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Brief (Transkript)

Hans Stock an seine Familie am 24.03.1943 (3.2002.1217)

 

9.

24.3.43



Ihr Lieben

Heute habe ich überhaupt keine Post bekommen. Schade. Gestern kam ein Brief von A. mit Inhalt gut an. In diesen Quarantainetagen spart man wenigstens etwas Geld. Aber es ist stinklangweilig. Das soll zunächst noch bis zum ersten April gehen. Gestern war, wie ich schon an Alex schrieb, allgemeines Läusesuchen mit gleichzeitigem Liederlernen und Singen. Wir zogen die Hemden aus, und der Sani suchte selber. Und er fand bei 11 Leuten „Sackratten“ und bei 8 Läuse. Wir wurden angeschnauzt, dass wir zu dreckig seien. Ausserdem sind die Brillen in diesen Kinderscheisshäusern, die nicht größer sind als Kindernachttöpfe, täglich verschissen, was den Spiess auch täglich aufregt. Es ist ja auch eine Sauerei, aber was können wir Sauberen dazu, und dafür halten wir uns ja alle. Man versprach uns, dass jetzt aber ein anderer Wind für uns weht. Das machte sich zunächst dadurch bemerkbar, dass wir heute am freien Nachmittag bis 17 Uhr Exerzieren mit allen Schikanen hatten usw. Es ist komisch, dass die Landser so wenig Stolz auf ihr Menschsein haben, sich mehr erniedrigen zu lassen als ein Tier. Ein Pferd leistet wenigstens noch produktive Arbeit, aber wir machen ausser Ausbildung doch den ganzen Tag nur Stumpfsinn. Von morgens bis abends muss man Sachen machen, die dem Menschlichen in uns genau widersprechen, und dazu wird man von den herrlichen Unteroffizieren wie ein ganz minderwertiges Subjekt behandelt und muss zufrieden sein, wenn man nicht den ganzen Tag auf der Fresse liegt und erst um 5.30 aufzustehen braucht. Dann ist man der Milde der Uffz. dankbar, dieser Herren, die privat wohnen und hier in der Unterkunft bloss Stunk machen. Sowie einer angeschissen wird, so kommen sie wie die Aasgeier oder wie die Hühner zum Futterstreuen angerannt, reissen die Augen weit auf und „reden“ mit, dazu werden sie ja auch bezahlt. Sie drohen andauernd mit Meldungen, wenn man ihnen nicht die ihnen gebührende Hochachtung zollt, ein maulendes Gesicht hat oder ein zu dienstfreudiges, was sie als Grinsen oder Verächtlichmachung ansehen. So geht das alle Tage. Und dann betäubt man die Soldaten mit Reden über Soldatentum, den Lob der Unterordnung, über Stolz, Ehre, Menschenwürde usw. Dabei wird man zum Untermenschen erzogen; ich sehen es bei den Infanteristen. Die wissen gar nicht mehr, dass sie mal Menschen waren. Die sind ja auch schon lange genug dabei. Was sie bereits geleistet haben, steht hier nicht in Frage. Jedenfalls befinden wir uns in einem Tiefstand der Menschenwürde. Wenn das schon immer so gewesen wäre, so sähe es sicher traurig in der Welt aus, Kultur hätte es wohl noch nicht gegeben. Wie können wir in diesem Zustand nur ein zehntel der guten Taten der letzen Jahrhunderte vollbringen. Was wir dazu besaßen, wird jetzt abgetötet. Na , Ihr wisst ja darüber auch Bescheid. Hoffentlich wird der Brief geöffnet, damit die zuständigen Leute was zum Lachen haben und sehen, dass sich manche auch als Mensch erhalten wollen. Ich will mich jetzt nicht weiter darüber auslassen. Solange ich alles noch erkennen kann, bin ich zufrieden und geht es mir also noch nicht schlecht. Inzwischen ist es auch schon wieder spät geworden. Ich bitte bemerken zu dürfen, dass oben Geschriebenes nichts damit zu tun hat. Das habe ich schon eine ganze Weile auf Lager. Die anderen schlafen schon und machen von Zeit zu Zeit die Kochgeschirrdeckel mit mehr oder weniger Lärm auf (Pupen) und schnarchen ebenso. Morgen fährt die ganze Kompanie nach Antwerpen zur Entlausung. Da kann man wenigstens mal wieder richtig baden. Schade, dass man da nicht mal schnell in einen Laden springen kann, um ein schönes Buch oder sonst was Feines zu kaufen. Die Welt ist voller Sonnenschein und schön ist es, Soldat zu sein! Heil, Ihr Lieben. H.

 

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