Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Hans Stock an seine Eltern am 29.09.1943 (3.2002.1217)

 

Brief 48

Italien, am 29.9.43



Liebe Eltern!

Inzwischen ist viel Zeit seit dem letzten Brief vergangen aber die Umstände haben mir keine Zeit gelassen. Am 20. erhielt ich Eure vorletzte Post, die letzte kam gestern. Es war viel und von allem etwas, auch die Zigaretten als besonderer Leckerbissen (ich bestätige heute zum zigsten mal die Eingänge).Von Mama drei Kekspäckchen. Von Tanten ebenfalls Päckchen. Den Inhalt des einen von Euch habe ich ebenfalls mit Dank erhalten. – Bis wir von Verona wegzogen, wurde es der 22. Die Kompanie fuhr per Omnibus, ich mit den Pferden per Bahn. Wir kamen ins Bandengebiet nach Görtz (Gorizia) Dort hatte ich noch einen Tag mit den Pferden zu tun und kam dann zum dritten Zug. Es war eine Erlösung für mich, obwohl ich wieder Schütze 4 wurde. Am 25. ging es dann in die Berge, aus denen nachts immer das Rattern der MGs und das Ballern der Geschütze kam. In diesen Nächten in Görtz hörte ich das zum ersten Mal im Ernst. Wir fuhren mit dem LKW ins Gebirge und da einige Brücken gesprengt waren, schleppten wir Gerät frei über eine Höhenkette, ich hatte zwei Munikästen und einen Lauf zu meinem üblichen Kram, und da ich diese schnelle und pausenarme Steigerei nicht gewöhnt war, blieb ich ständig zurück und war ziemlich fertig. Bis ich dann mit zwei anderen „Vernünftigen“ endgültig zurückblieb und mit vielen Pausen und an Partisanenleichen vorbei an der anderen Seite des Berges von dem Wagen des Generals, den ich in meiner Erschöpfung voller Wut anhielt, mitgenommen wurde. So kam ich dann vornehm ins Quartier und der Komp.Chef grüßte den Wagen, In diesem Dorf Tarnova machten wir also Quartier. Einige Häuser brannten, die meisten Leute waren geflüchtet. Wir plünderten die Ortschaft. Wie es dann dort aussah, brauche ich wohl nicht zu schildern. Es blieb keine Tür und kein Schrank heil. Die mit Stahlhelm oder Axt getöteten Hühner häuften sich zu Bergen, in allen Küchen wurde gepruzelt. Das Gequieke der an den Ohren zu den Herden gezerrten Schweine und das Gebrüll der hungrigen Kühe und Schafe und Ziegen hallte durch den Ort. Mit Pistolen, oder Messern und Seitengewehren wurden die Schweine (es blieb keins im Ort übrig) getötet. In allen Strassen floss ihr Blut und überall lagen die Knäuel von Schweinsleder herum. Alles fraß wie noch nie. Es wurden nur die besten Stücke genommen, auf den anderen, die wir nicht mitnehmen konnten, saßen am nächsten Morgen die Fliegen. (Wovon die Leute dort im Winter leben möchte ich wissen ). Morgens noch vor dem Frühstück schossen Offiziere und Mann. die im Laufe der Nacht gesammelten Männer von hinten ab, denn jedes männliche Wesen von 15 – 70 Jahren ist natürlich in ihren Augen „Partisan“, wie überhaupt sich die Bevölkerung „unser Benehmen verdient hat“. Es war ein unbeschreibliches Bild unserer „Kultur“ an das ich mich jetzt bald gewöhnt habe. Abends zog unsere Gruppe auf einen Hügel im Ort, stellte 2 MG auf und wir „schliefen“ daneben im Grase Zelte waren aus Tarnungsgründen unangebracht. Wir standen natürlich fast alle auf Posten Es wurde dunkel und nur der Schein der flackernden Häuser machte den Himmel rot. Bald fing es an zu regnen, zu giessen und zu stürmen wie in den Tropen. Die Feuer erloschen. Es wurde so finster, dass man keine 2 Meter weit sehen konnte. Ich hatte mir einen Partisanenmantel erbeutet für die Wache, den ich auch anzog. Darüber knüpfte ich die Zeltbahn. Es wurde lausig kalt, stürmte und goss wie noch nie. In einer halben Stunde war ich trotz Zeltbahn und Mantel bis auf die Haut nass. Wir waren es alle alle. Stellt Euch vor wie wir alle froren und bald steif wie die Bretter waren. Jede Bewegung war eine Qual. Unsere MGs standen 10 m auseinander, überall krachten Schüsse nah und fern und es war so entsetzlich finster. Plötzlich krochen einige Courtisanen zwischen unseren beiden MG herum. Wilde Schießerei mit M-Pi. Unser Gruppenführer, Feldwebel, fing an zu stöhnen, Kameraden helft mir usw. usw. Wir trugen ihn fort. Die Partisanen waren so plötzlich wie sie gekommen waren wieder verschwunden. Der Fw. hat Hals- und Brustschuss, Schmerzen und liegt im Lazarett. Die ganze Nacht war voller Aufregung, an Schlafen nicht zu denken. ‚Halt wer da’ und ‚Parole’ wurde 1000x gerufen. Und wir klebten an den Kleidern, in den Schuhen patschte das Wasser, es war kalt und wir standen die ganzen 11 Std. auf den Beinen. So fing also mein Einsatz an. Vormittags tauten wir am Feuer langsam wieder auf, brieten Hühner und ich habe seit der Zeit, wie alle anderen, auch die Uffz., alle 2 Std. Wache, 2 Std. „frei“, 2 Std. Wache usw. Nachts schlafe ich also nur 4 Std. unter den primitivsten Verhältnissen. Dazwischen ist immer was zu tun, Waffenreinigen usw. Alle sind vor Müdigkeit ganz kaputt und wir schliefen auf Posten bald im Stehen, wenn man nicht so fröre, da es ständig regnet und nicht ständig das Messer im Rücken fühlte. Die Partisanen stellen sich nie zum offenen Kampf sondern stiften durch Überrumpelung Unruhe. Ein MG mit Besatzung haben sie nachts schon gemaust. Alles geht ganz still und leise und von hinten. Es ist so „gemütlich“. Seit Kalken schlafen wir nur angezogen (und in Schuhen wegen Alarm und Kälte hier). So ziehen wir durch die Gegend durchwühlen die Wohnungen und fressen den Leuten das letzte Schwein weg, dass wir auf ihrem Herde braten, während sie trockene Kartoffeln essen. Täglich müssen auf den Wiesen einige Partisanen dran glauben. Wir sind mit ganz schönen Kräften aufgefahren. Die Zusammenballung auf beiden Seiten wird im Fiume erwartet. Vorläufig sprengen sie Brücken und machen sonstigen Blödsinn. Sie müssen aber viel Mut haben. Wir ziehen von Ort zu Ort, haben immer alles gepackt, haben wenig Zeit und Gelegenheit und sind hundemüde. Versteht meine Lage. Heute sind wir in Zolla angekommen und schlafen in einem Haus. Welch ein Komfort! Diese Gelegenheit nütze ich bei einer Kerze zwischen den Wachen aus, Euch zu schreiben. Berichtet allen Freunden und Bekannten, da ich wenig schreiben kann. Die Landschaft ist Karst oder so ähnlich und sehr eigenartig. Von hier hat man einen weiten Blick. Die Menschen, eine Mischung von Italienern und Slaven sind meist ganz schön. Übrigens habe ich bei dieser Gelegenheit die Fähigkeiten und Veranlagungen des „herrlichen deutschen Menschen“ richtig kennen gelernt. Bloss weg von diesem Gesindel. Möglichst weit. Dazu hilft die Bombe. Popovic und ein paar andere nette Leute sind die einzigen mit denen man reden kann. Es kotzt einen alles an. Wenn das Wetter doch besser wäre. Wenn ich meine 8 Wochen hätte! Wenn doch schon alles aus wäre. Da bekam ich gestern den beigelegten Brief. Ich bin viel zu müde und apathisch, zu begreifen, was das für mein Leben bedeutet. Ich habe keinen jungen Menschen, der mich liebt und den ich liebe. Wie gut, dass ich es die ganzen Monate schon wusste, mich vorbereitet habe und keine Freude am Leben habe, nicht einmal im Urlaub. Jetzt bin ich so allein wie kein anderer den ich kenne. Ich habe nur noch Euch und alles aber auch alles andere ist mir ganz egal. Ersatz gibt es nicht. Vielleicht finde ich mal ein nettes Mädchen. Nie werde ich aber wieder die mir entsprechende Verkörperung eines in allem, was ich darüber verstehe, schönen Menschen wiederfinden. Er war für mich, was ich als schönen Menschen an Seele, Geist und Leib empfinde. Das Glück, von solch einem Geschöpf geliebt zu werden, werde ich nicht noch einmal haben. Es bleibt mir nichts als die Erinnerung an eine herrliche Zeit, ein paar Haare, Fotografien und Trostlosigkeit. Hebt meine Negative gut auf. „Es lebe der Führer, das Heldentum und seine große Zeit.“ Mein Zustand ist bedauerlich, aber vorläufig kann ihn niemand ändern. Ich hoffe auf bessere Zeiten, dass wir uns gesund wiedersehen.
Hans.

 

top