23. 6. 41, 9 Uhr

Meine kleine liebe E.!

Dies soll nun der erste richtige Kriegsbrief werde. Das Garnison- und Etappenleben ist vorüber - der Krieg ist da! Der Krieg, an den wir bis zum letzten Augenblick alle nicht glauben konnten und auch nicht wollten, ist doch mit diesem neuen Kriegsschauplatz der Friede und Heimkehr in weite Ferne gerückt. 24 Stunden Krieg, viel haben wir noch nicht erlebt, trotzdem waren wir Zeuge vom Anlaufen der gewaltigsten Kriegsmaschine, die wohl jemals in Betrieb gesetzt wurde. Am Vorabend, 4 km von der feindlichen Linie, ahnten wir das große Ereignis schon (eben gingen 2 Bomben mit ganz netter Detonation in Sichtweite nieder). Trotzdem schliefen Helmuth u. ich in meinem PKW sehr gut - bis um 3.05 morgens die ersten Granaten über uns hinweg zum überraschten Russen flogen. Einige Aufklärer flogen die Grenze entlang, am Horizont, vor der Morgenröte, stiegen die ersten Rauchwolken auf. Das war der Kriegsbeginn! Seit jener Stunde läuft die Maschine ohne Unterbrechung. Deutsche Staffeln, Bomber, Stukas, Jäger, Zerstörer ziehen unverdrossen ihren Weg. Russische Flieger erscheinen frech, sehr tief und ahnen nicht, dass sie Minuten später ein Opfer unserer Jäger oder Flak werden. Eine Rauchfahne kündet nur das Ende von Maschine und Mensch. Schon nach 24 Std. wird man gleichgültig und kümmert sich um keine Schiesserei. In kurzer Zeit folgt der neue Marschbefehl, wir folgen heute 90 km weiter und rechnen uns aus, wann wir in Moskau eintreffen können. Viel könnte ich Dir noch schreiben, doch ich hoffe diesen Brief einem zurückfahrenden Melder mitgeben zu können.
In inniger Liebe grüße und küsse ich Dich, bleibe meine liebe kleine Frau
Dein Vatile



























Codierungen:

Kriegsschauplatz: Sowjetunion
Kriegsstimmungen: Euphorie / Siegesgewissheit
Kriegswahrnehmungen: Kampfbeschreibungen