Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Hans-Joachim S. an seine Frau am 13.07.1941 (3.2002.1214)

 

Glebocki, den 13. 7. 41



Meine kleine gute E.

Ganz zufällig erfuhr ich heute früh, dass heute Sonntag sei. Auch kurze Zeit später, das Hafenkonzert auf dem Kurzwellensender, bestätigte dies. Tatsächlich leben wir vollkommen zeitlos. Wir richten uns nur nach der Sonne, stehen auf, wenn’s hell wird, strecken unsere müden Glieder aus, wenn der Mond scheint. 18 Std. täglich sind wir glühender Sonne und Staub ausgesetzt. Obwohl wir jetzt 3 “ruhige” Tage hatten, d.h. ohne Vormarsch, gab es nur Arbeit. Ein Laie kann sich ja gar nicht vorstellen, wieviel Arbeit an einem Ruhetag zu erledigen ist. Zuerst wird natürlich geschlachtet, ein Rind, Kälbchen oder Hühner! Gutes Essen steht selbstverständlich im Vordergrund. Die genannten Fleischgenüsse kosten auch nichts, diese Sachen werden “besorgt”. Anders mit Eier, Butter Obst. Diese Sachen können gegen bestes Geld nicht erworben werden, nur durch Tausch. Da stehen Brot und Zucker hoch im Kurs. Man könnte sich ja durch Gewalt diese Dinge verschaffen. Dazu ist aber sogar in diesem Land der deutsche Soldat zu anständig. Nur die Juden haben auch hier nichts zu lachen. Zum ersten Mal müssen sie ran an die Arbeit. Davon wird aber auch wieder nur der arme Jude betroffen, der reiche Jude ist längst über alle Berge. Unser Vormarsch ging über Suvalki, Seyny, Bergnicki – Clhapchiamiestis – Mercine – Varena – zurück Bergnicki – Grodno – Eischisky – Woronow – Wilna – Postavy – Glebocki. Einige Erkundungsfahren bis zur Düna haben uns noch einmal in Frontnähe gebracht. Hier sind tatsächlich nur Rote in den Wäldern und ab und zu einige Bomber zu fürchten. In der Nacht hörten wir endlich wieder Sondermeldungen: Marsch auf Leningr. und Durchbruch d. Stalinlinie. Nun wird es auch morgen für uns weitergehen. Hier erreichten mich gestern 3 Briefe von Dir, Nr. 3, 4 u. 5. Wie glücklich war ich, als ich staubbedeckt, durstig u. hungrig zurückkam, diese Briefe vorfand. Du kannst Dir nicht vorstellen, was für eine seelische Stütze solch‘ ein Brief ist. Die Folge aber ist auch, dass ich heute einen meiner melancholischen Tage habe. Sogar Helmuth kann mich nicht mit seinen trockenen Äußerungen erheitern. Kann es für uns noch einmal einen glücklichen Sommer, mit Opelchen, Klaus, mit Mutti und Futterkorb und Vati geben, sorglos in der Sonne liegen? Manchmal glaubt man, dass man der ewige Soldat sein wird. Natürlich bin ich zufrieden, dass ich dabei bin und diesen gewaltigsten aller Kriege mitmachen kann. Diese Erlebnisse werden Erinnerungen für das ganze Leben geben. Aber andere Menschen genießen noch aus vollen Zügen, sitzen in Mayrhofen u.a., verdienen Geld und verspüren doch verflucht wenig vom Krieg. Hier, fernab der Kultur und der geringsten Ablenkung empfindet man all‘ dies besonders tragisch. Hoffentlich geht’s aber auch hier, den weiten Gebieten Russlands entsprechend, schnell vorwärts. –
Ich freue mich, dass Klaus und Oma zufrieden in K. sind. Noch mehr werde ich mich aber freuen, wenn erst von Dir die Nachricht kommt, dass Du nach K. abgereist bist. Es wird dort auch für Dich bestimmt gemütlich werden. So wandern heute, an einem ungeheuer heißen Sonntag, meine Gedanken zu Euch. Vielleicht hast Du es noch nicht einmal so gut wie ich im Augenblick. Im Badeanzug von früh bis spät, sitze ich augenblicklich im Schatten meines Panhard und futtere schönste aromatische Walderdbeeren. Helmuth hat sie gegen ein halbes Brot erstanden. Außerdem habe ich Schontag! Gestern, beim Montieren eines neuen Reifens hatte ich Pech und klemmte meinen linken Mittelfinger mit voller Wucht zwischen Montierhebel und Felge. Die Folge ein schwerer Bluterguss unter dem Nagel und noch darüber und anständige Schmerzen. Der Nagel ist selbstverständlich futsch. Hoffentlich ist der Schönheitsfehler bis zum nächsten Urlaub verschwunden. –
So nun Schluss, mein kleines Evchen, behalte Deinen Vati auch weiterhin lieb und denke und schreibe recht oft an ihn.
Dein Dich immer liebender Mani

 

 



Ansicht des Briefes

 

Briefe aus diesem Konvolut:
top