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Brief (Transkript)

Hans Simon an seine Eltern am 16.11.1939 (3.2002.1288)

 

16.XI. 39



Nur für Mutti!!

Meine liebe Mutti!

16. November 1939! Heute vor einem Jahr bin ich zum Kommiß gekommen. Mit gemischten Gefühlen, das gebe ich ehrlich zu. Heute aber macht mir der Dienst viel Spaß. Was habe ich in diesem Jahr alles erlebt. Ostpreußen. Auf den Straßen ziehen endlose Kollonnen zur Grenze hin. Stundenlang, mit kurzen Pausen geht es die ganze Nacht hindurch, und am anderen Morgen immer noch. Eine alte Frau sieht diesem Zug zu. Die Tränen standen ihr in den Augen. "So zogen 1914 auch die Soldaten". - Dann der erste Tag in Polen. Die ersten Verwundeten kommen zurück. Auf einem Panzerspähwagen bringen Kameraden einen Verwundeten zurück. Er liegt auf einer Bahre und bei jedem Stoß klingt ein Stöhnen an unser Ohr, dann sind wir vorüber. Ich zweifelte in der Minute an meinen Mut zu kämpfen. Bin ich zu jung, zu weich? Nun, die Zähne zusammengebissen. Schon nach zwei Polen ließ ich einen Polen über die Klinge springen. Nicht aus Mordlust, nur aus Pflichtgefühl, eiserne Überlegung war es, die meine Gefühle stimmte bzw. lenkte. Das ist Krieg. Aus einem weichen Knaben ist ein harter Soldat geworden und dennoch glaube ich nicht, daß die Weichheit ganz aus meinem Gefühl gewichen ist, sie ist zurückgestimmt. Eben ist sie nicht am Platz. Wir haben ja Krieg. Wenn wir singen: Wir fahren gegen Engeland. Mit den gleichen Gefühlen mag man dies Lied 1914 gesungen haben. Ob man damals den Ausgang des Krieges geahnt hat.
Wo der Sieg doch so oft auf unser Seite schien? Ich vergaß die Minuten vor dem Angriff. Am 1. Sept. 4.45 war ja der Einmarsch festgesetzt. Weder überschwengliche Begeisterung noch eine gewisse Bedrücktheit beherrschten uns. Nun, man konnte auf einmal so klar und nüchtern denken. Man war Realist. - Das hat mir dies Jahr Kommis gebracht. Es waren nur einige Gedanken. Was hat uns dies Jahr an Schönem gebracht! - Wie habe ich mich zu Deinem Brief gefreut. Ich sehe, wie Du Doch an mich denkst. Denn Du hast gewiß wenig Zeit gehabt. Deswegen freue ich mich doppelt dazu. Ihr habt zu Haus ja viel Sorgen. Daß Ihr zu Haus längere Zeit keine Nachricht von mir bekommen habt, tut mir Leid, denn ich habe jeden Tag nach Hause geschrieben und wenn ich mal keine Zeit hatte, so schrieb ich kurz eine Kerle. Das liegt wohl an der Zustellung. Daß Winfried nun vielleicht Aussichten hat
auf die Mittelschule zu kommen, freut mich sehr. Hoffentlich kommt er auch. Hoffentlich geht es Pappi mit dem Hals bald besser. Wo Pappi eben noch die Nachbargemeinden betreuen muß, wird sein Hals besonders angestrengt. - Du hast es eben wohl sehr schwer. Ich muß noch immer an die Geschichte denken, die Du mir von Tante Mariechen und Tante Cila erzählt hast. Weißt was ich meine, wo sie mich mit Schokolade und Süßigkeiten dressierten. Heute wird es wohl genauso sein. Schade, daß ich Dir nicht beispringen kann, denn Du hast gewiß einen schweren Stand. Hoffentlich sieht Costing, was gespielt wird. Ich will abends beten, vielleicht hast Du es dann leichter. Soetwas macht einen so mürbe, besonders wo Winfried Dich eben so dringend braucht. Einfach ist es gewiß nicht. Ehrlich gesagt: Ich würde des öfteren aus der Haut fahren. Aber heißt es nicht: Vor einem grauen Haupte sollst du aufstehen. Na, Muttichen, hoffentlich sind Pappi die Augen geöffnet, damit Du es leichter hast. Wenn ich mich in Deine Lage versetzen sollte! Augenblicklich bin ich sehr nervös. Du wirst es bei der doppelten Arbeit gewiß auch sein. Wo soll man da seine Kräfte hernehmen?? Wie ist Costing, denkt sie schon soweit selbstständig, daß sie sieht was los ist? Na Muttichen, hoffentlich hast Du es leichter als damals. Du hast ja in dieser Beziehung ja schon soviel hinnehmen müssen. Ich hoffe aber, daß Omutti sich einlebt. Vielleicht kann man etwas finden, daß sie voll und ganz beansprucht, nur daß Dir nicht in die Wirtschaft gefuscht wird. Omutti meint es gewiß sehr gut. Sie drängt es auf eine Weise auf. Wenn man in Estland auf Besuch war, war es ja schön, aber im täglichen Leben ist es etwas anders. Was mag Dich das für Opfer gekostet haben, Omutti aufzunehmen. Vielleicht kann Onkel Arthur unbewußt ausgleichen. Hoffen wir jedenfalls das Beste, nicht? Wenn man immer an das Vergangene denkt, frißt sich vor Gram immer tiefer und alles wird schwerer. Vielleicht gibt es irgendwas, was Omutti so interessiert, daß Omuttis Beschäftigungsdrang vollauf befriedigt ist. Na, da wird sich schon was finden.
Liebes Muttichen. Bitte laß diesen Brief nicht in andere Hände gelangen. Er kann vielleicht Unzufriedenheit stiften und das ist hiermit nicht beabsichtigt. Am besten Du verbrennst ihn. Ich werde ihn besonders zukleben. An Winfried hast Du wohl Deine Mühe, aber wohl auch Deine Freude? Costing, die brave .... , quält sich wohl noch immer so mit Mathematik ab.
Schade, daß ich ihr nicht helfen kann. Bestell ihr bitte meine herzlichsten Grüße. Winni qrüß bitte von mir. Hat er eigentlich mein Briefchen bekommen? Später werde ich ihm auch wieder schreiben. Was Ihr mir ab und zu schicken könnt, sind ein paar Äpfel und bißchen Marmelade. Von den anderen Wünschen schrieb ich in den letzten Briefen. Vorausgesetzt, Ihr habt genug. Und vergeßt unsere tapfere Tutti nicht in Derneburg. Sie hat bestimmt viel zu tun. Ich versuche auch ihr täglich zu schreiben. Vom Urlaub schrieb ich Euch schon. Ein leichter Hoffnungsschimmer??? Ich wage nichts zu glauben. So Muttichen, ich hoffe, daß Du es nicht zu schwer hast. Würde gerne mal (wenn Zeit) eine kurze Personenbeschreibung von unseren Mietern haben. Man lebt doch immer mit seinen Gedanken zu Haus. Täglich ein paar Mal, spazieren meine Gedanken zu Euch nach Kloster Malchow. Grüße bitte alle. Pappi meine besten Grüße. Will auch Pappi mal schreiben. Sollte dieser Brief noch am Sonntag ankommen, so wünsche ich Euch einen frohen und schönen Sonntag. Wir werden dann wohl auf einem Truppenübungsplatz scharfschießen. Nun alles Gute und vielen Dank, liebes Muttichen
Dein Hansi


 

 



Ansicht des Briefes

 

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