Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Hans Simon an seine Mutter am 15.08.1941 (3.2002.1288)

 

15.VIII.41

Liebe Mutti!

Dieser Brief wird Dich wohl schon zu Haus erreichen. Es war eine große Pause zwischen meinem letzten Brief und den Briefen vorher. Noch immer sitze ich beim Troß, einerseits ruhig, insofern als man nicht so der Gefahr ausgesetzt ist, andererseits muß man hier und da mit anfassen, daß man sich wundert, wenn der Abend schon da ist. Von Tutti, die mir heute 3 Briefe und 1 Karte schrieb, habe ich auch gehört, daß schon Kameraden auf Urlaub sind. Ja, wann sind wir dabei? Vorläufig haben wir Einsatz und liegen still, weil schon wieder ein Kessel gebildet worden ist. Sonst haben wir immer den Kessel dicht gemacht und nun liegen wir am Anfang. Täglich greifen die Russen mindestens einmal an. Ist ein Regiment von ihnen aufgerieben, schicken sie ein neues. So haben wir jetzt die 3. Einheit festgestellt. Daß wir Kosaken vor uns hatten, schrieb ich wohl schon. Nun sind es Soldaten, die ein paar Tage Ausbildung hatten und von Moskau aus gleich an die Front geschickt wurden. Massenmord unsererseits bei einem solchen Angriff dieser. Verbände. Was bleibt uns übrig? Ergeben tun sie sich nicht. Schnappen sie einen von uns, dann stechen sie ihnen die Augen aus und brechen ihm die Beine (Wie bei Dwinger). Es war ein Horchposten, der nachts einschlief (auf Posten!), und das mit dem Leben bezahlen mußte. Will Dir garnicht schreiben, wie zäh und verbittert der Kampf auf beiden Seiten geführt wird. Unsere Landser wollen nämlich nicht still liegen und warten. Die fühlen sich am wohlsten, wenn es vorgeht.
Nun eine kurze Schilderung der Verhältnisse hier. Sitzen eben in einem russischen Bauernhaus. Ein Blockhaus. Die Wände und Decken sind mit Zeitung beklebt. Sogar ein "Herrgottswinkel" ist da. Und zu unserm allergrößten Erstaunen fanden wir einen gestrichenen Tisch und einen Stuhl!!!!! Auf dem Fußboden rutscht ein 1jährigen Kind, nur mit einem Kleidchen umgeben mit dem blanken Hintern auf dem Fußboden, macht ab und zu klein und große Geschäfte und rutscht darin herum, wenn wir nicht aufpassen. Ein großer Backofen in der Stube, auf dem die Leute im Winter schlafen. Um das Bett ist eine Art Fliegenvorhang und die typische Wiege am Balken, (muß an das estnische Wiegenlied denken, das ich leider heute nicht mehr ganz im Text kann). Wir sorgen nun dafür, daß die Leute ein bißchen auf Sauberkeit achten. Der einzige Schmuck in der Stube sind [...] (Zeitungspapier), Buntstiftzeichnungen von Kinderhand mit den Zeitungen und ein silberner Tannenzapfen, den wir sonst als Christbaumschmuck verwenden. In einem anderen Haus sah ich Blätter aus Schulheften (Algebra) an der Wand. Die Armut ist groß. Unser Bauer hier macht Schuhe aus Weidengeflecht, so wie die estnischen Pestein. Das anfängliche Mißtrauen der Leute ist geschwunden. Die Männer sind bis auf die Greise alle fort. Auch wenn jetzt die Frauen auf das Feld gehen und das Korn ernten, bleiben die Männer zu Haus. In diesem Feldzug ist es fabelhaft, wie sofort dafür gesorgt wird, daß die Ernte hereinkommt. Die Sense wird nur zum Heu gebraucht. Das Korn wird hier mit Sicheln gemäht. Dafür sorgen die Dolmetscher vorne bei der kämpfenden Truppe. Muß schon ehrlich sagen, daß mir dieser Feldzug ein bißchen in die Knochen gegangen ist. Vor allen Dingen bin ich mit den Nerven kaputt. Es klingt komisch, aber es ist so. So kann ich es nicht ab, wenn einer unnütz so viel Krach macht. Manchmal muß ich im Stillen lachen, wenn ich daran denke, daß ich schon ein Spießer geworden bin, insofern, als ich gerne meine Ruhe habe. Am liebsten sitze ich für mich alleine über meinem Zeitungsartikel, einem Gedicht oder wälze Themen mit meinen Kameraden. Und glaubt nur, das Zurückfinden, so einfach ist es nicht. Hier kann man Sachen, die einem nicht richtig erscheinen, hier und da mit abstellen helfen, aber zu Haus? Da fühlt sich jeder kleine Schreiber als wer weiß was und der berühmte Amtsschimmel. Hoffentlich wird das bald anders. Es sind mir so allerlei Sachen durch den Kopf gegangen. Würde mich gerne mal zu Haus aussprechen über dies und das. Andererseits habe ich manchmal Angst, daß nach dem Feldzug, wollen es mal so ausdrücken, die Lebensfreude zu groß wird und zu plötzlich kommt. Man muß ein ungeheures seelisches Gleichgewicht haben, um diese Klippe zu umfahren. Und dann das Schwerste: Sich an ernsthafte geistige Arbeit gewöhnen, überhaupt an Arbeit schlechthin.
Es ist dieser Feldzug eine harte Nervenprobe für uns gewesen. Immer am Feind. Schlaf und Ruhe Nebensache und immer höchste Alarmbereitschaft. Da liegt man nachts mit der Pistole in der Hand, von der Handgranate schon die Sicherungskappe abgeschraubt, weiß daß 600 m vor uns die Russen sind und in dieser Nacht durchzubrechen versuchen. Und dann ist es stockfinster. Und dann weiß man, bist du nur ein paar Sekunden nicht auf Draht, dann hast du viele Kameraden auf dem Gewissen, die schlafen und auf deine Wachsamkeit vertrauen. Oder im Artilleriefeuer, vor dem man stundenlang im Feuer liegt, Munition oder Verpflegung holt und dann nach dem Pfeifen hört. Man ist zuletzt schon so nervös, daß man dann eine stoische Ruhe bekommt und alles kommen läßt. Man wird stumpf und stur wie ein Holzklotz und das ist gut so in diesen Situationen. Man kann sich eben ein Zivilleben ohne Übergang schlecht vorstellen. Eins was für mich sehr gut ist, mein Selbstbewußtsein ist ein bißchen gehoben. Du wirst vielleicht auch gemerkt haben, daß ich ein bißchen unter Minderwertigkeitskomplexen litt.
Nun meine Wünsche. Dringend brauche ich Briefumschläge!!!! l Bleistift und bei Gelegenheit Füllertinte. Wäre Euch für kleine Novellen oder sonstigen Lesestoff dankbar. Vielleicht könnt Ihr mir auch noch Feuersteine fürs Feuerzeug besorgen, weil nicht immer Streichhölzer genug da sind. Zigaretten und Tabak.
16.VIII.
Heute ist herrliches Wetter bei uns. Die Sonne lacht vom Himmel. Es weht ein kühles Lüftchen, so daß die Hitze erträglich ist. Gestern abend führte ich ein interessantes Gespräch. Wir sprachen von Musik. Und erstaunlich viele aus dem Kameradenkreis hatten das Verlangen Mozart, ja Bach zu hören und sich mit Problemen auseinanderzusetzen. Eigenartig diese Erscheinung. Hat doch dieser Feldzug auch so manche Kameraden vertieft und verinnerlicht. Nun will ich für heute schließen und hoffen, daß es Euch zu Haus allen gut geht. Herzliche Grüße an alle Hausgenossen. Möge Gott uns ein baldiges Ende und eine gesunde Rückkehr in die Heimat ermöglichen. Dir liebes Muttichen die herzlichen Grüße Dein Hansi
Pappi und Costing vielen Dank für ihre Briefe und Päckchen. Und Dir vergaß ich auch für den Brief zu danken d.o.

 

 



Ansicht des Briefes

 

Briefe aus diesem Konvolut:
top