit leben, in`s Netz zu locken. Dies Denkmal stand auf einem herrlich gelegenen Platz und war selbst sehr schön, damit aber niemand wissen sollte, wer`s sei hatte man die Inschrift entfernt. So war`s überall in Rußland. Wo man Spuren einstiger Schönheit entdeckt, war alles entfernt, um nicht erkennen zu lassen, daß es aus der Zarenzeit stammte.
Die Menschen hier unten, besonders die Fischer, sind große hübsche Menschen. Einem freien Blicke begegnet man aber nur selten. Der Krieg hat in dieser Stadt nicht allzu großen Schaden angerichtet. Doch sind Hafen und Fabriken zerstört, die Schiffe entführt und für die Civilbevölkerung nur wenig zu essen da. Selbst das Wasser ist knapp.
Ich war übrigens wieder mal ein wenig krank, d.h. ich hatte etwas, was jeder hier durchmachen muß nämlich schwere Magenverstimmung und Unterleibsverhärtung [?]. Ich hoffe es überwunden zu haben und wundere mich immer wieder, daß ich diese schlimme Reise ohne Decken [?] so gut überstand, ja daß ich nicht einmal Läuse bekam bzw. sie schnell wieder los wurde.
Die Nachricht von Heinz Gerlichs Tod hat mich sehr betrübt. Ist er auf Feindflug abgeschossen worden? Ich weiß garnicht, was ich dazu sagen soll. Hoffentlich fuhr meine Mutter nicht nach Lauterberg. Es war nicht der Sinn unserer Fürsorge, daß sie, kaum genesen, derartiges unternimmt. Wenn man selbst schwach ist, kann man andere nicht stützen.
Ich hörte unterwegs von dem schweren Angriff auf Berlin. Hoffentlich ist bei Euch nichts passiert. Hier kommt der Russe auch, aber ich höre es erst immer wieder am anderen Morgen. Er schmeißt`s in die Stadt, in die Fabriken, uns verschonte er bisher.
Zu Erikas Hochzeit werde ich nicht kommen können. Du wirst mich würdig vertreten und ein schönes Geschenk aussuchen.
Wenn Du mir den Bekleidungssack schickst, sorge dafür, daß ein Schloß mitgeschickt wird, falls ein solches nicht eingebaut ist und daß mein Name nebst FP 44094 aufgemalt wird.
Heute brach mein Rasierpinsel ab. Schicke bitte den Pinsel aus dem Etui in meinem Nachttisch.
Für heute genug. Dir und den Kindern herzliche Grüße und Küsse und einen herzlichen Gruß an meine Mutter.

 

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