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Brief (Transkript)

Hans Simon an seine Mutter am 27.09.1941 (3.2002.1288)

 

27.IX.41, abgeschickt am 28.IX. 10.00



Liebes Muttichen!

Heute will ich Dir bei Lampenschein auf alle lieben Briefe antworten, die ich heute bekam. Seit langen Tagen gab es heute mal Post. Wohl 20 oder 30 Mal wurde mein Name genannt. Und Du kannst wohl die Freude ermessen, die sich bei mir auslöste nach all den kalten und schweren Tagen, wo es heißt, trotz mancher Sachen, auf die man eben verzichten muß, den Mut nicht zu verlieren und die gute Laune Trumpf sein zu lassen. Laßt Euch zu Haus nicht die Ohren vollblasen von den Schwätzern, die kaum der Kugeln wert sind, um sie umzulegen. Schade, daß wir so einen nie hier vorne in die Finger bekommen. Warte lieber meine Post ab und höre nicht auf solche Verbrecher, die nur Mütter, Frauen und Angehörige von uns draußen schrecken und die Angst suchen wollen. Komisch, daß diese Leute nie hier zu finden sind, wo es mal drauf ankommt. Aber es ist ja auch leichter zu Haus Räubergeschichten zu erzählen, als hier bei uns am Feind zu liegen. Schade wirklich, daß man nie an solche Leute herankommt. Eben liegen wir eine Zeit mit der SS, die früher das Konzentrationslager Dachau bewachte, am Feind. Es gab wieder mal Dunst. Es haben hier auch mal die Russen versucht durchzubrechen. Und dabei schoß ein Schütze 1 von unserer Panzerjägerabteilung in 2 Tagen 16 Panzer ab. Haben allerhand ausgehalten die SS. Nun sind wir wieder bei Djemjansk und nicht bei Moskau. Wie der Kommunismus den russischen Menschen verwandelt hat, wirst Du Dir kaum vorstellen können. Eins im Voraus. Die Landschaft hier, öde, eintönig wirkt, wie auch wir es bei uns selbst erleben, abstumpfend auf die Menschen. Man wird ein Stück Masse. Ein schönes Haus hebt sich ab, paßt eben gar nicht hierher. Alles ist mies und so trägt die Landschaft einen geschlossenen Charakter in sich. Da haben wir die russische Stumpf- und Sturheit erklärt. Nun ist das Volkskommissarsystem von Stalin so aufs Feinste ausgearbeitet, daß tatsächlich, Ihr könnt es nicht glauben, der Vater dem Sohn nicht trauen. Jeder kann ja ein GPU-Spitzel sein. So kannst Du Dir einserseits vielleicht ein wenig die Zähigkeit des Kampfes andeutungsweise erklären. Ich weiß wohl, Daß Du Dich in dieser Beziehung schwer von Deinen alten Begriffen und Erfahrungen über die Russen trennen kannst. In der damaligen Zeit hast Du vielleicht Grausamkeit, die dem Asiaten zu Eigen ist, kennen gelernt. Um auf die Kommissare zurückzukommen. Man findet bei versprengten Haufen nur den Widerstand, wo man wirklich oft nur einen Kommissar hat. Diese 20 Jahre haben sich in dieser Beziehung schrecklich ausgewirkt. Und ich wünsche Dir nicht, daß Du eben die Russen siehst. Du würdest wohl ein tiefes Herzeleid empfinden, was aus diesem guten Kern im Volk geblieben ist. Kann man sich oft bei manchen Drohungen nicht bei den Zivilrussen durchsetzen und zieht die Pistole, so erreichst Du damit nicht mehr, weil es für die Russen nichts Neues ist. Wenn Du auch richtig verstanden hast, was ich kurz aufs Papier gebracht habe, kannst Du Dir ein Bild von der jetzigen russischen Volksseele machen. C'est tres triste. Nun liebs Muttichen, will ich für heute schließen. Die Tinte geht mir aus und die Augen fallen zu, es ist eben halb zwei geworden. Wer weiß, wann ich wieder einen Tisch zum Schreiben, eine warme Stube und vor allen Dingen Zeit zum Schreiben habe. Für heute Gute Nacht.
28.IX.
Hab viel Glück gehabt und kann heute gleich weiterschreiben. Esfreut mich, daß Pappi, wie er schreibt nun vielleicht auf Urlaub fahren kann. Hoffentlich findet Pappi dort die rechte Entspannung und Erholung. Die Post, die gestern ankam, war alle so vom 5.-10.IX. Nun werdet Ihr wohl in den letzten Tagen wieder einmal wenig von mir gehört haben, weil längere Zeit keine Post abging und auch keine Gelegenheit für mich war, sie abzusenden.
Daß Siegfried und Zanner jetzt auf Urlaub sind, freut mich sehr. Schade, daß ich diesmal nicht dabei sein konnte. Aber nichtsdestoweniger trotz, wie wir sagen, bitte ich Euch, daß Ihr den Radioapparat, wenn es geht, in Ordnung bringen laßt. Ewig dauert der Feldzug für uns ja auch nicht, besonders wo ich glaube, daß dies für mich noch nicht der Letzte war. Und dann bitte ich Euch, ich weiß nicht, ob Ihr die Briefe schon bekommen habt, eine Eröffnung eines Kontos für mich auf der Sparkasse und eine Zusendung der genauen Kontonummer, damit ich mein Geld, das ich mir hier ersparen kann, darauf einzahle. Du wirst wohl verstehen, daß es mir Freude macht. Zugleich will ich mir noch daneben ein kleines Konto von ungefähr 100 M in Form eines Postsparbuchs zulegen. Aber laßt Euch Zeit dabei. Wenn mal die Gelegenheit da ist, könnt Ihr ja das alles einrichten. Und wie ich auch in den anderen Briefen schrieb, steht Euch das "roha" nach wie vor, jederzeit zur Verfügung.
Mit den alten Leuten hast Du wohl auch Deine Mühe und Plage gehabt. Und wenn ich eben so Hamstergeschichten höre, erbost es mich tüchtig. Wünsche mir so vielen, daß sie einen Teil dieses Feldzuges mitgemacht hätten, wo man an manchen Tagen nur Kartoffeln hat, und den Hunger nicht verliert und das Letzte mit den Kameraden teilen lernt. Für manchen wäre das heilsam. Jedenfalls freue ich mich, wenn ich gesund an Leib und Seele aus diesem Pfuhl herauskomme. Ein bißchen verändert wirst Du mich wohl finden. Vielleicht schadet es auch nicht, wenn man sich jetzt in diesem Alter schon mit Problemen auseinandersetzen muß, die einem für spätere Jahre vorbehalten wären, wenn man nicht alles dieses erlebt hätte. Ich freue mich, daß Ihr jetzt ein Mädchen habt und Costing soll, wenn sie in die Frauenschule kommt, 10 M von mir haben. Kannst Du ja nett zurechtmachen, daß sie, wenn sie dort in der Frauenschule ihre Sachen ausräumt, das Geld findet. Das muntert auf und wird ihr viel Freude machen. Dies Geld zieht von dem, was ich nach Haus schicke, ab. Es sind jetzt also ausgelegte 20 M abzuziehen, ja einmal 10 M für Costing.
Nun laß es Dir gut gehen und übernimm Dich nicht, möchte ja auch eine gesunde frische Mutti vorfinden, wenn ich heimkomme, nicht? Daran denke und dann weiß ich, daß (ich) einen schönen Urlaub habe. Allen die herzlichsten Grüße
Dein Hansi

 

 



Ansicht des Briefes

 

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