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Brief (Transkript)

Hans Stock an seinen Vater am 04.11.1943 (3.2002.1217)

 

54.

In Kroatien, am 4.11.43



Lieber Vater!

Heut sollst Du auch endlich mal einen Brief ganz für Dich haben. Ich will ihn schon jetzt für Deinen Geburtstag schreiben, da ich nicht weiss, ob ich in der nächsten Zeit noch dazu komme. Dir muss man vor allem die Gesundheit wünschen. Dies sei also mein Hauptwunsch für Dich. Solche Sachen wie im letzten Jahr sollen nicht wieder vorkommen. Mein zweiter, wohl in Erfüllung gehender Wunsch für Dich im Besonderen und auch für uns alle ist der, dass wir Deinen nächsten Geburtstag wieder alle zusammen in Frieden und in einer angenehmen Umgebung feiern können. Dann käme der wohl nötige Wunsch, dass Du nicht eingezogen wirst; wir brauchen ja schliesslich markige und kantige Leute zum letzten entscheidenden Schlag! Ausserdem, was wieder wichtiger ist, sollst Du Freude an Deiner Arbeit haben, möge man Dir keine Schwierigkeiten machen und Dir die neuen Fächer nicht zu schwer fallen. So könnte ich noch seitenweise lang schreiben, was ich Dir wünsche, jedenfalls nur Gutes, mein Lieber. Ich habe Dir damals in Frankreich ein Buch von bzw. über Ph. Otto Runge gekauft und nach Neukölln geschickt. Hoffentlich findest Du darin etwas für Dich. Ausserdem kannst Du Dir von meinen aus Belgien mitgebrachten Sachen etwas aussuchen, was Dir am meisten Spass macht. So aus der Ferne kann ich Dir ja nichts anderes zukommen lassen. Die beigelegten Blümchen seien ein Blumenstraus. Den Enzian habe ich hier oben auf den Bergen im Urwald gefunden und die Herbstzeitlose wächst noch auf den Wiesen. Ich habe zwei Päckchen mit Zigaretten an Dich geschickt. Einmal mit 150 und einmal mit 80 stk. Das erste sei für Dich. Die anderen kannst Du für einen etwaigen Urlaub (falls die Bombe doch noch fällt) aufheben oder von Zeit zu Zeit mal mitschicken. Wir haben nämlich neulich unheimlich viel Marketenderware bekommen, da wir zwei Monate gar nichts hatten. Da waren so viel wir sehr knapp und jetzt wissen nicht, wohin damit. Zu Saufen gab es auch allerhand, aber da wir ja nichts mitschleppen können und Flaschen schon gar nicht, wurde eben alles an einem Abend ausgesoffen und dabei auch viel grausliges Zeug. So mussten wir uns trotz unserer Müdigkeit zusammensetzen und das Gesöff vertilgen. In weiser Voraussicht nahm ich mir das Kochgeschirr und ein Stück Fleisch von einem geschlachteten Schwein mit, unter dem Vorwand, das ich so zwischendurch immer was essen wollte. Dann setzte ich mich in eine dunkle Ecke und spuckte das Meiste in das Kochgeschirr. Weshalb sollte ich mir den Magen verkorksen, zumal uns für den nächsten Tag wieder anstrengende Sachen bevorstanden und ich ja auch noch Wache in der Nacht hatte. Ja, die Anstrengungen bleiben, aber wir laufen nicht mehr so lange Strecken bis zum Tagesziel. Die Eindrücke, die man von dem Segen der Friedensbringer hat, werden immer schlechter, und ich kann mich auch jetzt noch immer nicht daran gewöhnen. „Wir kommen als Freunde“ und hausen wie die Vandalen. Das Benehmen der Deutschen ist beschämend und rechtfertigt unsere Beliebtheit allenthalben. Das heisst es also, „Herrenvolk“ zu sein. Wenn diese Gegend auch so arm ist und die daraus resultierende Primitivität vielfach tatsächlich nicht mit den bescheidendsten deutschen Verhältnissen zu vergleichen ist, so ist das doch für einen vernünftig denkenden Menschen kein Grund, diese Leute wie Idioten zu behandeln. Man steht bei uns auf dem Standpunkt, sie könnten froh sein, wenn sie nicht erschossen werden oder ihnen die Bude über dem Kopf angezündet wird. Ich weiss nicht, ob Du im letzten Krieg genug Einquartierungen usw. mitgemacht hast, um aus eigener Erfahrung zu wissen, wie einem dabei zumute ist. Ich schäme mich vor den Leuten wie es kein Verbrecher tut, der es nötig hätte. Ob das nun ein richtiger Standpunkt ist, weiss ich nicht. Aber darüber zu plaudern ist in Briefen kein Platz. Lass Dir lieber erzählen was man so macht. Da kommt man also in irgend so ein gottverlassenes Kaff. Zunächst wird Quartier gemacht. Stell Dir vor wir hätten 10 – 20 Landser in unserer Wohnung. Die Möbel werden umgeräumt, Heu oder Stroh hereingeschleppt. Die Betten belegen die Uffz. und Fw., so sie sich nicht vor Flöhen fürchten, die ja auch hier nicht so häufig sind, wie man annimmt. Die Funzel und ähnliche wichtige Sachen sind für uns. Die Leute übernachten auf dem Ofen, soweit vorhanden, oder fliehen ins Heu In die Ställe kommen die Mulis. Während sie abgeladen werden, kraucht man wie ein Raupenschwarm über die Ställe, Scheunen, Keller, Böden usw. durch Haus, und die Vorräte sind unsere. Schmalz, Eier, Wein, Äpfel, Nüsse. Inzwischen beginnt eine Jagd auf Geflügel. Oft nimmt man diesem armseligen Volk auch noch das Schwein aus dem Stall. Die Frau sitzt da und weint, da sie wohl an die Kinder im Winter denkt, die Kinder weinen, da sie es bei der Mutter sehen und der Mann, wenn er unter 50 ist, wird mitgenommen. Aber dieses Elend sieht der Landser nicht. Neben der Aufregung im Hühnerstall schallt draussen das Gequieke der an den Ohren herbeigezogenen Schweine, dann knallt ein Pistolenschuss oder zwei, die Frauen halten sich die Ohren zu, und das Messer steckt im Hals des strampelnden Schweines. Die Blutlache erinnert die Leute noch einige Zeit an ihr ehemaliges Schwein, ebenso die herumfliegenden Federn und die auf dem Hof verstreuten Köpfe an ihre Hühner. Und die Leute rennen herum, zu holen, was wir brauchen und haben die Ehre, ihr Viehzeug auf ihren Herden für uns zu braten. Was ich an Eiern „organisiert“ habe, habe ich immer bezahlt mit Geld oder Zigaretten. Dadurch ist jetzt unsere Verpflegung besser, seit wir durch bewohnte Gegenden kommen. Gestern war auch so ein Fall für viele. Da hatte der Bauer einen Hund an der Kette mit Hundehütte auf dem Hof. Ein harmloser Hund war es, den ich auch gestreichelt habe. Sich in die Psychologie eines Hundes zu versetzen, verlange ich ja nicht. Denn er hat wohl noch nie solch einen Krawall erlebt, ausserdem wurde die gefundenen Handgranaten in die Gegend gefeuert, dass die Scheiben wackelten. Was Wunder, dass der harmloseste Hund verrückt wird. Sein Verhängnis war, dass unser Zugführer, Oberfeldwebel, an ihm vorüber ging. Er tobte und bellte und tat, als wollte er ihn beissen. Mein Oberfeldwebel wollte sich aber nicht beissen lassen, wie er selbst betonte. „Von dem Hund nicht“! Sprachs und fand einen ihm geeignet erscheinenden Knüppel, womit er meinem Hund mit wahrhaft deutscher Stärke beibrachte, was es heißt, im Kriege sich gegen die Uniform aufzulehnen. Nach einigen Minuten begriff es auch der Hund, und nachdem er vorher immer soweit weglief, als seine Kette erlaubte und dadurch den gezielten Schlag verhinderte und gleichzeitig den Zorn meines fronterfahrenen Oberfelds auf sich zog, blieb er dann, alle Viere von sich gestreckt liegen. Nach einer Weile kam er noch einmal vorbei und siehe, der Hund wagte es noch zu atmen. Als edler Deutscher hatte er Erbarmen und knallte ihm eine Pistolenkugel in den Kopf. Ein Aufbäumen, und der Hund bohrte seine Schnauze in die Ecke zwischen Hundehütte und Hauswand. So stand er im Todeskrampf da, gekrümmt wie ein Flitzbogen mit einem Rücken, wie Paul ihn macht, wenn er sich nach dem Schlaf reckt. „Vielleicht hat er jetzt genug“ war seine, Zugführers, Bekräftigung, und so schritt er von dannen. Ich hatte gerade Posten, sonst hätte ichs ja mir nicht angesehen. Nach einer Weile hörte ich den Hund immer noch röcheln, ging ins Haus und empfahl, ihn noch mal zu schiessen. „Er wird schon sterben“. Er starb aber nicht und nach 10 min, als ich wieder vorbei kam, sah ich ihn wieder ganz zusammengekauert daliegen mit etwas gehobenen Kopf. Ja, und so guckte er mich nun an. Wieder ging ich ins Haus und habe regelrecht Krach geschlagen. Einer fand sich auch mit Freuden und machte dem zähen Hund mit der Axt den Garaus. Und die Leute, standen fassungslos in der Tür ihres Hauses und sagen nichts. Solche Sachen gibt es nun täglich zur Auffrischung des Kampfgeistes. Dazu werden zentnerweise Flugblätter ausgestreut, dass wir als Freunde und Friedensbringer kommen. Dann stießen wir gestern im Urwald mit Farnkraut und einem Labyrinth grauer Steine auf Widerstand. Im Blitztempo rasten wir auf den Gipfel, wobei ich auch über die Partisanen fluchte und umfassten sie von hinten. 80 sind wohl ausgerissen, 12 haben wir gefangen. Es gab ein kurzes Gefecht mit Mpi. Eine lächerliche Aufregung war das, jeder schrie herum und gab dem anderen Anweisungen, wie er sich zu verhalten hätte. Kurz und gut, wir hatten einige gefangen mit ihren urtümlichen italienischen MG’s, mit denen ja wirklich nichts gegen uns anzufangen ist. Ein Student war dabei und eine junge Studentin als Führerin. Sie wurden gleich ausgeräumt. Uhren jeder Art sind bei uns besonders erwünscht, aber auch eine möglichst volle Brieftasche wird gern genommen. Einer hatte eine schöne Windjacke an, die er gleich ausziehen musste, auch Hosenträger konnten wir brauchen. Ich nahm mir aus dem Gewühl der hingeschmissenen und ausgeleerten Rucksäcke und Taschen ein schöne neues Handtuch, da ich keins hatte. Ja, so ein Rowdy bin ich geworden. Sie wurden dann mitgeschleift bis in die Ortschaft und dort „umgelegt“. Das Mädchen, genannt „Partisanenweib“, kam zuerst dran. Sie sagte unseren Leuten noch, indem sie auf den roten Stern an der Partisanenmütze deutete, sie kämpfe eben dafür und wir für Kokarde auf unserer Mütze, sie wollte auch von vorn erschossen werden, wogegen die anderen Genickschüsse bekamen. Am anderen Morgen lag sie leicht entblößt da, was immerhin noch von unserer edlen Geisteshaltung zeugt, denn man muss sich wundern, dass sie den Leichnam nicht mit an ihre Schlafstelle genommen haben, um sich ihre Geilheit abzureagieren. Wer es getan hat, ist natürlich nicht herauszufinden. Diese zwölf Mann und auch das „Weib“ hatten alle herrliche Ski-Schuhe an. Mir hätten bestimmt welche gepasst und die des „Weibes“ bestimmt für Eva. Schade, dass man so was nicht allein im Walde findet. Jedoch einige kümmerte das Schicksal ihrer vorherigen Besitzer wenig, und so zogen sie sie dem noch zuckenden Körper aus. Das habe ich allerdings nicht gesehen. – Jetzt geht hier der Tumult in der Unterkunft wieder los. Die anderen waren nämlich im Kino gewesen, wohin sie sogar per Autobus gebracht wurden. Ich blieb als einziger freiwillig hier, da ich diese 4 Std. der Ruhe zum Schreiben benutzen wollte, weil man ja sonst nie dazu kommt vor lauter Krawall. So bin ich um den geistigen Genuss der Wochenschau und der Unterhaltung gekommen! Vorher habe ich mich endlich mal gewaschen und sogar rasiert, denn es ist schliesslich Dein Geburtstagsbrief. Jetzt ist hier wieder solcher Krach, dass ich wirklich aufhören muss. Es ist ja auch genug für heute. Eure letzen Briefe mit allem Inhalt habe ich danken erhalten. Dadurch, dass ich etwas Geld hatte, konnte ich Kaffee kaufen. 10 [Pfund] für Euch und eins für Dr. Oehlm. Zur Hochzeit noch. Darüber dürften sie sich eigentlich freuen und auch Tanten etwas abgeben. Ich will sie bei Gelegenheit mal einem Urlauber mitgeben. Auch für die prompte Überweisung der Steine bin ich sehr verbunden. Das Hemd ist noch nicht da. Ich danke schon jetzt für Eure Sorge, muss aber sagen, dass ich es nicht gebraucht hätte. Wenn ich etwas brauche, schreibe ich schon! Verlasst Euch drauf. Das gilt natürlich nicht für die stets begehrten Süssigkeiten. Gestern habe ich von Mama wieder Marzipankartoffeln bekommen. Ich frage sie auch im Auftrage meiner Kameraden nach den Fotos aus Tirol. Wo sind die, wer hat sie? An Deinen Geburtstag werde ich natürlich denken. Es wird wohl wieder Vollmond um diese Zeit sein, wenn ich auf Posten bin. Wie üblich allen die besten Grüsse und Dir, lieber Vater, alles Gute von Hans.

 

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