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Brief (Transkript)

Hans Stock an seine Familie am 27.07.1943_1 (3.2002.1217)

 

26.

Kalcken, am 27.7.43



Ja, Ihr Lieben, es ist soweit! Stöckchen kommt zum Einsatz. Wie ich schon annahm, war alles gepackt, als wir gestern abend nach Haus kamen. Wir schliefen die Nacht angezogen, ohne Decke, da wir jeden Moment auf den Abmarsch warteten. Jetzt sind wir noch hier, fahren wohl noch heute abend. Wohin???? Parolen lauten von Russland, Orel über Balkan bis nach Italien. Ich selbst habe das Gefühl, dass wir nicht nach Russland kommen, obwohl wenig Anzeichen dafür sprechen. Wenn das ist, so geht schon alles gut. Ich werde es schon machen! Heute für Grünwald noch mal nach Post. Euer Brief v. 22.7. war dabei. Ihr wisst nicht was ich mache. Jetzt habe ich Euch von hier ja schon so oft geschrieben. Nach der neuen Lage ist es ja unnötig, die letzte strapazieuse Woche Truppenübungsplatz noch zu schildern. Ich bin den grössten Teil des langen Marsches mit dem Omnibus gefahren. Zur Übung! Als einziger! Man hat es nicht gemerkt. Hier geht es seit gestern zu, als fürchte man einen neuen Ausbruch des Vesuv, wie „Die letzten Tage v. Pompei“. Als wir gestern ankamen, klang uns schon von ferne das Gebrüll der besoffenen Kompanie entgegen. Die Kantine machte Inventur (da wir alles belgische Geld abgeben mussten, auf Kredit) Bier, Schnaps, Wein usw. Zigaretten haben wir in rauhen Mengen, Marmelade, Kunsthonig, Tabak usw. In der Kantine sieht es aus als wenn die Vandalen dort gehaust hätten, in den Unterkünften auch. Die Hälfte blieb über Nacht weg, die andere liegt nackt auf den Äckern und kann nicht hoch (Besoffen!). Überall sprudelt die Flüssigkeit aus den kotzenden Mäulern, aus den oberen Betten klatscht es auf den Fliesenboden, alles schwimmt. Die Besoffenen hauen die Stühle entzwei, schmeißen sie aufs Dach, zanken sich, hauen sich, bedrohen sich ernsthaft mit geladenen Pistolen, dass man seine Not hat, sich zu retten und sie auseinander zu bringen. Es ist ein Krach, wie er schlimmer in der Schlacht nicht sein kann. Eine tolle, ungewohnte Stimmung, der ich ratlos gegenübersitze Andauernd werde ich umarmt, soll trinken, rauchen, mitgehen, die Mädels im Dorf bearbeiten. Die haben seit gestern nichts zu Lachen. Alle Kneipen sind voll, überall stehen die Flaschen rum. Die Offiziere kriegt man nicht zu sehen mit ihren Weibern. Lächelnd stehen sie manchmal vor den Fenstern der Unterkunft und blicken auf das Getöse und Geraufe in den Zimmern. Patronen knallen in die Decke, oder das Pulver wird rausgepolkt und auf dem Tisch verbrannt. Ihr könnt es Euch nicht vorstellen. Ich schreibe alles so frisch erlebt, damit ich es später wirklichkeitsgetreu lesen kann, da ich sicher alles vergesse. Die Uffz. heulen vor Besoffenheit. Wir sind ihre besten Kameraden und sie fallen uns um den Hals. Der Spiess lässt sich in der Kantine rasieren. Mundharmonika wird geblasen, gesungen, geboxt auf dem Lokus stöhnen sie, da sie Birnen kiloweise gefressen haben. Seit 24 Std. wird jetzt gesoffen und kaum gegessen. Es wird über Politik im Rausch diskutiert, alles freut sich, dass der Krieg bald aus ist. Es ist ja auch der Deibel los. Hätte der Urlaub bloss eine Woche früher geklappt! Gestern in Gent habe ich keinen Corot mehr bekommen, dafür aber eine sehr schöne kupferne Milchkanne, innen Zinn, für Karl kaufen wollen. Das Geld reichte nicht, ich hab sie für heute zurücklegen lassen, konnte sie aber nicht nun auch nicht holen. Überdies gab es ja auch kein Geld. Heute vormittag habe ich meine ganzen Lebensmittelkarten (auch den Wollbezugsschein) im Dorf verkauft oder vertauscht für eine Büchse Fleisch für die Fahrt, Bonbons für die Fahrt, 1 Pfd. Butter für Oehlmanns. An sie habe ich noch drei Pakete geschickt. Eine Büchse Champignons aus Frankreich, ein Buch, Kerzen, Pudding, Butter, ein ganzes Paket Oetker Vanillzucker, und 30 Päckchen Imperial. 10 Päckchen Pfeffer. Damit war das Geld alle. Es werden für lange Zeit die letzten Päckchen sein. Ich spüre Südfrankreich- Oberitalien. Ob ich wohl recht habe? Wo und wann der Brief weggeht, weiss ich nicht. Hauptsache, Ihr kriegt ihn und wisst Bescheid. Wie ist der Name des Bekannten von Vater (Bildhauer) der da ist, wo Onkel u und Tante i hinwollen, und wohnt er in a oder i? Ich habe unheimlich dreckige Hemden an und bin selbst sehr schmutzig. Drückt die Daumen für mich! Ich werde alles gut machen. Ich habe genug geübt. Grüsst alle. Sobald es geht, schreibe ich wieder. Grüsst alle und gehabt Euch wohl. Im Geiste sehe ich, wie der „Duce“ am Fenster steht und „Leckt mich am Arsch“ murmelt. Hoffentlich ist alles bald aus.
Gruss Hans

 

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