Brief (Transkript)
Hans Simon an seine Mutter am 18.03.1941 (3.2002.1288)
18.III.41
Mein liebes Muttichen!
Habt vielen Dank für die schönen Bilder, die nun schon meine Stube ausschmücken. Die Wurst habe ich am Sonntag gegessen. Nun habe ich ein Stück Heimat in meiner Stube. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, sehe ich das wunderschöne Aquarell. Heimat —. Auch der Schreibblock ist gut in meine Hände gekommen.
Heute hatten wir Exerzierbesichtigung. Uns wurde sogar ein Lob ausgesprochen. Du glaubst gar nicht, wie stolz uns das machte. Unser Spieß, ein Unteroffizier, mit dem ich mich gut stehe, und der Kompanieführer, Leutnant Langmann, haben uns diesmal zu schonen versucht mit unnötiogen Appellen und was sonst dazu gehört. Und wie freuen wir uns alle, daß wir sie nicht enttäuscht haben für das Vertrauen, das sie in uns setzten.
Kalt war es heute morgen und dann so wenig an und stehen, warten. Aber die Zähne haben wir zusammengebissen und durchgehalten. Ach, leicht war es nicht mit eisstarren Fingern einen guten Griff zu machen. Nun ist am Mittwoch noch Gebäudebesichtigung. Und dann fangen wohl ein paar schöne Tage für uns an. Doch wer weiß wie lange? Nun muß ich in der nächsten Zeit mich wohl auf unsere Reise vorbereiten und auch von manchen Dingen trennen, die einem unentbehrlich scheinen und die man doch missen muß. Mit meinem alten Schützen 2 machte ich einen Spaziergang um Geldangelegenheiten. Sonnenschein hatte die letzten Nebelschwaden zerfetzt und vertrieben und der Frühling naht. Hier und da sieht man schwellende Knospen und so wird uns manchmal die Brust zu eng. Man brennt darauf endlich zu marschieren.
Bleib du im ewgen Leben mein guter Kamerad. Noch nie sind mir diese Strophen so ans Herz gegangen, wie an diesem Sonntagmorgen. Wir standen beim Grab eines Kameraden und hielten Zwiesprache. Ja, man kann das. Sind die Gebeine auch schon vermodert, das sündige Fleisch ist hin und nur die reine Seele bleibt. Wer weiß, wann uns die Kugel trifft. Vielleicht ist uns dieser schöne Tod ein Grauen des Krieges, des Völkermordes, oder der Zeit nachher nicht beschieden. Der Tod kennt keine Poesie. Kalt, nüchtern tritt er heran, wenn er uns bestimmt ist. Dann ist es schön zu sterben, denn man weiß doch, daß das Opfer, das höchste was man geben kann, nicht umsonst ist. Mit unseren Fahnen ist der Sieg. Das beseelt uns in diesen Tagen. Tod oder Sieg. In diesen Tagen denkt man oft an die Todesstunden der Kameraden. Wie manchen sah ich im Todeskampf. Nur sehr, sehr wenige kommen durch. Ach, erschrick nicht, liebe Mutti. Man muß auch einmal daran denken. Ohne Opfer kann man nichts erreichen. Sollte es mich treffen, dann war es Gottes Wille und dann sag Winfried, mein Wunsch ist es, daß er eins nicht kennt und das ist die Feigheit. Möge Gott mich weiterhin davor bewahren. Ach, könnte ich Winfried einmal den Schneid und das Heldentum vieler Kameraden vor Augen führen, die in ihrer Todesstunde noch von Deutschland sprechen und als das Herz stillstand, leuchteten die Augen noch einmal und sehen den Sieg. Ihr Siegeswille und ihr Sterben ist wohl das Größte, was ich je sah.
Und dann ist noch eins. Das war von Walter Flex. Rein bleiben und reif werden ist höchste und schwerste Manneskunst. Oft hat mich das wohl vor manchem Schweren bewahrt. Und so kann ich noch heute gerade und offen jeden reinen Mädchen ins Auge sehen, wenn es auch oft sehr, sehr schwer ist. Vielleicht schrieb ich es Dir schon einmal, wie sehr ich es bedaure, daß ich kein Mädchen habe, dem ich meine Liebe schenken kann. Vielleicht bin ich zu schüchtern, oder wer weiß was. Das tut mir oft Leid, und immer habe ich die Kameraden bedauert, die mit glücklichen Gesichtern von ihren Mädchen aus der Heimat sprechen. Vielleicht ist mir auch manche Enttäuschung erspart geblieben. Wer weiß, wozu das gut war. Aber ich habe ja noch Euch, Eltern und Geschwister, auf die ich stolz sein kann. Ist das nicht etwas schönes? Ich träume in diesen Frühlingsnächten oft. Ich höre das ..?. Wort: anfahren. Die Motoren heulen auf. Es ist ein Lied unserer Zeit. Poesie, erhebend für mich. Das Herz schlägt höher, schlägt mit den Motoren, dann fahren wir an. Halbverschlafen hören wir durch die Nacht das gleichmäßige Summen unseres Motors. Dann wird gehalten. Und dann heißt es: laden und sichern. Wir schlafen weiter. Dann kommen wir an den Feind. Verstaubt und schmutzig sind wir und ach, leuchten unsere Augen. Sie brennen vor Kampfesfreude, bis die ersten Tote und Verwundeten zurückkommen. Dann wird man still für einen
Augenblick. Und weiter heulen die Motoren auf, und wieder geht es weiter. Neue springen in die Lücken ein. Und so führen wir unseren Lebenskampf. Für Deutschland, für Euch.
Neulich hörten wir das Singen der Bomben und dann den Aufschlag. Wann kommt der Befehl: anfahren? Bis dahin heißt es warten, warten. Leicht ist es nicht. Nun werden unsere Kameraden im Süden bald marschieren. Und wann marschieren wir? -
Die Zeit des Frühlings mit seinem Schnee ist etwas unbeschreiblich Schönes. Man kann nicht das alles zu Papier bringen. Es klingt alles zu banal, zu einfach. Das muß man erleben. Man muß hinaus. In einer Abendstunde am Wasser sitzen und träumen. Um uns herum der Abend, die herrliche Nacht. Heute mittag, als ich auf Wache zog, rief mir ein Kamerad aus dem Fenster zu, es wäre ein Päckchen von zu Haus für mich da. Nun freue ich mich schon darauf. Was wohl darin sein mag? Will nachher noch die Posten kontrollieren und einmal hinaus in die Frühlingsnacht. Herrlich. Jetzt zu Haus, am See. Auf Urlaub komme ich nicht mehr. Wird wohl bald Urlaubssperre sein. Na, das macht auch nichts. War ja dieses Mal im Oktober und im Januar bei Euch. Nun hast Du es wohl sehr schwer, wo Tuttichen nicht bei Dir ist. Hoffentlich macht es Winfried nicht zu doll.
Weißt Du, liebes Muttichen, wenn es Dir einmal sehr schlecht geht und Du hast keine Kräfte mehr, dann denk daran, daß ich oft mit meinen Gedanken bei Dir bin. Vielleicht hilft Dir das dann ein wenig. Wenn die unruhigen Tage vorbei sind, will ich auch recht oft schreiben. Später gibt es nur noch kurze Briefe. Und eins mußt Du mir noch versprechen. Mach Dir keine unnützen Sorgen um mich, ja? Was kommt, weiß ich nicht. Gott weiß es. Und in Gottes Hand sind wir sicher und gut aufgehoben, das weißt Du ja. Warum sollst Du Dir denn unnütze Sorgen machen und Dir damit das Leben erschweren. Das raubt Dir soch nur Deine Kraft. Und die brauchst Du doch so nötig für Pappi und die Geschwister. Ja, tust Du das?
Die letzte Zeit will ich ausnutzen und mir ein paar schöne Tage machen, solange wir noch hier sind. Und Du brauchst Dir keine Angst zu machen wegen zu starkem Alkoholgenusses. Seh mich schon vor, liebes Muttichen. Nun grüße bitte alle zu Haus recht herzlich von mir. Ich geh jetzt noch einmal nach draußen, bevor ich mich zur Ruhe lege. Ob Du dann schlafen kannst? Wünsche Dir, daß es Dir in diesem Jahr mit Deiner Gesundheit besser geht. Und nun mit herzlichen Grüßen und einem Gutenachtkuss
Dein Hansi
Ansicht des Briefes
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