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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 03.05.1943 (3.2002.0985)

 

G., den 3. Mai 1943



Meine liebe Ursula!

Ich erlebe jetzt so unvergleichlich schöne Tage, daß ich fast den Eindruck habe, ich sei im Urlaub. Hier im Garten, umgeben von blühenden Bäumen, sitzt es sich herrlich. Zum Schreiben komme ich allerdings wenig, da es zuviel Gesprächsstoff gibt und wir immer wieder das Briefschreiben durch einen Speech unterbrechen. Mir gegenüber sitzt ein Verwundeter, den ich eifrig zu betreuen versuche, und dieser ist kein anderer als Jakob Straub. Endlich ist es mir gelungen, seiner habhaft zu werden, und so bald gebe ich ihn nicht wieder frei. Du kannst Dir denken, wie stärkend und erquickend diese Tage für mich sind.
Von meinem ersten Besuch beim Kradschützenbataillon habe ich Dir ja berichtet. Am Freitag hatte ich dann einen ruhigen Tag. Ich besuchte am Nachmittag Pfarrer Eickhoff; im übrigen kam ich zu nichts, da ich Besuch bekam und oft gestört wurde. Am Samstag früh fuhren wir um 5 Uhr wieder nach vorn. Wir gaben Verpflegung aus und fuhren dann durch den schönen Frühlingstag wieder zurück. Die Berglandschaft ist wirklich hübsch. Unterwegs kamen wir an einem Hauptverbandsplatz vorbei. Da kam mir die Frage, ob ich meinen Bundesbruder Schmidt, den ich im Vorjahre traf, wohl wiederfinden würde. Zufällig stoße ich auf einen Geistlichen, der von Straubs Division war. Er war zwar Katholik, konnte mir jedoch sagen, daß Strampel gestern dort gewesen sei. Nun folgte ich seinen Spuren, bis ich ihn hier in G. fand. Er hat bei den furchtbaren Kämpfen bei K. eine Armverwundung erhalten. Da wurde es nicht schwer, ihn für ein paar Tage loszueisen. Ich ging zu seinem Kommandeur und nahm ihn dann mit in mein Quartier. Du kannst Dir unsere Wiedersehensfreude vorstellen! Leider hatte er heftige Schmerzen. Trotzdem gab es ja so unendlich viel zu erzählen. Wir sind uns so einig, daß man meinen sollte, wir seien stets zusammen gewesen. Zur Begrüßung tranken wir nachmittags einen guten Kaffee und aßen Schokolade dazu. Abends mußte meine Flasche Cognac dran glauben. Den Abend beschlossen wir mit Bibellese und gemeinsamem Gebet. Leider hat Strampel nachts kaum geschlafen, und am Morgen hatte er heftige Schmerzen. Wir lasen dann noch zusammen die Perikopen und Luthers Morgensegen, dann mußte ich ihn zum Feldlazarett zur Untersuchung bringen. Doch dort hielt man ihn sofort fest und machte einen operativen Eingriff. Damit war ich ihn los. Als ich am Nachmittag zurückkam, war er noch sehr elend von der Narkose und fühlte sich sehr schlecht. Wir setzten uns an eine Mauer, bis er nach Ruhe verlangte. Das Lazarett war jedoch stark überfüllt, überall lagen Verwundete, meist auf Schilf. Da konnte ich ihn denn getrost mitnehmen, hatte er es doch bei mir viel besser. Er hat dann meistens geschlafen, aber schon die Nähe eines guten Freundes ist so wohltuend. Gegen Abend machten wir Bratkartoffeln, d.h. Iwan, unser Russe, machte sie. Jupp, der Fahrer, und ich guckten zu. Dabei unterhielten wir uns sehr lebhaft. Jupp ist Egerländer, also sehr schlechter Katholik. Trotzdem staunte ich, wieviel diese bei ihrer Kirche berüchtigten Leute mitbringen. Wir sprachen über Beichte, Ehe, Politik, allgemeine sittliche Fragen, Jugenerziehung und Krieg. Es war lange tiefe Nacht geworden, als wir uns auf unsere Bratkartoffeln besannen; nach dem Essen ging es weiter, bis er um 23 Uhr aufbrach. Wir sprachen auch übers Gebet, das er im Kriege als Sitte verlernt hat und das er nur in besonderer Lage spricht. Er versprach mir dann aber, ein Vaterunser zu beten. Weißt Du, bei diesen Katholiken kann man ja so sehr leicht auf tiefe Fragen kommen; sie schließen sich auf, weil sie es vom Beichtstuhl her gewöhnt sind, und auch meine letzte Aufforderung, für unser Volk, das es nötig habe, ein Vaterunser zu sprechen, nahm er freudig auf, ohne das Empfinden zu haben, da dränge sich einer in sein eigenstes Privatleben. Als er ging, stand Strampel auf, der noch den Schluß unserer schönen Unterhaltung gehört hatte. Ich machte ihm noch einige Brote, wobei wir uns auch, daran anknüpfend, unterhielten. Schon am Nachmittag hatten wir dieselben Gedanken getauscht, die mich jetzt so oft bewegen. Unsere Kirche hat keine Sitte. Wir geben der Gemeinde keine Bindung. Auch Kirchengebote über regelmäßiges Kommunizieren, Beichte, Gebet und dergleichen sind doch sicherlich eine sehr heilsame Zucht. Ich erinnere mich stets mit Beschämung, daß es sehr schwierig war, ein gemeinsames Abendmahl für uns Pastoren zu feiern. Ist das denn noch Kirche oder ein Trümmerhaufen? Gewiß, die katholische Frömmigkeit ist gesetzlich, aber bei uns hat die berüchtigte Gewissensfreiheit es so weit gebracht, daß jeder es fast als dreiste Zumutung auffaßt, wenn ein Geistlicher ihm ins Gewissen redet. Natürlich tragen auch wir Pastoren eine große Schuld durch unser Weltwesen. Wie oft habe ich schon mein Amt verleugnet, indem ich mich scheute, mich als Pastor offen zu bekennen! Das gestrige Gespräch war vielleicht auch erwachsen aus der brüderlichen Gegenwart Strampels, die stärkt und neuen Mut gibt. Einsamkeit frißt und tötet. Ach, mein Lieb, es gibt dazu so endlos viel zu sagen, und die Vorsätze, besser zu arbeiten und im Amt nach dem Kriege Christo zu dienen, sind da. Hoffentlich wird man nicht müde.
Heute früh schliefen wir lange. Strampel hatte nur wenig Schmerzen und war sehr erfrischt vom vielen Schlafen. Auch jetzt hat er sich schon wieder hingelegt. Wenn ich morgen früh nach W. übersiedle, wo der Verpflegungsempfang ist, nehme ich ihn mit. Hoffentlich werden wir nicht so bald getrennt, denn wahrscheinlich wandern wir nun bald zur Krim hinüber.
Auch der russische Frühling hat seine Reize. Alles blüht jetzt so schön. Unser Dorf sieht da ganz entzückend aus. Gestern nachmittag tanzten die Russenmädels so nett mit einigen unserer Hilfswilligen. Auf ihre Weise sind diese anspruchslosen Menschen auch ganz glücklich. Dazu braucht man keine Tanzdiele mit Jazzmusik und all dem üblen Betrieb, der leider bei uns dazu gehört. Es war ein hübsches, friedliches Bild. Eine Quetsche und eine grüne Weide genügten. Übrigens hat gestern unser General das Ritterkreuz erhalten, nun wird ihn wohl nichts mehr auf dem Brückenkopf halten. Vielleicht findet er auch bald die ganz große Kurve, was mancher wünscht.
Heute mittag bekam ich Post, Lisels lieben Brief vom 15.4. Dankst Du ihr von mir recht herzlich? Auch Vaters Nachricht war ja ganz zuversichtlich. Hoffentlich bleibt es so. Von Dir war leider gar nichts dabei. Ob Du so viel zu tun hast? Das hat ja auch sein Gutes, aber vergiß Deinen Mann nur nicht darüber! Er hat es auch sehr nötig. Du darfst Dich aber auch nicht übernehmen. Das führt zu nichts Gutem. Kein Mensch kann sich zerreißen. Du siehst, meine Ursula, augenblicklich habe ich das große Los gezogen. Daß ich jetzt auch nicht verhungere, brauche ich wohl nicht erst zu beteuern. Gleich gibt es wieder Bratkartoffeln. Vielleicht besuche ich auf einen Stip auch Pfarrer Eickhoff noch. Er muß mir für Jupp ein Feldgesangbuch geben.
Hoffentlich schreibst Du Treulose mal wieder! Sonst bin ich ganz traurig; denn wenn Strampel wieder fort ist, bin ich wieder ganz einsam.
Für heute sei es genug! Innigen Gruß Dir und Gesa

Dein Heinz

 

 



Ansicht des Briefes

 

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