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Brief (Transkript)

Hans Stock an seine Familie am 08.04.1943 (3.2002.1217)

 

8.4.43


Ihr Lieben!

Vorgestern kam ein Brief von Tanten und heute der vom Ohm Karl. Was Lesbares brauche ich nicht. Es ist hier so, dass man kaum zum Briefeschreiben kommt. Um gleich von hier und dem hiesigen Leben anzufangen: Also heute war 40 km – Marsch. Wir hatten ein großes Tempo drauf, sodass wir das Stück von 7 bis ? 3 schafften. Dann sollte noch eine Stunde Waffenreinigen und hinterher Ruhe sein. Es kam aber anders. Der U.v.D. hatte auf uns vom Kompanietrupp eine Wut. Beim Essen mussten wir von uns das Essen für die Herrn Uffz. in das Kasino im Dorf tragen, wo sie von Tellern und weissen Tischtüchern essen, während wir wie die Schweine alles zusammen aus dem Kochgeschirr fressen. Als ich, der ich auch dabei war, zurückkam, fasste ich mein Essen nach, kam aber nicht dazu, es warm zu essen, denn der Kompanietrupp musste raustreten. Wir hatten die ehrenvolle Aufgabe, die Bude der Uffz. in Schuss zu bringen, in der es wie in einer Räuberhöhle aussah. Das Stroh, das da lose auf dem Boden herumlag, und auf dem sie schliefen, mussten wir in Strohsäcke stopfen, Stühle, Bänke und alles schrubben. Decken ausschütteln und Mäntel bürsten usw. was alles dazugehört. Bis ich dann mit Essen und Füsse- und Körperwaschen draussen an der eiskalten Pumpe fertig war, war es 9, und um 10 muss alles im Schinkenetui liegen. Jetzt muss ich gleich Schluss machen, und da ich noch viel schreiben wollte, werde ich morgen weitermachen. Müde bin ich vom Marsch auch ganz schön, zumal ich, da ich gestern Stubendienst hatte, erst um 12 zum Schlafen kam. Morgen geht es um 530 wieder raus. Also für heute gute Nacht. Hans.
9.4.
Jetzt ist es 9.30 abends; von 5.30 morgens bis jetzt habe ich nicht eine Minute Zeit gehabt, etwas zu tun, was ich wollte. Schon wieder Stubendienst, verbunden mit Kaffeeholen usw. Dann wurden heute Strohsäcke gestopft. Das gab viel Dreck. Als wir alles sauber hatten, kamen Doppelholzbetten. Wieder ging die Umräumerei los. Und dann der viele Dreck, der in der Luft herumfliegt und aus den staubigen Decken kommt. Am ganzen Leibe fühlt man sich so unsauber und wagt sich nicht, ins Gesicht zu fassen. Ich hasse das. Heute hatte ich ausserdem schon seit dem Aufstehen schlechte Laune; woher weiss ich nicht. Es war jedenfalls mal wieder sehr gemütlich! Das lange Anstehen nach dem Essen, das „Waschen“ an der Pumpe morgens im kalten Wind, wo der Wasserstrahl an die Hose und überallhin geweht wird, die Angst vor den Unteroffizieren usw. usw. Das langt mir wieder alles. Jetzt haben wir uns schon seit einer Woche wieder nicht ausgezogen, bis auf die Schuhe und Jacke. Zum Glück habe ich mir gestern auf dem Marsch keine Blasen gelaufen. Ach, wenn bloss bald Schluss ist. Ich glaube ja immer noch an den Sieg in diesem Jahr. Anfang dieser Woche war ein schwerer Tagesangriff auf Antwerpen. Wir hatten draussen gerade Fahrradappell und sahen Unmengen von Flugzeugen in grosser Höhe fliegen. Es gab über 2000 Tote, da keine Warnanlagen vorhanden sind. So wurde eine vollbesetzte Strassenbahn in die Luft gesprengt, eine Schule mit 180 Kindern getroffen, alle tot, und die grossen Michelinwerke gingen „im Arsch“. Die Innenstadt hatten sie nicht vor. Ein Kamerad von der Stube war da und erzählte davon, wie Schutt geschaufelt wurde und starre Leichen herausgezogen wurden. Es muss furchtbar gewesen sein.
Morgen ist Sonnabend. Da will ich eventuell nach Gent mit meinen beiden Kameraden aus dem Kompanietrupp, aber was wird da noch alles dazwischen kommen!! Man ist jetzt tatsächlich bald soweit, dass Schlafen, Scheissen und Pinkeln das Schönste des ganzen Soldatenlebens sind. – So, eben war der U.v.D. durch. Diesmal ein ruhiger Mann. Wie kommt man sich da bloss vor, wenn in ruhigem Ton und ohne Zynismen angesprochen wird. Dies Nest ist genau dasselbe wie Haasdonk, bloss dass es mehr Einwohner hat. Sonst habe ich mich hier noch nicht viel umgucken können. Das Uelte ist eine niedliche Eiskonditorei mit gutem Eis und vielen Bonbons und Fondants; natürlich alles sehr teuer. Aber was hat man sonst vom Leben. Übrigens gestern der Marsch war sehr interessant. Wir zogen wie ein grosser Wurm durch den Matsch bei richtigem Aprilwetter, also Sonne, Sturm, Hagel, Regen und wieder Sturm durch die Gegend. Immer in einer Richtung, auf einer Wiese machten wir eine halbe Stunde Pause. Dann ging es genau dieselbe Strasse wieder zurück, und da wir vor der vorgeschriebenen Zeit wieder zu haus zu sein drohten, was ja der Leutnant des Dienstplanes nicht verantworten konnte, so machten wir noch mal km vor Kalcken min Pause. Als wir wieder losmarschierten merkten wir natürlich die Füsse mehrmals so stark als wenn wir das Stück auch noch gelaufen wären. Dann noch etwas. Heute hiess es, dass die Leute unter Jahre Zusatzverpflegung empfangen sollten. Sie rasten natürlich alle zum Fourier, und was gab es? Eine Scheibe = 100 Gr. Brot. Donnerwetter, wie doch für alles gesorgt wird. An die Eltern wollte ich auch noch schreiben, aber das geht nicht mehr, denn die Stubengenossen schreien schon, dass das Licht ausgemacht wird. Ihr könnt ja zu Haus anrufen. Ich brauche nichts, kein Anti-Läuse-Mittel usw. Also für Heute Euch allen viele Grüsse von Eurem
Hans

 

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