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Brief (Transkript)

Hans Stock an seine Familie am 27.01.1944 (3.2002.1217)

 

86.

In Italien, am 27.1.44




Ihr Lieben meinen!

Noch einmal schreibe ich Euch. Gersten habe ich tatsächlich einmal Post bekommen. Nr. 9 + 10. 97 war der letzte Brief von Prenzlau. Wo mögen die anderen sein? Es sind doch mindestens acht, die noch kommen müssen. Von Vater hatte ich neulich auch einen, den ich aber leider irgendwo verloren habe. Er ging schon auf die neue Nr. und er schrieb mir, dass Mutter und Eva in Dresden waren. Nach diesem Brief hat er wohl auch seinen Weihnachtsmanet bekommen. Wie findet Ihr das Buch? Ist doch ein schönes Stück, gell?! Hoffentlich habt Ihr meine Briefe alle, was Ihr ja auch an den Nr. feststellen könnt. Da habe ich Euch mehrmals eine Liste der Pakete geschickt, die ich aus Laibach sandte. Daran könnt Ihr feststellen, ob wirklich alles da ist. Über die Zeit von vor Weihnachten bis zum 15. Januar habe ich auch von Euch nichts. So weiss ich gar nicht, ob Ihr die ganzen Briefe aus meiner Versetzungszeit habt. Seht doch noch mal die laufenden Nr. nach. Also Eure beiden Kaffeepäckchen habt Ihr. Und meine schönen schweizer Bücher auch. Sind hoffentlich alle unbeschädigt angekommen, denn ich habe sie gut verpackt. Damit ist mir also ein Stein vom Herzen gefallen. So, nun zu uns hier. Es waren neulich, wo ich den letzten Brief schrieb, 5 Std. Waffenruhe, um die beiderseitigen Verwundeten zu bergen. Nachdem die Amerikaner über den Fluss übergesetzt waren, schossen unsere Do-Werfer hinein. Die machten ganze Arbeit, und sie hatten über 100 Tote. Man sah neulich die Sanis beider Seiten friedlich und aufrecht am Fluss entlangspazieren, die Rote-Kreuz-Fahne schwingend setzten sie auf Schlauchbooten über, trugen Bahren mit Toten + Verwundeten. Sie gaben sich die Hand, tauschten Zigaretten (10 Deutsche gegen 50 Amerikanische). Sie liessen uns ihre schönen Marschverpflegungen und Schokolade. Nehmt man, sagte einer, der deutsch sprach. „Jetzt sind wir Freunde und in einer Stunde wieder Feinde“ und so war es. So holten sie ihre Leichen und Krüppel, um bald wieder gesunde Leute in die Mühle zu schicken, die sie dann wieder als „Freunde“ zurückholen.
Ein Wahnsinn!
Seit der Zeit ist es in unserem Abschnitt etwas ruhiger. Hier werden sie es wohl sobald nicht wieder probieren, uns zu werfen, nach den Verlusten. Dafür kracht es den ganzen Tag in den Nachbarabschnitten. Das hat aber nicht zu sagen, das wir hier sicher sind, denn so ganz unerwartet kommen von Zeit zu Zeit als Überfallsalven von 20 bis 30 Granaten angerauscht. So hatten wir gestern wieder 12 Ausfälle. Man kommt aus dem Bunker und alles ist ruhig. Plötzlich kommt da kreischend der Tod heran. Meistens ist es zu spät zum Hinlegen. Man muss eben Glück haben. Hoffentlich habe ich es noch so lange, bis sich meine Lage bessert, was ich doch hoffe. Warum musste das denn gerade Herr Reck sein!? Ich sage Euch noch einmal, dass damit für mich alles vorbei wäre. Wie ich das machen will, sage ich lieber mündlich. Aber es ist eben zu spät. Die Sache mit Stich hätte drei Wochen früher kommen sollen, da hätte sie sicher geklappt, und jetzt ist sie verschwunden wie die Briefe 97-8. Wir werden uns also doch erst nach dem Kriege wiedersehen, denn mit regulärem Urlaub bin ich erst in 1 ? Monaten dran, wenn bis dahin keine Sperre ist und überhaupt noch an Urlaub zu denken ist. Ich bin doch nun zum ersten Mal im Einsatz, aber ich muss mich immer wieder wundern, wie zappelig und kopflos die anderen sind. Was haben sie neulich in den furchtbaren Nächten, wo sämtliche Leitungen zerschossen und wir ohne jede Verbindung waren, für blödes Zeug gequatscht. Sie wollten sich mit Mpi nach hinten durchschlagen ( wo sie doch gleich 1 m vom Bunker von Granaten zerrissen worden wären oder von eigenen MG niedergemäht.) Sie wollten die Werfer schon zerstören, um sie nicht dem Feind zu lassen, und sie sahen jeden Augenblick Gespenster in Form von Amerikanern, die vorm Bunker standen, um uns gefangen zu nehmen, wo doch bei dem Splittermeer wirklich keiner draussen sein konnte. Auf meine Aufforderungen, sich schlafen zu legen, zu warten bis morgen, wo ich die Leitungen flicken würde, und wir also erführen, was los war, hörte keiner. Nicht mal alte Russlandkämpfer. Die können die Lage nicht mehr mit klarem Verstand überblicken. Ihre Nerven sind wohl im Laufe des Krieges kaputtgegangen. Wann wird es bei mir soweit sein? Wenn die ganze Scheisse doch bloss erst aus wäre und man nicht nur aus den Briefen der Heimat immer wieder hörte: Es ginge alles mal vorbei. Das wird einem schon langweilig. Aber lasst Euch nicht verdriessen, schreibt fleissig auch wenn ich nichts mehr kriegen sollte. Allen beste Grüsse Hans.

Evas Lieder haben mich sehr erfreut und belustigt. Sie hat sie meisterhaft ausgewählt. Ich behalte sie bei mir, um den Text nicht zu vergessen.

 

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