Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Hans Stock an seine Familie am 17.01.1944 (3.2002.1217)

 

84.

In Italien, 17.1.44



Ihr Lieben!

Ich habe Läuse, Scheisserei und schlechte Laune. Es ist alles zum Kotzen. Seit Wochen kein warmes Essen, da es immer kalt ankommt, daher Scheisserei. Seit Wochen ungewaschen und ungepflegt, daher Läuse. Seit Wochen keine Post und das Kuchenpaket vom 19.11. ist immer noch nicht da. Und das Warten auf die Sache mit Stich. Hätte ich doch nie etwas davon gewusst, so wäre für mich jetzt der ganze Mist vorbei, und ich könnte mit P. sprechen. Was ich mir wegen dieser Sache habe entgehen lassen, kommt nie wieder. Nie so gut. Und die Aussichten, von der Granate zerrissen zu werden sind weit grösser, als die Aussichten auf Peenemünde. Es wird wie üblich wieder zu spät werden. Daher meine schlechte Laune. Das keine Post mehr kommt, hängt wohl alles mit der Auflösung meiner alten Schreibstube zusammen, so glaube ich, dass die Post zurückgeschickt wird, da man sich über meinen Verbleib nicht im Klaren ist. Aber Ihr müsstet doch meine neue Nr. schon längst wissen. Wo bleibt bloss die Post für mich. Die anderen kriegen welche. Wir sind ein Stück zurückgegangen und bauen wieder Stellungen. Diese ewige nächtliche Graberei und Schlepperei im Granatenfeuer macht mich fertig. Die Haut von meinen Händen pellt sich in grosen Fladen, und millimeterdicke Risse, die bluten und wehtun sind an den Fingern. Es kommt kein Telegramm und gar nichts. Ich lebe zwischen Tür und Angel in Hoffung und Entgehenlassen. Ich warte jetzt nur noch bis zum 15. Februar. Dann ist mir mein Leben mehr wert als alles andere. Mal trifft es jeden. Seht zu, was Ihr bis dahin machen könnt. Am besten wäre eine blitzartige neue Anforderung an meine neue Nr. 08691 E. Die alte geht sicher verloren. Schade, dass ich Stichs Adr. nicht weiss. Es ist wie verhext, dass immer etwas dazwischen kommt. Gleich muss ich mich wohl wieder verkriechen, denn sie schiessen jetzt Salven in die Nähe. Phosphor und Spreng. – Da sitze ich hier, und lauere auf mein Glück, das sich wer weiss wo herumtreibt. Und keine Post. Ist Euch etwas passiert, oder dauert die Post so lange. Am 27.12 habe ich Euch doch die neue Nr. geschrieben. Habt Ihr laufend alle Nr. bekommen? Wenn ich mir vorstelle, wie es mir jetzt gehen könnte, wenn ich von Stich nichts wüsste, könnte ich weinen. Schreibt wenigstens gleich, wenn es ins Wasser gefallen ist. Ich will hoffen, dass mich mein Engel noch solange beschützt. Die Splitter pfeiffen mir täglich um die Ohren. Mein Rheuma in der Hüfte lässt mich schlecht schlafen. Ich träume hier im Bunker viel von zu Haus. Von der Bismarckstr. Und guten alten Zeiten. Ich lief von Geschäft zu Geschäft, kaufte schöne Keks, Waffeln, Bonbons und Schokolade, alles Sachen, auf die ich Heisshunger habe. In Cafés ass ich schönen Kuchen. Neulich sah ich Vater im Traum in einer Kneipe sich besaufen und singen, worauf ich nach Hause rannte, wir hatten einen Eisenladen, wie Mewes, und weinte.. worauf mich T.Ä, tröstete. Das hängt wohl alles mit meiner Stimmung zusammen. Ich könnte den ganzen Tag heulen. Heute träumte ich, Ihr und Alex wäret hier wie in Staaken gewesen, und ich hätte Euch alles gezeigt, wir sassen in einem feinen, noch heil gebliebenen Restaurant mit Tanzmusik. Wir sassen auf der Terasse und sahen den Fliegern beim Bombenschmeissen und Bordwaffenschiessen zu, sahen Autos mit Verpflegung fahren und Einschläge. Dann knallte es bei unserem Bunker, und ich wachte auf, merkte die Läuse rennen und spürte ihre Bisse. Dann taten mir Hüft- und Armgelenke weh. Hoffentlich kommt das Kuchenpaket noch. Ich hätte Appetit drauf, auch wenn er hart ist. So, jetzt grüsse ich alle recht herzlich und erwarte mein Schicksal. Hans.

 

top